Reinhard Döhl
Ehe „Profilbildung“ den Universitäten und Instituten als
Aufgabe verordnet wurde (die sie dann durch Anpassung an den
Trend erledigen, so dass überall das gleiche
Durchschnittsgesicht zu sehen ist), hatten sie wirklich ein
Profil. In den sechziger Jahren verband sich mit den
Geisteswissenschaften in Stuttgart die Vorstellung einer „Stuttgarter
Schule“. Ihr Meister war der Wissenschafts-theoretiker Max
Bense, der mathematische Methoden, naturwissenschaftliche
Strenge, poetische Fantasie und intellektuelle Ausstrahlung
so originell verband, dass er eine große Zahl
experimenteller Dichter nach Stuttgart zog: Franz Mon, Eugen
Gomringer, Ernst Jandl, Ludwig Harig - und auch Reinhard
Döhl, der während seines Studiums in Göttingen auf diese
Gruppe aufmerksam geworden war. Auch Wissenschaftler an der
Technischen Hochschule ließen sich durch den Umgang mit
Bense inspirieren, so der Mathematiker Rul Gunzenhäuser, der
Germanist Helmut Kreuzer - und auch Reinhard Döhl, der in
Stuttgart Assistent an Fritz Martinis Lehrstuhl für deutsche
Literatur geworden war.
Döhl war, in Deutschland eine Seltenheit, Poet und Philologe
zugleich. Als Philologe war er streng: Seine Bücher über
Dada und das Hörspiel, seine Mitarbeit an einer Ausgabe von
Wielands Werken, seine Aufsätze zu Wilhelm Raabe sind um
Exaktheit, Materialfülle und literatur-historische Fakten mit
einem geradezu positivistischen Ethos bemüht. Als Poet war
er witzig: Seine Dichtung bevorzugt knappe spielerische
Formen, Gedichte, kurze Szenen, Aphorismen. Sein
Apfel-Gedicht - das vervielfältigte Wort „Apfel“ ergibt
selbst den Umriss eines Apfels, wird jedoch an einer Stelle
durch das ominöse Wort „Wurm“ unterbrochen - ist eine Ikone
der konkreten Poesie geworden und hat in zahlreiche
Schulbücher Eingang gefunden.
Nicht genug mit dieser Doppel-beschäftigung - Döhl
demonstrierte seine Doppelbegabung mit Zeichnungen und
Malereien, die mitunter in Stuttgarter Ausstellungen zu
sehen waren. Dazu initiierte er Ausstellungen in der
Staatsgalerie, so über Bilder und Verse des Bänkelsangs und
über die Architektur-phantasien Hermann Finsterlins. Nicht
den klassischen Größen des Bildungskanons galt also seine
Aufmerksamkeit, sondern den Experimenten der Avantgarde und
den zu Unrecht vergessenen Seitenwegen der Kunst- und
Literaturgeschichte. In den letzten Jahren wandte er sich
den allerneuesten ästhetischen Medien zu, der Computerkunst
und der Internetliteratur.
Reinhard Döhl wurde 1934 in Wattenscheid geboren. Von 1965
bis 1998 war er Mitarbeiter an der Abteilung Neuere deutsche
Literatur I des Instituts für Literaturwissenschaft, zuletzt
als Akademischer Oberrat und außerplan-mäßiger Professor. Er
sammelte eine große Schar anhänglicher Studenten um sich. Er
hätte allen Grund gehabt, mit seinen Leistungen und seiner
Anerkennung innerhalb und außerhalb Deutschlands zufrieden
zu sein. Aber er konnte mit der Welt, wie sie ihn umgab,
nicht glücklich werden: nicht mit der Stadt, nicht mit dem
Literatur- und Wissenschaftsbetrieb der letzten Jahrzehnte
und nicht mit seiner Existenz. Zunehmend wurde er von
schweren Krankheiten heimgesucht; der letzten erlag er am
29. Mai 2004.
Heinz Schlaffer
Wer die „Spurensicherung“ für
Reinhard Döhl in Stuttgart unterstützen möchte, ist herzlich
eingeladen, zur Finanzierung der Gedenktafel beizutragen.
Spenden werden erbeten an den Universitätsbund Tübingen (Kontonummer
110 608, BLZ 641 50020) bei der Kreissparkasse Tübingen. Als
Betreff sollte „Raff - Gedenktafel Döhl“ angegeben werden.
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Martin Greiffenhagen
„Die Bedeutung eines Forschers liegt in der
Nachhaltigkeit seines Wirkens. Nachhaltigkeit unterscheidet
den großen Gelehrten vom Professor, der das Feld seiner
Disziplin bestellt, den Wissensbestand seines
Spezialgebietes zuverlässig tradiert, ihn um einige
Erkenntnisse mehr, im Übrigen sich aber in die Kette seiner
Vorgänger und Nachfolger unauffällig einfügt. Nachhaltigkeit
beweist sich dazu häufig in einer Wirkungsmächtigkeit, die
auch andere Forschungsfelder als das ursprünglich eigene
tangiert.“
Diese Worte stammen von Martin Greiffenhagen
selbst. Er sagte sie über Norbert Elias bei einem Kolloquium
zu dessen 100. Geburtstag. Nachhaltigkeit, wie von Martin
Greiffenhagen so anschaulich beschrieben, findet sich auch
in seinem eigenen Wirken. Durch die oft unbequeme Art, Dinge
zu sehen, und die Weigerung, sich eindeutig auf ein
politikwissenschaftliches Paradigma festzulegen, saß er zwar
einerseits „zwischen den Stühlen“ der
politikwissen-schaftlichen Profession. Andererseits konnte er
aber in diesem Zwischen-Raum Werke publizieren, die
Generationen von Studierenden, die sich mit der politischen
Kulturforschung befasst haben, oft stärker beeinflussten und
beeindruckten als viele andere Werke. Darüber hinaus - und
auch dies ist Nachhaltigkeit - gelang es ihm, eine breite
Öffentlichkeit für politikwissenschaftliche Fragestellungen
zu interessieren und mit seinen zahlreichen Publikationen
nicht nur das Fachpublikum anzusprechen. Aus der langen
Liste seiner Publikationen besonders hervorzuheben ist der
Titel „Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im
vereinigten Deutschland“, den Martin Greiffenhagen erstmals
1979 gemeinsam mit seiner Frau Sylvia veröffentlichte. Die
überarbeite Fassung wurde 1994 als politisches Buch des
Jahres ausgezeichnet. Auch nach seiner Emeritierung blieb
Martin Greiffenhagen wissenschaftlich aktiv. 2002 gab er,
wieder zusammen mit seiner Frau, als letztes großes Werk die
überarbeitete Neuauflage des 1981 erstmals erschienenen
„Handwörterbuchs zur politischen Kultur der Bundesrepublik
Deutschland“ heraus. Nachhaltige Spuren hinterließ er nicht
nur in der Politikwissenschaft: So befasste er sich zum
Beispiel mit dem Thema „Pfarrerskinder“ (1982), das für ihn
als Sohn eines Pastors zugleich ein Lebensthema war, oder
auch mit den Geheimnissen des Glücks („Das Glück. Realitäten
eines Traums“, 1988). Es war ihm wichtig, wissenschaftliche
Erkenntnisse für gesellschaftliche Probleme nutzbar zu
machen. Von nachhaltiger Wirkung dürfte somit auch sein
stetiges Bemühen um die Verbindung von Wissenschaft und
Praxis sein.
Nach einer Buchhandelslehre studierte er von 1950
bis 1956 in Heidelberg, Göttingen, Birmingham und Oxford
Philosophie und Sozialwissenschaften. 1956 promovierte er in
Heidelberg bei Karl Löwith mit einer Arbeit über den
englischen Theologen Jeremy Taylor. 1965 wurde er Ordinarius
für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart. Dieser
Hochschule blieb er - lediglich durch eine Gastprofessur in
Wien unterbrochen - bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1990
treu. Er legte wichtige Grundsteine für die heutige Gestalt
der politikwissenschaftlichen Abteilungen. Regelmäßig
publizierte er in den verschiedensten Bereichen, etwa zur
Ideengeschichte oder zur Rolle der Intellektuellen in der
Politik, und immer wieder über Fragen der politischen
Kulturforschung. Er war unter anderem 1991/1992
Gründungsbeauftragter an der PH Erfurt oder wirkte als
wissenschaftlicher Berater, beispielsweise für Willy Brandt,
und reiste jahrelang im Auftrag des Goetheinstitutes durch
die Welt. Martin Greiffenhagen starb am 2. Juni 2004 im
Alter von 75 Jahren in Esslingen.
Katja Neller
Klaus Strobach
Am 5. August 2004 ist Klaus Strobach, emeritierter
Ordinarius für Geophysik, in Geislingen im Alter von 84
Jahren friedlich verstorben.
1920 geboren, konnte Klaus Strobach erst nach dem Krieg
im Alter von 27 Jahren in Hamburg sein Abitur nachholen und
mit dem Studium der Geophysik beginnen. Vorher war er als
Vermessungsingenieur ausgebildet und 1940-45 bei der
Versuchsstelle der Luftwaffe in Peenemünde
dienstverpflichtet worden. Die weitere Laufbahn war
geradlinig: Diplom, Heirat, Promotion, Assistentenstelle,
Habilitation, Gastprofessur in den USA, 1964 Berufung zum
ordentlichen Professor für Geophysik an der Freien
Universität Berlin. Von dort wechselte er 1969 an die
Universität Stuttgart, wo der früher am Statistischen
Landesamt angesiedelte Landes-Erdbebendienst als Institut
für Geophysik an die Universität angeschlossen worden war.
Prof. Strobach leitete das Institut bis zu seiner
Emeritierung 1988. Seine Arbeitsgebiete waren die
mikro-seismische Bodenunruhe, Refraktionsseimik,
Plattentektonik und die Entwicklung eines
Nahbeben-seismographen. Von 1971 bis 1973 war er Dekan des
Fachbereichs Geo-und Biowissenschaften.
Prof. Strobachs vielfältige wissenschaftlichen
Interessen reichten weit über das eigene Fachgebiet hinaus.
In Vorlesungen, Vorträgen und Buchveröffentlichungen hat er
die großen Themen der Naturwissenschaft, von der Kosmologie
bis zur Entwicklung des Lebens auf der Erde, einem weiten
Kreis von Hörern und Lesern in anschaulicher Weise nahe
gebracht. Sein reich bebildertes, populärwissenschaftliches
Buch „Vom Urknall zur Erde“ (1990) und seine
fachübergreifende Darstellung „Unser Planet Erde - Ursprung
und Dynamik“ (1991) fassen den aktuellen Stand des Wissens
zusammen, lassen aber auch erkennen, dass die Frage nach dem
Sinn für den Naturwissenschaftler kein Tabu ist. Wir werden
Klaus Strobach als anregenden Gesprächspartner und
warmherzigen Kollegen in Erinnerung behalten.
Erhard Wielandt, Götz Schneider
Herbert Uetz
Am 14. Mai 2004 verstarb Prof. Dr.-Ing. Herbert Uetz
im Alter von 84 Jahren in Winterbach bei Schorndorf. Er war
ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der
Werkstoffkunde und insbesondere dem Fachgebiet Verschleiß,
Reibung, Schmierung - Tribologie.
1919 in Schwäbisch
Gmünd geboren, studierte Herbert Uetz an der damaligen
Technischen Hochschule Stuttgart Maschinenbau und wurde 1949
Assistent an der Staatlichen Materialprüfungsanstalt der TH
Stuttgart bei Prof. Siebel und dessen Nachfolger Prof.
Wellinger. Er war dort mit Aufgaben der Werkstoffkunde,
Materialprüfung und Schadensforschung von Werkstoffen des
allgemeinen Maschinenbaus befasst. Sehr schnell vertiefte er
sich in das Spezialgebiet der Tribologie und promovierte
1955 mit einer Arbeit über abrasiven Verschleiß.
Die um das Jahr 1960 begonnene Entwicklung von
hochbelastbaren Kunststoff-gleitlagern für Brückenbauwerke
hat er maßgeblich mit geprägt. Durch das vertiefte
Verständnis der tribologischen Grundlagen und der
Berücksichtigung der Anforderungen der Praxis konnten
Kriterien geschaffen werden, die eine sichere Auslegung
solcher Lager gewährleisteten und damit den Bau
weitgespannter gekrümmter Brückenbauwerke ermöglichte.
Herbert Uetz hat fast vier Jahrzehnte lang
wesentlich die Verschleißforschung in Deutschland
mitgestaltet und mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten
entscheidenden Einfluss auf die Bemühungen zur Verminderung
von Reibung und Verbesserung der Betriebssicherheit und
Nutzungsdauer von Maschinen genommen. Seine beiden Bücher
„Abrasion und Erosion“ und „Tribologie der Polymere“
stellten Standardwerke in der seinerzeit noch jungen
Tribologieforschung dar. Als Experte auf seinem Gebiet war
er national und international anerkannt. Für seine Arbeiten
wurde er unter anderem mit dem goldenen
Georg-Vogelpohl-Ehrenzeichen und der Karl-Wellinger-Medaille
geehrt. Herbert Uetz hat sich auch in der Lehre verdient
gemacht und sein Wissen über Tribologie an Studierende
weiter gegeben.
An der Staatlichen Materialprüfungsanstalt war er
ab 1963 als Oberingenieur, dann als Hauptabteilungsleiter
und seit 1974 als stellvertretender Direktor tätig. 1984
trat er nach rund 35-jähriger Tätigkeit in den Ruhestand.
Auch nach seiner aktiven Karriere blieb er der MPA Stuttgart
und der Universität verbunden und nahm an zahlreichen
Seminaren und Veranstaltungen teil.
Die MPA Stuttgart und die ehemaligen Mitarbeiter
werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Dietrich Lenz
Am 16. Juni 2004 verstarb der Ehrensenator der
Universität Stuttgart und Aufsichtsratsvorsitzende der
Ed. Züblin AG Dipl.-Ing.Dietrich Lenz im Alter von 79
Jahren. Dietrich Lenz hat unter dem Motto „Jugend und
Forschung sind die Zukunft!“ die Universität Stuttgart
über die Ludwig-Lenz-Stiftung vielfach unterstützt.
Die Universität Stuttgart wird ihn in dankbarer
Erinnerung behalten.
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