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Überlebenskünstler bei Temperatur- und Klimaschwankungen:
Bärtierchen in aktivem und als Tönnchen in dehydriertem
Zustand.
(Quelle: Institut) |
Das Untersuchungsobjekt hat acht kurze Beinchen und ist
rund um den Globus verbreitet: Sechshundert Bärtier-chenarten
sind bisher bekannt. Die größten darunter bringen es auf
einen Millimeter Länge, die meisten jedoch nicht einmal auf
die Hälfte. Ganz groß sind die Winzlinge dagegen, wenn es um
die Anpassung an extreme Temperatur- und Klimaschwankungen
geht. Trocknet ihr Lebensraum aus, schrumpfen viele
Bärtierchen-Arten zu kleinen Tönnchen ohne sichtbaren Kopf
und Gliedmaßen. Und in diesem Zustand halten sie einiges aus:
Während ein frisch geschlüpftes Bärtierchen im aktiven
Zustand auf eine Lebenserwartung von eben mal 56 Tagen
hoffen darf, können die trockenen Tönnchen bei minus 220
Grad in flüssigem Stickstoff jahrelang überdauern.
Kurzfristig ertragen sie sogar Temperaturen von 96 Grad
Celsius, und auch hoch dosierte Röntgenstrahlen setzen ihnen
so schnell nicht zu. Dieser Zustand eines Organismus, der
keine offensichtlichen Lebenszeichen mehr aufweist und in
dem keine metabolische Aktivität mehr nachweisbar ist, wird
als Kryptobiose bezeichnet. Geduldig überdauern so die
Tönnchen, bis sich die Umfeldbedingungen zum Besseren wenden.
Dann nehmen sie wieder Gestalt an und werden aktiv .
Schutz durch Hitzeproteine
Dass das molekulare Inventar der Körperzellen keinen
Schaden nimmt, ist vermutlich unter anderem so genannten
Hitzeschock-Proteinen zuzuschreiben, hatte Dr. Ralph Schill
bereits im Rahmen seiner früheren Forschungstätigkeit an der
Uni Tübingen herausgefunden. Hitzeschock-Proteine,
insbesondere die Hsp70 Gruppe, unterstützen eine Faltung neu
synthetisierter Proteine, schützen sie gegenüber
stressbedingter Denaturierung und Aggregation und sind auch
an der Renaturierung und am transmembranösen Transport von
Proteinen beteiligt. Drei solcher Hsp70 Gene ließen sich in
der Erbsubstanz des Bärtierchens erstmals aufspüren. Je nach
Lebenszustand werden die drei Gene unterschiedlich stark
abgelesen. Beim Übergang eines aktiven Bärtierchens in den
Zustand der Kryptobiose zeigte sich, dass zwei Gene geringer
abgelesen werden, das andere hingegen jedoch deutlich
stärker. Es scheint, dass das letztere bei der
Zell-stabilisierung eine wichtige Rolle spielt.
Die Mechanismen, die es Zellen ermöglichen,
vollständig einzutrocknen oder zu gefrieren und trotzdem
ihre Vitalität zu bewahren, sind von großem
biotechnologischen Interesse bei der Zell- bzw.
Membranstabilisierung. So steigt in der medizinischen
Forschung der Bedarf an Biobanken zur langfristigen
Speicherung von Zellen und Geweben für die Diagnostik.
Speziell im Bereich der „individualisierten Medizin“ sind
Studien über Mechanismen der Zellstabilisierung notwendig.
Das erst vor kurzem genehmigte DGF-Projekt „Molekularbiologische
Mechanismen der Kryptobiose bei Tardigraden“ (Momenta) von
Ralph Schill hat eine möglichst umfangreiche
Charakterisierung von molekularbiologischen
Toleranzmechanismen bei Bärtierchen zum Ziel.
Schill/amg
KONTAKT
Dr. Ralph O. Schill
Biologisches Institut, Zoologie
Tel. 0711/ 685-5092
e-mail:
ralph.schill@bio.uni-stuttgart.de