Vor allem geometrische Zusammenhänge waren mit den damaligen
Methoden nicht darstellbar. Winkel und Dreiecke mussten
deshalb in Worten beschrieben werden - was der jungen Frau
einige Phantasie abverlangte. „Um zu erklären, wie eine
Tangentialebene eine Kugel berührt, verglich ich die Figur
mit einer Orange und die Gerade mit Stricknadeln, die sie
durchstoßen und schließlich wie Vektoren eine Ebene
aufspannen“, erinnert sich Schweikhardt amüsiert.
Informatik als Ausweg
Einen Ausweg versprach sich die gebürtige Stuttgart-erin von
dem neuen Fach Informatik, in dem Schweik-hardt 1981 mit
einer
Dissertation zum Thema „Eine rechnergestützte Lern- und
Arbeitsumgebung für Blinde“ promovierte. Doch nicht jeder
erkannte das Potential der neuen Technologie: Doktorvater
Prof. Rul Gunzenhäuser, selbst Pionier auf dem Feld
rechner-gestützten Lernens, konnte sich nicht vorstellen, wie
sie ihr Vorhaben verwirklichen wollte. Und auch die Lehrer
an den Blindenschulen waren skeptisch.
Waltraud Schweikhardt kämpfte mit Begeisterung und
Beharrlichkeit - und hatte schließlich Erfolg. 1980 konnten
Blinde erstmals am Computer mit geomet-rischen Figuren
arbeiten. Die Software Kotexa (Konstruktionsauswerter)
erlaubte es, Anweisungen, die in natür-licher Sprache
eingetippt wurden, in gedruckte geometrische Zeichnungen
umzusetzen. „Es war erstaunlich, wie Blinde im Dialog mit
dem Programm eine Figur begreifen konnten“, sagt
Schweikhardt. Der verwendete Mikro-rechner bildete erstmals
eine Braille-Zeile ab, auf der die textlichen Ein- und
Ausgaben der blinden Benutzer in Punktschrift wiedergegeben
wurden.
Ein weiterer Meilenstein war die „Stuttgarter
Mathematikschrift für Blinde“ (SMSB), eine
Acht-Punkt-Schrift, mittels derer die Darstellung
mathematischer Ausdrücke an einem Rechner nutzbar wurde.
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Beim Lambda-Day in der Stuttgarter Nikolauspflege kamen
blinde Schüler und ihre Lehrer mit dem Editor schnell
zurecht. (Foto: Eppler) |
Figuren übertasten
Plastisch fühlen konnten Blinde Grafiken und Bilder aber
erst 1984. Dies ermöglichte eine eigens entwickelte
Stiftplatte, ein graphisch-es Ausgabegerät, an dessen
erhabenen Punkten Blinde beispiels-weise einen Kurvenverlauf
ertasten können. Damit hatten Blinde 1987 einen Zugang zu
einem öffentlichen elektronischen Kommuni-kationsmittel. Mit
dem Aufkommen der ersten Scanner konnte Blinden auch hoch
auflösende gedruckte Dokumente zugänglich gemacht werden,
wozu spezielle Algorithmen entwickelt wurden.
Auch an der Uni engagierte sich Schweikhardt, zu deren
engsten Mitarbeitern am Institut der blinde Programmierer
Alfred Werner gehört, immer wieder für neue Methoden des
Lehren und Lernens und bezieht Sehgeschädigte ein. So
bereitete sie im Rahmen des Uni-weiten Projekts „100-Online“
ihre Vorlesung „Rechnergestütz-tes Lehren und Lernen“ für
Blinde auf und hält eine Vorlesung mit dem Titel „Interaktive
Systeme für sensorisch Behinderte“.
Amg
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