Sport und Tourismus sind in ihrer Praxis oft nicht voneinander zu trennen: Sportler reisen, Touristen treiben Sport. Die Wissenschaft jedoch schenkte dieser Verbindung bis dato wenig Beachtung. Vor diesem Hintergrund rekonstruiert Dettling am Beispiel des Bergsports in den Alpen die Genese des Sporttourismus und stellt die Frage, ob dieser ein eigenständiges funktionales Teilsystem darstellt.
Die Ausdifferenzierung des Systems Sporttourismus setzte im späten 18. Jahrhundert ein. Der aufstrebende Bergsport eröffnete die Möglichkeit zu körperlicher Leistung in einem nicht-alltäglichen Erfahrungsraum: den Alpen. Das Angebot traf den Nerv der Zeit, und so bildeten sich bald Leistungsrollen (Bergführer, Hüttenwirte, nach der Gründung der ersten Alpenvereine auch Vereinsfunktionäre) sowie Komplementärrollen (die Sporttouristen) heraus. Ein dichtes Netz aus beschilderten Wegen und Hütten überzog alsbald die Alpen. Wetterobservatorien wurden errichtet, Führerliteratur und Kartenmaterial herausgegeben, die Infrastruktur optimiert.
Diese erste Phase erschloss die Alpenwelt für die Menschheit. Doch fortan ging es darum, die Menschheit für die Bergwelt zu erschließen. Zur Sicherung seines Fortbestandes musste das System Sporttourismus möglichst breite Bevölkerungskreise einbeziehen. „Sporttourismus für alle“ forderten vor allem die Alpenvereine und wurden mit rasch ansteigenden Mitgliederzahlen belohnt.
Zweifelhafte Qualitäten
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich das „System Sporttourismus“ vollständig etabliert. Seither bilden sich immer mehr Subsysteme heraus. Zu Bergwandern und Bergsteigen gesellten sich Skilauf, Klettern und Mountainbiking mit jeweils eigener Infrastruktur. „Das ungebremste Wachstum bedroht jedoch die Umwelt in den Alpen“, konstatiert Sabine Dettling. „Die Quantitäten des modernen Sporttourismus haben aus ökologischer Sicht äußerst zweifelhafte Qualitäten.“ Immer mehr Menschen bereisen - meist mit dem Pkw - die Alpen, indirekt ist der Sporttourismus einer der größten Umweltverschmutzer in der hochsensiblen Region.
Der Massenansturm stört die Fauna, schädigt die Flora und führt zu Bodenerosion. Weil der Sporttourist die Einsamkeit unberührter Bergnatur, die er eigentlich sucht, gleichzeitig zerstört, weicht die sporttouristische Infrastruktur in immer abgelegenere, bisher noch intakte Regionen aus. Das Beispiel Skilauf verdeutlicht den unseligen Kreislauf: Die Natursportart von einst entwickelt sich immer mehr auf Kosten der Natur. „Seilbahnen, planierte Berghänge sowie immer höher gelegene Schiarenen und Gletscherskigebiete sind die Abschnitte einer grotesken Entwicklung, deren letzter lebenserhaltender Versuch die Erzeugung von Kunstschnee ist.“
System stößt an Grenzen
Dank eines systemübergreifenden Leitcodes stößt der Sporttourismus in der nachindustriellen Moderne dennoch an Grenzen. So entwickelt die Politik zunehmend internationale Vereinbarungen zur ökologischen Nachhaltigkeit. Die Umsetzung in die Praxis ist jedoch oft schwierig, erläutert Sabine Dettling, selbst leidenschaftliche Bergsteigerin und Skiläuferin, am Beispiel der österreichischen Ötztal Arena. In der intensiv erschlossenen Region stoßen die Richtlinien auf sehr wenig Akzeptanz, weil der Expansion der wintersporttouristischen Infrastruktur weiterhin Vorrang eingeräumt wird. In weniger erschlossenen und extensiv genutzten Regionen denkt man da schon weiter: „Im Naturpark Karwendel beispielsweise werden große Anstrengungen unternommen, um den Sporttourismus für die Natur verträglich zu gestalten.“
Die Dissertation erscheint als Buch: Sabine Dettling (2005).Sporttourismus in den Alpen. Die Erschließung des Alpenraums als sporttouristisches Phänomen. Sozialhistorische und ökologische Begründungen. Marburg: Tectum Verlag, ISBN 3-8288-8835-6
amg
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