Stuttgarter unikurier
Nr. 89 April 2002 |
Kolloquium auf Schloss Solitude:
Medialität und Modell |
Dem Schock, den der Triumphzug der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ausgelöst hat, mit sachlichen Analysen und selbstreflexiver Theorieproduktion zu begegnen, darf als vordringliche Aufgabe der Kulturwissenschaften gelten. Ihr will sich das Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie zukünftig in wesentlich erweiterter Form widmen. Als Center for Advanced
Studies (Siehe dazu den Bericht in der Rubrik „Nachrichten &
Berichte“)
wird es Fragestellungen der Kultur- und Technikforschung zusammenführen. Den Auftakt machte vom 17. bis 19. Januar 2002 ein dreitägiges internationales Kolloquium zum Thema „Medialität und Modell“, zu dem das Zentrum in Zusammenarbeit mit der Akademie Schloss Solitude geladen hatte.
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Medien sind technische wie kulturelle Phänomene gleichermaßen. Folgerichtig stand das Kolloquium im Zeichen eines Chiasmus: mit reziprokem Interesse an der Technizität moderner Kultur und der Kulturalität moderner Technik stellte es sich dem Problem der Medialität. Gerhart Schröder (Stuttgart) rückte es in den Rahmen einer aporetischen Situation. Seit dem Ende der grands récits sei alles zur Kultur und alle Kultur zum Medium geworden. Medien scheinen jene Leerstelle zu füllen, die das Verschwinden der Subjektkategorie hinterlassen hat. Was aber ist ein Medium? Wie gewinnen Medien ihren Status als systematisierbares Objekt? Was bedeutet das Medienwerden von Apparaten, Techniken, Symboliken und Institutionen für das kulturelle Selbstverständnis des Menschen?
Mit den Medienexperten David Bolter vom Georgia Institute of Technology in Atlanta und Derrick de Kerckhove, dem McLuhan-Nachfolger aus Toronto, diskutierten die Exponenten der deutschen Mediendebatte, Friedrich Kittler, Sibylle Krämer (beide Berlin), Georg Chr. Tholen (Basel) und Dieter Mersch (Darmstadt), über diese Fragen. Deutlich wurde dabei der prekäre Status von Medien. Medien bringen zuallererst hervor, was sie „eigentlich“ vermitteln, wobei sie sich selbst der Aufmerksamkeit entziehen. Wahrnehmbar und als Verfahren durchschaubar werden Medien unter Bedingungen der Intermedialität: sobald ein Medium in ein anderes übertragen wird, wird das eine zur Bühne für die Inszenierung des anderen und zum Modell. Das Künstlerpaar Frédéric Moser und Philippe Schwinger (Genf) demonstrierte dies mit einer multimedialen Rauminstallation „De quelques infidélités“, Gerd de Bruyn und Henrik Mauler (Stuttgart) gingen dem unter der Frage nach den Modellen digitaler Architektur nach, und Elena Esposito (Modena) erläuterte anhand der Medien der Nachahmung den Übergang vom Modell zur Mode. Dass sich diese Transformationen in je spezifischen historischen Konstellationen mit weitreichenden Konsequenzen für das Wissen vom Menschen vollziehen, konnten Gisela Febel (Bremen) am Beispiel des Sehens, Peter Geimer am Beispiel des Fliegens und Stefan Rieger in bezug auf das Telefonieren überzeugend darlegen.
Dennoch blieb Skepsis gegenüber der analytischen Potenz des Medialitätsbegriffs. Steht er in Gefahr, zum wohlfeilen kulturwissenschaftlichen Passepartout zu werden? Christoph Hubig (Stuttgart) jedenfalls suchte Ordnung in den Mediendiskurs zu bringen und klassifizierte Strategien im Umgang mit dem Begriff, während Friedrich Kittler forderte, dessen Extension zu bedenken.
E. Uhl
KONTAKT
Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie, Geschwister-Scholl-Str. 24B, 70174 Stuttgart,
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