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Stuttgarter unikurier Nr. 95 Mai 2005

....Studieren gegen Gebühr....Studieren gegen Gebühr....Studieren gegen Gebühr....Studieren gegen

 

Ende Januar 2005 hat das Bundesverfassungsgericht den Weg für die Einführung von Studiengebühren frei gemacht. Nun ist es an den Ländern, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen. Baden-Württemberg will eine Studiengebühr von zunächst 500 Euro pro Semester zum Wintersemester 2007/08 einführen. Als „gute Investition der Studierenden in ihre Zukunft“ sieht Uni-Rektor Prof. Dieter Fritsch, der die Einnahmen für die Verbesserung der Lehre verwenden will, sozialverträglich gestaltete Gebühren. Allerdings dürfe das Land sich keinesfalls weiter aus der Grundfinanzierung zurückziehen. Viele Studenten und Studentinnen der Uni Stuttgart lehnen Gebühren als „sozial ungerecht“ ab. Ihrer Forderung an die Landesregierung, auch weiterhin ein gebührenfreies Erststudium zu garantieren, verliehen sie im Sommersemester mit einem Vorlesungsboykott, Demonstrationen und Aktionen Ausdruck. Wenn Studiengebühren kommen - und damit ist zu rechnen - wird sich die Hochschulland-schaft in Deutschland gründlich verändern. Und es gibt eine ganze Reihe von Fragen: Wird es Wanderungsbewegungen in noch gebührenfreie Bundesländer geben? Werden dann wirklich - wie oft befürchtet - die Kinder aus ärmeren Familien auf ein Studium verzichten? Werden die Stipendiensysteme funktionieren? Wird die Qualität der Lehre steigen? Werden die Studentenzahlen drastisch sinken? Der unikurier hat die aktuelle Diskussion zum Anlass genommen, das Für und Wider von Studiengebühren zu beleuchten.                             zi
 

  Pro

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„Studiengebühren sind gerechter“

Der Volkswirtschaftler Prof. Frank C. Englmann betrachtet Studiengebühren aus der Sicht seiner Disziplin. Der geschäftsführende Direktor des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht hält - entsprechend ausgestaltete Systeme vorausgesetzt - Gebühren für eine Hochschulausbildung aus Effizienz- und Verteilungsgesichtspunkten für wünschenswert.

 

 Öffentliche Güter lassen sich durch zwei Eigenschaften kennzeichnen: Rivalität und Ausschließbarkeit.
Rivalität bedeutet, dass die Nutzung eines Gutes durch eine Person die Nutzung durch andere Personen verringert; Ausschließbarkeit, dass Personen an der Nutzung eines Gutes gehindert werden können. Diese Ausschließbarkeit ist bei universitären Ausbildungs-leistungen gegeben. Universitäre Ausbildungsleistungen sind also im ökonomischen Sinne private Güter, sofern aufgrund voll ausgelasteter Ausbildungskapazitäten Rivalität besteht, oder Club-Güter, sofern unausgelastete Kapazitäten vorliegen. In beiden Fällen spricht unter Effizienzgesichtspunkten alles für eine zumindest partielle Kostendeckung der Ausbildungsleistungen durch die Studierenden.

 Investitionen in Humankapital führen im Allgemeinen zu positiven externen Effekten. Dies rechtfertigt eine Subventionierung der Ausbildung im Ausmaß dieser externen Effekte. Allerdings schlagen sich Humankapital-investitionen meist auch in höheren Lebenseinkommen nieder, so dass die derzeitige annähernd hundert-prozentige Subventionierung der Humankapitalinvestitionen nicht gerechtfertigt erscheint. Aufgrund der davon ausgehenden Leistungsanreize sollte die Subventionierung in jedem Fall über Stipendien erfolgen, nicht über den generellen Verzicht auf Kostendeckung.
 

Frank C. Englmann.

 Bei Humankapitalinvestitionen ergibt sich, wie bei Investitionen üblich, ein Finanzierungsproblem, da die unsicheren Einzahlungen später als die sicheren Auszahlungen anfallen. Hier besteht das Problem eines Marktversagens aufgrund von Kreditrationierung, sofern keine ausreichenden Sicherheiten gestellt werden können. Dem kann jedoch durch staatliche Ausfallbürgschaften begegnet werden. Auf diese Weise beteiligt sich der Staat außer am Erfolg (über höhere Steuern) auch an den Risiken von Humankapitalinvestitionen.

 Dennoch kann die Aussicht auf Schulden am Ende des Studiums junge Leute vom Studium abschrecken, auch wenn die Erfahrungen in Großbritannien und Australien solche Befürchtungen nicht bestätigen. Eine eventuell abschreckende Wirkung kann verringert werden, indem die Rückzahlungsverpflichtung an die tatsächliche Einkommens-erzielung geknüpft wird.

 Oft wird verteilungspolitisch argumentiert, Studiengebühren würden Kinder aus einkommens-schwächeren Familien benachteiligen. Untersuchungen (vgl. etwa Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaft-lichen Entwicklung: Jahresgutachten 1998/99, S. 251f.) haben allerdings ergeben, dass sich bei Betrachtung der Verteilung von Steuerzahlungen und Nutzungen staatlich finanzierter Hochschulausbildungen auf verschiedene Haushaltsgruppen eine Umverteilung von Nicht-Akademikern zu Akademikern ergibt. Da die durchschnittlichen Lebenseinkommen von Akademikerhaushalten höher sind als jene von Nicht-Akademikerhaushalten, führt der Verzicht auf Studiengebühren zu einer Umverteilung von unten nach oben.
 Zusammenfassend gilt, dass entsprechend ausgestaltete Systeme von Studiengebühren oder Bildungsbeiträgen sowohl unter Effizienz- als auch unter Verteilungsgesichtspunkten wünschenswert sind. Frank C. Englmann

 

 

 

 


 
Stuttgarter unikurier Nr. 93 April 2004 - Nachrichten & Berichte
 

 

 

 

 
 

  Contra

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„Gebühren wirken abschreckend“

Denkanstöße gegen allgemeine Studiengebühren haben Dr.-Ing. Manfred König und Dr. Christina Wege notiert. Sie befürchten insbesondere eine abschreckende Wirkung von Studiengebühren auf junge Menschen aus ärmeren Familien, eine wachsende „Anspruchs- und Konsumhaltung“ und einen verstärkten Trend zum „Schmalspurstudium“. Zudem sind die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen und des Biologischen Instituts überzeugt, dass die Nettoeinnahmen aus 500 Euro pro Semester die Finanzprobleme der Hochschulen nicht lösen.

 

Manfred König
und Christina Wege.

Eine weltoffene Wissensgesellschaft wird sich nur dann international positionieren, wenn ihr Bildungsniveau stetig steigt und dies alle Bevölkerungskreise einbezieht - auch die finanzschwachen. Studiengebühren sollen, so heißt es, für ärmere Familien keine Zusatz-Belastung werden. Die Argumente liefern Experten. Viele Entscheidungen werden jedoch nicht rational, sondern nach dem Gefühl getroffen. Kinder einer Handwerkerfamilie werden ihre Eltern trotz „sozialverträglicher Gebühren“ auf der Basis langfristiger Kredite kaum für ein Studium begeistern, wenn außer Kost und Logis auch noch die Vorlesung zu bezahlen ist. Schon jetzt sind Studierende aus ärmeren Kreisen stark unterrepräsentiert. Sind Stipendien der Ausweg? Schon der Antrag kann eine Hürde sein: Es gilt, Gutachten von Lehrern einzuholen und die Finanzen der Familie bis ins Detail offenzulegen. Abiturienten müssen sich künftig schon mit 17 Jahren für einen Studiengang entscheiden; vermutlich werden die Stipendiengeber einen späteren Studiengangwechsel kaum tolerieren. Und „Jobben“? Nichts spricht prinzipiell dagegen. Aber schon jetzt arbeiten Studierende in erheblichem Umfang. Bei Studiengängen mit Bachelor-/Masterabschluss steigt die Zahl der Prüfungen massiv. 100 Euro im Monat sind aber ein weiterer Nachmittag je Woche, an dem das Lernen ausfällt.
 

 

Schmalspur-Studierende als Kunden?

 Bildung wird heute vorrangig für die eigene Karriere erworben. Dass nur die Schnellsten später einen akzeptablen Job bekommen, ist ein Irrglaube, der bewirkt, dass kaum Lehrveranstaltungen zusätzlich zum absolut Notwendigen besucht werden. Auch scheinen immer weniger Studierende Lernen als aktiven Vorgang zu begreifen. Man möchte Lernstoff wie einen Kinofilm konsumieren, Skripte im Internet abrufen und Lehrbücher lieber vom Dozenten auf Prüfungsfragen mit Musterlösungen reduzieren lassen. Die Fähigkeit zu wissenschaftlich abwägender Forschungsarbeit nimmt spürbar ab. Im Zeitalter von Studiengebühren werden dem Erkenntnisgewinn dienliche Ziele vermutlich von vornherein als „nicht bezahlbar“ abgeschrieben; stattdessen werden die zahlenden Hochschulkunden weitere Serviceleistungen fordern. So werden Befristungsregelungen, Stellenabbau an den Unis und Gebühren gemeinsam bewirken, dass die Spezies „umsichtiger, international erfolgreicher Wissenschaftler“ weiter dezimiert wird.
  (Foto: Eppler)

 

500 Euro lösen die Finanzprobleme nicht

 Der „bildungsfördernde“ Beitrag von 500 Euro pro Student und Semester zum Uni-Etat ist marginal. Nach Abzug von Verwaltungskosten und Ausfallbürgschaften bei nachlaufenden Gebühren (bei Studienabbruch sind die Kredite ja verloren) wird der Nettogewinn enttäuschen. In einigen Jahren wird sich auch kein Politiker mehr an das Versprechen erinnern, die Gebühren den Unis zusätzlich zugute kommen zu lassen. Um die öffentlichen Haushalte spürbar zu entlasten und die Ausstattung der Unis zu verbessern, müsste ein Mehrfaches gezahlt werden. Und damit sind wir wieder am Anfang: Das Potential leistungsfähiger Abiturienten aus weniger begüterten Kreisen wäre dann wohl vollends verloren. Können wir uns das leisten?

 


Manfred König, Christina Wege

 

 

 

 


 

 

 

 


last change: 28.05.05 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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