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Stuttgarter unikurier Nr. 93 April 2004
Heuss-Gedächtnis-Vorlesung 2003:
Liberalismus als ansteckende Idee

Die Entwicklung des Liberalismus und seine Wirkung rund um den Globus waren das Thema der Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung am 12. Dezember 2003. Festredner anlässlich des 40. Todestages des ersten Deutschen Bundespräsidenten war der Kon-stanzer Historiker Prof. Dr. Jürgen Osterhammel.
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Gütig lächelte das Konterfei des alten Liberalen von der Wand des Hörsaals. Entsprach doch das Geschehen im ehemaligen Physikgebäude der Uni in der Azenbergstraße bester Heuss’scher Tradition, wie Rektor Prof. Dieter Fritsch bei der Begrüßung ausführte: "Heuss wählte den großen politischen Vortrag als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit, und er setzte dabei Maßstäbe."

Der in diese Fußstapfen treten wollte, gehört in die Reihe jener Historiker der Nachkriegsgeneration, die ihr Fach als transnationale Weltgeschichte begreifen: Professor Dr. Jürgen Osterhammel, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Uni Konstanz und profilierter Fachmann für europäische und asiatische Geschichte. Und er zählt dabei zur ersten Garde, wie Lord Ralph Dahrendorf in seiner Funktion als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus in seiner Einführung hervorhob.

Sein Plädoyer für den Liberalismus stellte Prof. Osterhammel unter die Metapher der "Weltluft". Die solle dafür sorgen, dass die Idee der Freiheit als grundlegende Norm menschlichen Zusammenlebens auch jene Staaten öffnet, die heute noch von autoritären Strukturen geprägt sind. Während jedoch der wirtschaftliche Liberalismus im Zuge der Globalisierung weit vorangeschritten ist und auch die "kulturelle Durchlüftung" Form annimmt, sei die Welt auf politischem Feld noch keineswegs bei der grenzenlosen Freiheit angekommen.

Differenziertes Bild

Doch ist nun der Liberalismus eine "weltweit ansteckende Idee"? Kann gar von einer Globalisierung der Demokratie gesprochen werden? Osterhammel zeichnete ein differenziertes Bild. Zweifellos seien liberale Werte im Okzident schon seit dem 19. Jahrhundert tief verankert. Und auch in Mittel- und Südamerika sowie in den Staaten des Commonwealth sind die Ideale von Freiheit und Demokratie - wenngleich manchmal erst nach Jahrzehnten politischer Wirren - in die Verfassungen eingegangen. Bemerkenswert sei die Geschichte der USA: Während manche Historiker das Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit dem Liberalismus per se gleichsetzen, betonen andere die Herausbildung des liberalen Wohlfahrtsstaates - eine stillschweigende Übereinkunft, mit der erst Ronald Reagan als Advokat des Neoliberalismus und der Deregulierung gründlich aufräumte.

Als weitgehend Liberalismus-resistent dagegen erwiesen sich die asiatischen Staaten, so Osterhammel, "und auch in den islamistischen Ländern hat die Weltluft noch wenig bewegt." Die Skepsis dort hat vielschichtige Gründe. Einer davon: "Die größten Massaker der Weltgeschichte wurden auf dem Boden des Abendlandes ausgeübt." Dennoch bestehe Hoffnung: So habe die Türkei unter Staatspräsident Kemal Atatürk liberale Ideen durchgesetzt und ein modernes Staatswesen westeuropäischer Prägung geschaffen - "wenngleich mit wenig liberalen Methoden".

Vorsicht mit Prognosen

Auch Taiwan zog Prof. Osterhammel als Positiv-Beispiel heran, "und die eigentlichen Kämpfe um den Liberalismus spielen sich heute in Ländern wie der Sowjetunion und dem Iran ab." Osterhammel warnte denn auch zur Vorsicht im Umgang mit Prognosen: "Politik ist ein Möglichkeitsrahmen. Entwicklungen determinieren kann sie nicht."

Was der faktenreiche Vortrag ausließ, entstand beim Stehempfang im Foyer: Hitzige Debatten um die Dimension liberaler Werte in der aktuellen Politik hier zu Lande. Diese Diskussion im Hörsaal auszutragen, wäre auch gute Heuss’sche Tradition gewesen. Andrea Mayer-Grenu

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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