„Der Abschied ist kein physischer Zustand, denn gerade der Emeritus ist in seiner Alma mater gerne gesehen“, sagte Prof. Wolfram Ressel, Dekan der Fakultät für Bauingenieur- und Vermessungswesen, in seiner Begrüßungsrede. Uni-Rektor Prof. Dieter Fritsch dankte dem scheidenden Gerhard Heimerl herzlich für seine fast 30jährige Tätigkeit an der Universität Stuttgart. Das volle Haus sei ein unübersehbares Zeichen der Wertschätzung, die der 1933 in Neudorf/Marienbad geborene Heimerl genieße, der in seiner Arbeit stets Wert auf Interdisziplinarität gelegt hat.
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Generationswechsel
am Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen:
56 Semester hat Gerhard Heimerl, mit dessen Namen
zahlreiche
Verkehrsprojekte verbunden sind, an der Uni gelehrt
und geforscht.
Seine Nachfolge hat nun Ulrich Martin angetreten.
(Foto: Eppler) |
Über das Studium des Bauingenieurwesens an der TU-München führte Heimerls Weg an die TH Stuttgart, wo er seine Promotion abschloß. 1964 übernahm er Aufgaben bei der Deutschen Bundesbahn und im Bonner Verkehrsministerium; 1973 nahm er den Ruf als Ordinarius für Eisenbahn- und Verkehrswesen an der Uni Stuttgart an. Heute sind mit seinem Namen viele Forschungsvorhaben und Untersuchungen zu Projekten des öffentlichen Verkehrs im In- und Ausland verbunden. So beispielsweise Grundlagenstudien zu Schallschutzverordnungen und die standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV, Kapazitätsfragen der Flughäfen Frankfurt und München, die Entwicklung des Stuttgarter Flughafens, Planungen zum Ausbau von Verkehrsnetzen, darunter auch die Anbindung des Uni-Geländes Stuttgart-Vaihingen an die S-Bahn oder die Trassenführung der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke Stuttgart-Ulm und nicht zuletzt gilt er als „Vater“ des Projekts Stuttgart 21 mit der Untertunnelung des Hauptbahnhofs. International war Heimerl bei der EU und der Europäischen Verkehrsministerkonferenz vertreten und er war unter anderem Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesverkehrsministerium und ist Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft sowie stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg.
Schlüsselfunktion Verkehr
Sichtlich beeindruckt von dem gut gefüllten Hörsaal ging Gerhard Heimerl in seiner Abschiedsvorlesung auf die Verkehrssituation im Rahmen der Vereinigung Deutschlands, des europäischen Binnenmarktes und der Osterweiterung ein. Dem Verkehr komme bei der europäischen Integration eine Schlüsselposition zu, sein permantes Wachsen führe aber auch zu einem Verlust an Lebensqualität in den Städten, sagte der scheidende Professor. Daher sei eine übergreifende Verkehrspolitik gefordert, und die Umwelt, heute noch ohne „Preis“, solle in Zukunft als Investitionsgut betrachtet werden.
Zukunftsfähiges europäisches Bahnnetz
„Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind Investitionen in die Zukunft“, doch durch kurzfristiges Denken seien hier viele Fehlentscheidungen getroffen worden, so Heimerl, und als eindrucksvolles Beispiel führte er den folgenden Vergleich auf: Unsere Bahnnetze stammen aus dem 19. Jahrhundert. Wenn auf den Straßen von 1920 der heutige Verkehr fließen müßte, wäre das undenkbar; aber bei der Bahn ist das so! Neue Strukturen zu schaffen, wobei auch die Verknüpfungspunkte Beachtung finden, sieht er daher für wichtig an, wenn es um die Investitionen in ein zukunftsfähiges europäisches Bahnnetz geht. Fächerübergreifendes Arbeiten und Teamarbeit waren Gerhard Heimerl auch an der Uni immer wichtig, denn „die wissenschaftliche Arbeit soll auch in der Praxis Nutzen stiften.“
Nachfolger Ullrich Martin
„Die Zukunft der Bahn im öffentlichen Verkehrssystem“, hatte
Ullrich Martin seine Antrittsvorlesung überschrieben. 1963 in Merseburg geboren, studierte Martin Verkehrsingenieurwesen in Dresden und war bis zu seiner Promotion 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrssicherung der TU Braunschweig. Als Projektingenieur war er sodann mit der Realisierung der Leit -und Sicherungstechnik der Ausbaustrecke Stendal-Uelzen im Rahmen der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit betraut, bevor er 1998 den Lehrstuhl für Verkehrsbau/Verkehrssystemtechnik an der Uni Leipzig übernahm.
Systemvorteile der Bahn ausbauen
Die Bahn werde nicht stärker genutzt, da sie für den Nutzer in weiten Bereichen nicht attraktiv sei und auch aufgrund der unzureichenden Flächenerschließung keine Vorteile biete, sagte Martin. Beispielsweise werde das Kundenpotenzial der wachsenden Bevölkerungsgruppe älterer Menschen nur unzureichend ausgeschöpft. Allerdings könne kein vorhandener Verkehrsträger ohne eine schnelle, umweltschonende, bezahlbare, sichere und zuverlässige Bahn seine Aufgabe im Systemverbund der Verkehrsträger erfüllen. Die Systemvorteile der Bahn müßten daher stärker zur Geltung gebracht werden. Der Ausbau alter und der Bau neuer Strecken sei genau zu überlegen, denn nicht die Fahrzeit, sondern die Reisezeit zähle.
Ullrich Martins zukünftige Forschungsinhalte sind die verkehrsträgerübergreifende Verkehrssystemgestaltung und die Prozeßsteuerung in Verkehrssystemen, und im Mittelpunkt aller Lösungen sollen Kundenbezogenheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit stehen.
Julia Alber