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Stuttgarter unikurier Nr. 95 Mai 2005
Sprachforschung II:
Suppe oder Sippe?

Laute und Silben werden beim Spracherwerb in Form stabiler Modelle gespeichert, Sprachmelodie, Betonung und Sprechtempo dagegen nicht. So lautet vereinfacht eine Hypothese der Phonetiker. Ob sie in dieser strengen Form haltbar ist, untersuchten Wissenschaftler am Institut für Maschinelle Sprach-verarbeitung (IMS) in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt.
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Wenn Menschen im Erwachsenenalter einen Hörverlust erleiden, ist nicht nur ihr auditives Sprachverstehen betr-offen, sondern auch das Sprechen. Während die Produktion von Lauten, Silben und Wörtern noch über längere Zeit, manchmal über Jahre, stabil und verständlich bleibt, leidet die so genannte Prosodie der sprachlichen Äußer-ungen unmittelbar. Unter dem Begriff Prosodie werden Sprachmelodie, Betonung, Phrasierung, Lautstärke und Sprechtempo zusammengefasst. Offenbar sind prosodische Eigenschaften beim Sprechen stärker auf eine un-mittelbare auditorische Rückmeldung angewiesen als segmentale, das heisst laut- und silbenorientierte, Merk-male. Daraus haben Phonetiker die Hypothese abgeleitet, dass segmentale Produktionsziele, wenn sie im Spracherwerb einmal gelernt wurden, in Form stabiler und robuster Modelle gespeichert sind, prosodische Merkmale jedoch nicht.

Prosodische Mermale

Die Arbeitsgruppe um Prof. Grzegorz Dogil und Dr. Bernd Möbius konnte nun jedoch zeigen, dass auch einige prosodische Merkmale stabile Produktionsziele besitzen. Besonders deutlich wird dies im fremdsprachlichen Akzent. Dieser entsteht dadurch, dass sich die im Erstspracherwerb gelernten Klangvorstellungen nicht so einfach durch die der Zweitsprache ersetzen lassen, sondern auf sie abfärben, und zwar nicht nur auf der laut-lichen, sondern eben auch auf der prosodischen Ebene. Häufig erkennt man einen Ni.htmluttersprachler an seiner Sprachmelodie und weniger an seiner Aussprache.
 


Kategoriale Wahrnehmung

Ein weiteres Ergebnis: Nicht nur Sprachlaute, sondern auch prosodische Merkmale werden kategorial wahrgeno-mmen. Kategoriale Wahrnehmung liegt vor, wenn der Hörer von der konkreten akustischen Realisierung sprach-licher Äußerungen abstrahieren und auf die zugrunde liegenden Lautkategorien schließen kann. Auf diese Weise kann der Hörer den ersten Konsonanten in „Suppe“ und in „Sippe“ jeweils als stimmhaftes „s“ identifizieren, obwohl sich die akustischen Spektren der beiden „s“-Versionen durch den Einfluss des folgenden Vokals stark unterscheiden. Die Stuttgarter Forscher konnten nachweisen, dass auch prosodische Grenztöne kategorial wahrgenommen werden, also die Tonhöhenbewegungen, die anzeigen, ob ein Satz als Frage oder Aussage gesprochen wurde.

 Das Projekt ist als Grundlagenforschung einzustufen, doch sollen die Ergebnisse auch in der angewandten Forschung eingesetzt werden. Die Modelle werden derzeit in ein Sprachsynthesesystem integriert, das gesch-riebenen Text in gesprochene Sprache konvertiert. Wenn die Modelle die menschliche Sprachproduktion adäquat beschreiben, sollte sich dies auch in einer natürlicheren und veständlicheren Sprachsynthese niederschlagen.

Bernd Möbius/amg

 

KONTAKT

Prof. Dr. Grzegorz Dogil
Institut für Maschinelle
Sprachverarbeitung
Tel. 0711/121-1379
Fax 0711/121-1366
e-mail: grzegorz.dogil@ims.uni-stuttgart.de

 

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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