Stuttgarter unikurier
Nr. 91 April 2003 |
Ausstellung - 300 Jahre
Universität Breslau:
Tolerierung statt Toleranz
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Als die Universität Breslau (Wroclaw) am 15. November 2002 ihr
300-jähriges Bestehen feierte, gab sich Prominenz aus Politik und Wissenschaft die Ehre. Das Historische Institut gedachte der einstigen
„Universitas Leopoldina" mit einer kleinen, aber feinen Ausstellung, die von Dezember 2002 bis Januar 2003 in der
Universitätsbibliothek zu sehen war.
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„Wie kaum eine andere Hochschule in Europa stand die Universität
Breslau im Schnittfeld vieler Länder und Kulturen",
begründete Professor Norbert Conrads, Leiter der Abteilung Geschichte der
Frühen Neuzeit, die Motivation zu der in dieser Art einzigen Veranstaltung in Deutschland. „Ihre Geschichte ist zum größeren Teil noch immer deutsche
Universitätsgeschichte." Auch die Uni Stuttgart hat Grund, das
Jubiläum zu feiern: Seit rund 20 Jahren pflegt sie den wissenschaftlichen Austausch mit der Technischen Hochschule in Breslau, der Polytechnika Wroclawska, die aus der Uni Breslau hervorgegangen ist.
Eine Jubelveranstaltung sollte die Ausstellung nicht werden, wie schon der Titel „Die tolerierte
Universität" deutlich machte. Zu wechselvoll war die Geschichte dieser
Universität, die 1702 als habsburgisch-katholische Gründung von Kaiser Leopold I. gestiftet und von den Jesuiten errichtet wurde. Trotz eines in Religionsfragen toleranten Klimas in Schlesien duldeten die Breslauer Ratsherren die
Gründung nur zähneknirschend: „Die selbstbewusste Stadt Breslau wollte kein trojanisches katholisches Pferd in ihren evangelischen
Mauern", verdeutlicht Professor Conrads die Animositäten.
Wechselvolle Geschichte
Noch schärfer wurde der Gegenwind, als Schlesien 1741 unter
preußische Hoheit fiel. Mit der Neuorientierung auf Berlin verlor die katholische Kirche ihre Sonderstellung - und die Leopoldina ihre bisherige Protektion. Als der Papst 1773 den Jesuitenorden aufhob, stand die
Universität Breslau vor dem Aus. Ihr Überleben rettete Friedrich der
Große, sonst eher bekannt für ein ambivalentes Verhältnis zu den Jesuiten. Er
überführte die Universität unter weitgehender Beibehaltung der alten Strukturen in staatliche Obhut und
ermöglichte zaghafte Reformen im Sinne der Aufklärung.
Damit war der Boden für die moderne Universität Breslau bereitet. Diese entstand ab 1811, als die
Universitäten von Frankfurt/Oder und Breslau vereinigt wurden, und genoss bis 1933 einen soliden wissenschaftlichen Ruf. Die danach einsetzenden Repressalien gegen
jüdische Universitätsangehörige und später die Vertreibung der Deutschen
läuteten das Ende der deutschen Universität Breslau ein. Der Unibetrieb erlahmte jedoch nur
vorübergehend: Fortan wurde die Infrastruktur unter polnischer
Führung genutzt und zu einer der größten und modernsten
Universitäten Ostmitteleuropas ausgebaut.
Erstes Jahrhundert im Blickpunkt
Die Stuttgarter Ausstellung konzentrierte sich auf das schwierige erste Jahrhundert nach der
Gründung. Die vergilbten Schriftstücke und alten Stiche
ließen es an Anerkennung für das Geleistete nicht fehlen: Immerhin waren zeitweise 10 000 Studierende an der Leopoldina eingeschrieben, die neben dem Dichter Joseph von Eichendorff vor allem zahlreiche
Bischöfe und Kardinäle hervorbrachte. Die Dokumente warfen aber auch einen kritischen Blick auf das
unübersehbare Akzeptanzproblem, mit dem die Universität zu
kämpfen hatte. Der radikale Umbruch des gesellschaftlichen Klimas traf die Leopoldina mitten in der Aufbauphase. Finanzielle und politische Querelen
ließen die ambitionierten Baupläne der Jesuiten bald ins Stocken geraten, wie alte Bauakten dokumentieren. Das barocke
Gebäude, das einmal auf einer Länge von 200 Metern das Ufer der Oder
säumen sollte, blieb unvollendet. Doch auch in ihrer inneren Struktur blieb die
Universität von Anfang an eine halbe: von den geplanten vier
Fakultäten wurden zunächst nur zwei (Theologie und Philosophie) realisiert.
Schwierige Dokumentenlage
Exponate, die diese Epoche lebendig werden lassen, sind allerdings schwer zu finden, da gerade
für die Zeit der Leopoldina das alte Universitätsarchiv verloren gegangen ist. Dazu kam ein ordenstypisches Problem: bei den frommen Jesuiten trat die Person des Professors hinter der Aufgabe
zurück, weshalb sich nur sehr wenige Wissenschaftler in Kupfer stechen
ließen. Auch Darstellungen des universitäten Alltags sind Mangelware. Dass die Ausstellung dennoch einen umfassenden
Überblick bot, ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass das Historische Institut
über die Jahre einen umfangreichen Buchbestand mit Drucken aus der Zeit vor 1800 aufbauen konnte.
Fächerübergreifende Kooperation
Aber auch eine fächerübergreifende Kooperation mit dem Institut
für Darstellen und Gestalten hatte Anteil daran, dass das barocke Breslau lebendig wurde: In rund 1800 Stunden
minutiöser Kleinarbeit bauten die Architekturstudentinnen und -studenten unter Leitung von Professor Wolfgang Knoll und Werkstattleiter Martin Hechinger ein originalgetreues Modell der Leopoldina, das die stattlichen Dimensionen des
Gebäudes nahe dem Breslauer Stadtzentrum verdeutlicht. Seine vielgestaltigen Fassaden
verkörpern noch heute die Bedeutung, die dem akademischen Geist in dieser an Wirren reichen Zeit trotz allem beigemessen wurde.
/Andrea Mayer-Grenu
Vom 1. März bis 27. April 2003 war die Ausstellung „Die tolerierte
Universität" in Görlitz zu sehen. Weitere Stationen, darunter
Würzburg, sind in Vorbereitung. Nähere Informationen am Historischen Institut,
Tel. 0711/121-2341
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