Gütig lächelte das Konterfei des alten
Liberalen von der Wand des Hörsaals. Entsprach doch das
Geschehen im ehemaligen Physikgebäude der Uni in der
Azenbergstraße bester Heussscher Tradition, wie Rektor
Prof. Dieter Fritsch bei der Begrüßung ausführte: "Heuss
wählte den großen politischen Vortrag als Instrument der
Öffentlichkeitsarbeit, und er setzte dabei Maßstäbe."
Der
in diese Fußstapfen treten wollte, gehört in die Reihe jener Historiker der Nachkriegsgeneration, die ihr Fach als
transnationale Weltgeschichte begreifen: Professor Dr.
Jürgen Osterhammel, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere
Geschichte an der Uni Konstanz und profilierter Fachmann für
europäische und asiatische Geschichte. Und er zählt dabei
zur ersten Garde, wie Lord Ralph Dahrendorf in seiner
Funktion als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung
Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus in seiner Einführung
hervorhob.
Sein Plädoyer für den Liberalismus stellte Prof.
Osterhammel unter die Metapher der "Weltluft". Die solle
dafür sorgen, dass die Idee der Freiheit als grundlegende
Norm menschlichen Zusammenlebens auch jene Staaten öffnet,
die heute noch von autoritären Strukturen geprägt sind.
Während jedoch der wirtschaftliche Liberalismus im Zuge der
Globalisierung weit vorangeschritten ist und auch die
"kulturelle Durchlüftung" Form annimmt, sei die Welt auf
politischem Feld noch keineswegs bei der grenzenlosen
Freiheit angekommen.
Differenziertes Bild
Doch ist nun der Liberalismus eine "weltweit ansteckende
Idee"? Kann gar von einer Globalisierung der Demokratie
gesprochen werden? Osterhammel zeichnete ein differenziertes
Bild. Zweifellos seien liberale Werte im Okzident schon seit
dem 19. Jahrhundert tief verankert. Und auch in Mittel- und
Südamerika sowie in den Staaten des Commonwealth sind die
Ideale von Freiheit und Demokratie - wenngleich manchmal
erst nach Jahrzehnten politischer Wirren - in die
Verfassungen eingegangen. Bemerkenswert sei die Geschichte
der USA: Während manche Historiker das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten mit dem Liberalismus per se gleichsetzen,
betonen andere die Herausbildung des liberalen
Wohlfahrtsstaates - eine stillschweigende Übereinkunft, mit
der erst Ronald Reagan als Advokat des Neoliberalismus und
der Deregulierung gründlich aufräumte.
Als weitgehend Liberalismus-resistent dagegen erwiesen
sich die asiatischen Staaten, so Osterhammel, "und auch in
den islamistischen Ländern hat die Weltluft noch wenig
bewegt." Die Skepsis dort hat vielschichtige Gründe. Einer
davon: "Die größten Massaker der Weltgeschichte wurden auf
dem Boden des Abendlandes ausgeübt." Dennoch bestehe
Hoffnung: So habe die Türkei unter Staatspräsident Kemal
Atatürk liberale Ideen durchgesetzt und ein modernes
Staatswesen westeuropäischer Prägung geschaffen -
"wenngleich mit wenig liberalen Methoden".
Vorsicht mit Prognosen
Auch Taiwan zog Prof. Osterhammel als Positiv-Beispiel
heran, "und die eigentlichen Kämpfe um den Liberalismus
spielen sich heute in Ländern wie der Sowjetunion und dem
Iran ab." Osterhammel warnte denn auch zur Vorsicht im
Umgang mit Prognosen: "Politik ist ein Möglichkeitsrahmen.
Entwicklungen determinieren kann sie nicht."
Was der faktenreiche Vortrag ausließ, entstand beim
Stehempfang im Foyer: Hitzige Debatten um die Dimension
liberaler Werte in der aktuellen Politik hier zu Lande.
Diese Diskussion im Hörsaal auszutragen, wäre auch gute
Heusssche Tradition gewesen. Andrea Mayer-Grenu
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