Stuttgarter unikurier
Nr. 91 April 2003 |
Wanderungsbewegung der
Dünen entschlüsselt:
Düne,
Düne du musst wandern... |
Große Sanddünen, die Wellen der Wüste, wandern; und sie bedrohen dabei manchmal
Straßen und ganze Städte wie etwa
Nouakchott, die Hauptstadt des westafrikanischen
Mauretanien. Durch ein neues Modell und
Simulationsverfahren, das am Institut für Computeranwendungen der
Universität Stuttgart unter der Leitung von Prof. Dr. Hans
Jürgen Herrmann entwickelt wurde, sind die Wanderbewegungen vor allem der so genannten
Barchane, der bis zu 50 Meter hohen Wanderdünen, nun
entschlüsselt worden. Die Max-Planck-Gesellschaft und die Alexander von
Humboldt-Stiftung haben den Stuttgarter Wissenschaftler dafür
Ende des vergangenen Jahres mit dem mit 125.000 Euro dotierten Max-Planck- Forschungspreis
für internationale Kooperation im Bereich der Ingenieurwissenschaften
ausgezeichnet. |
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Schon seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts wird die Dynamik des Sandes und der
Dünen in den Wüstenregionen wissenschaftlich untersucht. Trotz dieser langen Historie und einiger Erfolge bei der Beschreibung von Teilprozessen sind die wesentlichen Fragen zur Formation und Wanderung unbeantwortet
geblieben. Denn von den Teilprozessen der Bewegung oder Saltation einzelner
Sandkörner über die charakteristische Rippelbildung bis zur Entstehung und Wanderung ganzer
Dünenfelder umspannen die dabei zu berücksichtigenden
Zeit -und Längenskalen mehr als sieben Größenordnungen. Die theoretische Beschreibung all dieser
Phänomene muss im Wesentlichen zwei Grundprobleme lösen. Zum einen gilt
es, die Scherkraft zu berechnen, die der Wind auf eine gegebene Topographie
ausübt. Zum zweiten muss der von dieser Kraft verursachte Sandfluss auf einer
Oberfläche und die damit verbundene ständige Änderung der Topographie selbst bestimmt
werden.
Der Stuttgarter Ansatz
Alle Gesetze der Formation und der Bewegung der Barchane waren bis zur Aufstellung des Stuttgarter Modells ohne zufriedenstellenden Erfolg
verlaufen. Die aufgestellten Modellrechnungen waren zum einen zu
grob, um die Dynamik der Dünen zu erklären; eine vollständige Simulation von der Ebene der
Sandkörner an bis in die Größenskala der Dünen wird zum anderen noch
über Jahre an der nötigen Rechenleistung scheitern. Die Stuttgarter
Lösung schlägt stattdessen ein praktikables Kontinuumsmodell
vor, das einerseits die tatsächliche Dynamik der Myriaden von
Sandkörnern im Wind zureichend beschreiben kann, andererseits aber auch noch rechenbar
bleibt. Die Grundidee des Stuttgarter Ansatzes besteht
darin, die vom Wind erfasste Sandschicht, auf und in der die
Körner tanzen, den so genannten Saltationslayer, als eine
dünne flüssigkeitsähnliche Schicht zu betrachten. Diese kann durch die
Erhaltungsgrößen wie Impuls und Masse in ihrer vollen Dynamik berechnet
werden.
Mit dem Stuttgarter Modell können die Bedingungen sehr genau beschrieben
werden, unter denen sich aus einem gleichförmigen Sandhaufen unter kontinuierlichem Windeinfluss eine
Düne mit dem charakteristischen Sichelprofil eines Barchans
bildet. Durch das lawinenartige Abrutschen des Sandes auf dem steilen Innenkamm der
Düne und dem kontinuierlichen Nachschub des Sandes über die flache Luvseite bewegt sich die
Düne langsam in Windrichtung voran. Der Algorithmus kann dabei die Wandergeschwindigkeit sehr genau
voraussagen, wenn Stärke des Windes und Größe der Düne
bekannt sind. Das Modell wurde durch experimentelle Messungen in Marokko und Brasilien bereits mehrfach
bestätigt.
Nach der Entschlüsselung der meist singulären Bacharne wollen die Stuttgarter Wissenschaftler nun die Wellenbewegungen der
großen Transversaldünen nachvollziehen. Diese langgezogenen Formationen sind die
häufigste
Erscheinungsform in den Wüsten dieser Welt. Und: die Wüste
wächst.
/eng
Kontakt
Prof. Dr. Hans Jürgen Herrmann,
Tel. 0711/685 3701,
Email: hans@ica1.uni-stuttgart.de
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