Stuttgarter unikurier
Nr. 89 April 2002 |
Interdisziplinäres Kolloquium zur Geschichte der Ironie:
Ironie - zwischen Libertinage und Ernst |
Die „Geschichte der Ironie“ stand im Mittelpunkt eines Kolloquiums, das das Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie innerhalb des Forschungsprojekts „Ursprünge der Moderne“ in Zusammenarbeit mit dem Centre National de la Recherche Scientifique, Paris, und der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, veranstaltete.
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Nahezu gewagt schien es, ausgerechnet dem wechselhaften Schicksal der Ironie eine Veranstaltung zu widmen, nachdem in der Folge des 11. September de-ren Ende allenthalben so heftig proklamiert und gefordert wurde. Wie eng jedoch die aktuelle Polemik gegen die Ironie mit deren
Geschichte verbunden ist, konnte die Diskussion verdeutlichen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Italien und Dänemark vom 6. bis 8. Dezember 2001 in der Akademie Schloss Solitude unter Leitung von Gisela Febel (Bremen), Michel Narcy (Paris) und Gerhart Schröder (Stuttgart) führten.
Wiederkehrende Konjunktur
Die Ironie erlebt seit der Antike stets Phasen wiederkehrender Konjunktur, auch wenn sie spätestens durch die klassisch gewordene Definition Quintilians als „Redeweise, die ihren Sachverhalt durch ihr Gegenteil ausdrückt“, zur einfachen rhetorischen Strategie reduziert schien. In diesen Phasen der Konjunktur wird sie jedoch entschieden zu mehr: einem alternativen Modell der Erkenntnis. Ironisches Sprechen, Schreiben und Denken gerät dann zur Herausforderung an den Diskurs der Ernsthaftigkeit, an Autoritäten und Wahrheitsansprüche etablierter Diskurse. Die Ironie des Sokrates ist Referenzpunkt für diese Haltung, an die in der Frühen Neuzeit Autoren wie Rabelais, Cervantes oder Montaigne anknüpfen. In den Texten dieser Autoren wird die Doppelnatur der Ironie zu einer Strategie des „doppelten Textes“ - so Gerhart Schröder -, welche Kategorien von Vernunft, Autorität und starrer Ordnung spielerisch unterläuft und den Text zu einem Vexierbild von Bedeutungen werden lässt. Barnaba Maj (Bologna) wiederum zeigte, welche zentrale Rollen diesen Texten der Frühen Neuzeit und mit ihnen der Figur des Sokrates bei der Entwicklung des Ironiebegriffs in der deutschen Frühromantik zukommt. Dass die Ironie, ungeachtet all ihrer spielerischen Natur, stets in enger Nachbarschaft zum Ernst steht, lässt sich am Beispiel Schlegels nachvollziehen. Schon seine Definitionen der Ironie, etwa als einer Selbstparodie, die es ermögliche, „den Scherz gerade für Ernst und den Ernst für Scherz“ zu halten, zeigt die Nähe der Ironie zum Ernst. Später schlug die Ironie bei Schlegel direkt in Ernst um, als er angesichts des Krieges im Jahre 1804 die Abkehr von Spaß und Ironie forderte. Diese ironiefeindliche Haltung kehrt in Krisensituationen immer wieder, so Eckhardt Schumacher (Köln), nicht nur um 1800, sondern eben auch in der aktuellen Situation.
Ihre Gegner bezichtigen die Ironie in solchen Fällen gern, Mittel bloßen Spaßes zu sein, gar der Libertinage zuzuneigen, also einem Mangel an Moral, ein Vorwurf, der, wie Hélène Merlin-Kajman aufzeigte, um 1600 gegen die Ironie erhoben wurde.
Kritisches Potential
Es ist vermutlich nicht zuletzt ihr kritisches Potential, das ihre Gegner an der Ironie und ihren Repräsentanten seit Sokrates fürchten. Dass sich dies kritische Potential der Ironie beispielsweise auch Kierkegaard bei seiner Kritik am „Falschgeld“ verlogener Religiosität zunutze machte, verdeutlichte Tilman Beyrich (Greifswald).
Doch wie verhält es sich mit der Ironie im Bild? Wolfgang Pross (Bern) exemplifizierte mit seiner Analyse der verschiedenen Varianten einer Grafik von Jacques Callot, wie auch bildironisch geltende Ordnungsmuster unterlaufen werden können. Eine andere Art von bildlicher Ironie sieht Anders Troelsen (Aarhus) in den Bildern der Avantgarde und der Postmoderne am Werk, eine Ironie, die sich häufig zwischen Titel und Bild entfaltet und den Betrachter spielerisch in mannigfache interpretatorische Unsicherheiten stürzt. Gisela Febel (Bremen) eröffnete mit ihrer Frage nach der Ironie ohne Subjekt, der Ironie als „Infragestellung der Sprache durch sich selbst“
(Roland Barthes) ein neues Feld der Betrachtung auch bildlicher Ironie. Ironie als Verweis von Texten, oder eben Bildern, auf ihren Status als Medium, ein Phänomen, dem Gisela Febel unter anderem an Bildern von Duchamp, Magritte und Cindy Sherman nachspürte.
So gründlich die verschiedenen Facetten der Ironie, ihre historisch wechselnde Bedeutung und Definition in der Diskussion erhellt wurden, als Ergebnis des Kolloquiums blieb zumindest eine Lücke, ein Desiderat offen: die Kehrseite der Medaille, da waren sich die Kolloquiumsteilnehmer einig, verdiente genauso gründlicher Beachtung, eine „Geschichte des Ernstes“ gehörte noch geschrieben.
C. Lund
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