Stuttgarter unikurier
Nr. 91 April 2003 |
Uni an viel beachteter Raumfahrtausstellung beteiligt:
Huckepack ins Weltall
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Die Raumfahrt muss billiger werden und sucht nach neuen Wegen ins All. Wie die Raumtransporter der
nächsten Generation einmal funktionieren sollen, zeigte eine Ausstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Haus der Wirtschaft von Dezember 2002 bis Februar 2003. Die Ausstellung
prösentierte die Ergebnisse von drei Sonderforschungsbereichen der Uni Stuttgart, der RWTH Aachen, der TH
München sowie der Münchner BundeswehrUniversität. An den Forschungen beteiligt war das Deutsche Zentrum
für Luft- und Raumfahrt. |
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Ausstellungen zu Ingenieurthemen sind gemeinhin keine leichte Kost. Daher
hängten die Organisatoren kein Lehrbuch an die Wand, sondern setzten auf eine multimediale
Präsentation, die die Materie auch für Laien spannend machen sollte. Das Konzept ging von Anfang an auf: 450
Ehrengäste aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft drängelten sich in der
König-Karl-Halle, als die Schau am 3. Dezember mit einem Reigen an
Grußworten, darunter von Wissenschaftsminister Professor Peter Frankenberg und Uni-Rektor Professor Dieter Fritsch,
eröffnet wurde. „Wissenschaftliche Neuerungen entstehen dort, wo sich
Fächer überschneiden", begrüßte Frankenberg das Zusammenwirken der Disziplinen, „und die Uni Stuttgart ist hier mit
führend."
Die Besucher waren beeindruckt von den Weltraummissionen der Zukunft. Welche Schwierigkeiten dabei zu
bewältigen sind, erläuterte der Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Hochtemperaturprobleme
rückkehrfähiger Raumtransportsysteme", Professor Siegfried Wagner, in seinem von Dias unterlegten Festvortrag. „Das Problem der heutigen Raumfahrt ist das
Gewich", so der Leiter des Instituts für Aerodynamik und Gasdynamik der Uni Stuttgart. Nicht nur die Raketen selbst, auch die Sauerstofftanks wiegen viele Tonnen. Um solche Lasten gegen die innerhalb der
Erdatmosphäre wirkende Schwerkraft und den Luftwiderstand in den Weltraum zu
befördern, sind Raketen mit enormer Schubkraft erforderlich. Gebraucht wird der Sauerstoff jedoch nur im Weltall - auf der Erde
könnte ihn ein Antriebssystem auch aus der Luft beziehen. Andererseits: Hat der
Flugkörper erst einmal seine Umlaufbahn erreicht, wird ein Teil der Schubkraft nicht mehr
benötigt - eine enorme Verschwendung.
Fast wie ein normales Flugzeug
Schon in den 60er Jahren entstand daher die Idee,
Weltraumflüge auf verschiedene Flugkörper zu verteilen. Diese
Ansätze blieben jedoch lange Utopie. Erst durch die Entwicklung
leistungsfähiger Computerprogramme zur Bewältigung der bei Flugsimulationen anfallenden gigantischen Rechenoperationen sowie ausreichend
hitzebeständiger Werkstoffe wurde die Umsetzung möglich. Entstanden ist ein zweistufiges Prinzip: Den Austritt aus der
Erdatmosphäre übernimmt ein superflacher Weltraumtransporter, der in seiner aerodynamischen Form an eine Concorde erinnert und horizontal in der Luft liegt. Das Antriebssystem dieser Unterstufe „atmet
Luft", was die schweren Sauerstofftanks überflüssig macht. Das
Düsenflugzeug startet auf der Rollbahn eines ganz normalen Verkehrsflughafens und beschleunigt auf die siebenfache Schallgeschwindigkeit.
Wie einen kleinen Rucksack transportiert diese Unterstufe huckepack einen Raumgleiter, der in seinen
Ausmaßen einem konventionellen Weltraumshuttle nahekommt. In 30 Kilometer
Höhe trennt sich der Shuttle ab, zündet sein eigenes Haupttriebwerk und beginnt den Aufstiegsflug in die
endgültige Umlaufbahn. Das Trägerflugzeug fliegt zurück zum Flughafen, und auch die Orbitalstufe kehrt nach vollendeter Mission zur Erde
zurück: Kein Weltraumschrott „vermüllt" das All.
Langer Atem erforderlich
Ein solcher Raumflug soll höchstens mit zwanzig Prozent der heutigen Kosten zu Buche schlagen. Doch noch existieren die
Fluggeräte nur als silbrige Modelle im Windkanal. Bis die Vision von der billigen und umweltfreundlichen Raumfahrt
Realität wird, sind viele Probleme zu lösen.
Eines der Risiken ist die Trennungsphase. Bei diesem Manöver sind immense aerodynamische
Kräfte am Wirken, die sich zudem gegenseitig beeinflussen. Die Gefahr einer Kollision der beiden
Flugkörper ist bei solchen Strömungen extrem hoch. „Es ist wie auf der
Autobahn", verdeutlichte Professor Wagner das Problem, „beim
überholen eines Lkw spürt man ein seitliches Versetzen des eigenen
Fahrzeugs." Bei den hohen Geschwindigkeiten in der Raumfahrt kann das zur Katastrophe
führen.
Aber auch die Rückkehr des Shuttles zur Erde birgt Probleme. Beim Wiedereintritt in die
Erdatmosphäre erhitzt sich die Luft bis auf 20 000 Grad Celsius. Der Hitzeschild, der die aufgestaute
Wärme ableiten soll, wird dabei selbst etwa 1700 Grad heiß. Um derartige Schutzschilde wiederverwenden zu
können, müssen Materialien von hoher Festigkeit und niedrigem Gewicht entwickelt werden. Als geeigneter Verbundwerkstoff erwiesen sich in Siliziumkarbit eingebettete Kohlenstoff-Fasern, die jetzt unter „heißen"
Bedingungen getestet werden. All das erfordert
einen langen Atem. „Der erste Huckepack-Raumflug findet um das Jahr 2020
statt", schätzt Professor Wagner.
Ob auch die Sponsoren so viel Geduld haben, ist noch nicht gesichert.
Für einige Sonderforschungsbereiche läuft die Finanzierung in den
nächsten Jahren aus, und auch in der für Drittmittel so wichtigen Industrie hat die Raumfahrt derzeit keine
Priorität. Vorerst hoffen die Wissenschaftler, dass die DFG in die Bresche springt.
Nutzen für die Wirtschaft
„Es ist wichtig, dass Europa in der Raumfahrt einen eigenen Weg
unabhängig von den USA geht", betonte Wagner und plädierte
für Planungssicherheit in der Grundlagenforschung. Deutschland muss sich in diese
europäischen Projekte integrieren, um mithalten zu können. Mit viel Engagement aufgebaute Netzwerke, etwa zu Wissenschaftlern in Frankreich und Russland, gehen sonst verloren.
Grundlagenforschung in der Raumfahrt macht aber auch deshalb Sinn, weil die Wirtschaft davon weitaus mehr profitiert, als gemeinhin bewusst ist. „Die zukunftsweisende Ausstellung belegt eindrucksvoll, welchen Nutzen die Raumfahrtforschung
für das tägliche Leben hat", bestätigte der Präsident des Landesgewerbeamtes, Dr. Friedrich Bullinger. Anwendungsbeispiele in der Praxis gibt es genug.
Messgeräte aus der Raumfahrt können auch den Sauerstoffgehalt in der Atmung schwerkranker Menschen
überwachen. Eichinstrumente wurden genauer, weil man durch die Erfahrungen im All Abweichungen aufgrund der
Wärmeausdehnung in den Griff bekam. Und auch die
hitzebeständigen faserverstärkten Kunststoffe helfen Otto Normalverbraucher schon heute: in Bremsscheiben eingesetzt sorgen sie
dafür, dass die Urlaubsfahrt über steile Alpenpässe nicht von
heißgelaufenen Bremsen gestoppt wird.
Insgesamt 20.000 Besucher
Außerordentlich zufrieden waren die Veranstalter, nachdem die Raumfahrtschau am 28. Februar ihre Tore geschlossen hatte, mit der Publikumsresonanz: Etwa 15.000 Besucher quer durch alle Alters- und
Bevölkerungsschichten haben sich die Ausstellung angesehen. 20 Gymnasien und Gruppen aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen, insgesamt rund 1.100 Personen, nutzten die Gelegenheit
für Führungen. Auch die Vorträge des Rahmenprogramms waren mit im Durchschnitt 100 Teilnehmern - insgesamt 3.500 - gut besucht.
Nächste Station der Ausstellung war ab Mitte März München, gefolgt von Berlin im Mai, Aachen und Bremen. Im Ausland wird die Schau parallel gezeigt, nach Rio de Janeiro im Juni in Seoul.
/Andrea Mayer-Grenu
KONTAKT
Irmgard Dieringer, Geschäftsstelle des Sonderforschungsbereichs 259,
Pfaffenwaldring 31, 70569 Stuttgart,
Tel. 0711/685-2326,
e-mail: dieringer@irs.uni-stuttgart.de
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