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Ob Umweltdatenerfassung, Medizin, Archäologie oder industrielle Produktion – die Photogrammetrie, die auf der Grundlage von Fotografien die räumliche Lage und dreidimensionale Form eines Objekts zu rekonstruieren vermag, ist aus unserem heutigen Leben so gut wie nicht mehr wegzudenken. In seinem Rückblick auf die fast 100-jährige Geschichte der Photogrammetrischen Woche sprach Prof. Dieter Fritsch, Rektor der Uni Stuttgart und Direktor des Instituts für Photogrammetrie, daher auch von einer „Erfolgsgeschichte“ und von Menschen, die „Neues zu schaffen wagen“.
Einst ein Ferienkurs
Dr. Carl Pulfrich entwickelte 1901 bei der Firma Carl Zeiss Jena das erste Stereoskop und rief 1909 den ersten „Ferienkurs Photogrammetrie“ ins Leben – damals wie heute ein offener Diskurs mit Vorträgen und praktischen Demonstrationen. Nach dem Ersten Weltkrieg und nach seinem Wechsel von der Uni Stuttgart zu Carl Zeiss Jena griff Dr. Otto von Gruber 1929 die Tradition wieder auf. Die Luftbildphotogrammetrie nahm ihren Anfang, da durch die Kombination von vier Reihenkammern größere Bilder erstellt werden konnten. Der Zweite Weltkrieg führte zur Spaltung in Carl Zeiss Jena und Zeiss Oberkochen. 1951 wurde in München wieder eine Photogrammetrische Woche abgehalten, die nun seit 1973 an der Uni Stuttgart stattfindet. Der damalige Direktor des IfP, Prof. Friedrich Ackermann, der 1966 auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Photogrammetrie berufen worden war, erinnerte sich: „Von Anfang an wollte ich mich den Computerverfahren widmen.“ 1968 startete man mit der Erstellung leistungsfähiger Rechenprogramme. Erste Kameras mit stabilisierter Aufhängung stellte 1982 Zeiss Oberkochen vor, GPS (Global Positioning System) und digitale Datenerfassung führten zu einem Innovationsschub. Seit 1993 haben die Geoinformatiker einen festen Platz bei der Photogrammetrischen Woche – und seit 2003 auch Vertreter der Industrie, die OpenPhowo-Partner.
Barometer für Neuentwicklungen
Digitale Luftbildkameras sind zum täglichen Arbeitsgerät geworden. Bei den Demonstrationen am Nachmittag wurden Neuheiten wie zum Beispiel die ADS40, DMC und UltraCamD präsentiert, mit dem JAS-150 ein Scannersystem der nächsten Generation und mit DigiCAM und LiteMapper Werkzeuge für industrielle Projekte und das Katastrophenmanagement. Mit Hilfe von Radarsystemen sind heute Geodaten trotz dickster Wolkendecke erfassbar, die Radar-Interferometrie lässt Bewegungen erkennen und das terrestrische Laserscanning für die 3D Rekonstruktion von zum Beispiel Denkmälern oder Stadtansichten wurde verfeinert. Testflächen für die Kalibrierung von Luftbildkameras gewinnen an Bedeutung – wie zum Beispiel das seit zehn Jahren bestehende Flugtestfeld des IfP in Vaihingen/Enz. Ob klassische topographische Kartenerstellung, 3D Virtual Reality, GIS (Geographisches Informationssystem) oder gar die Echtzeit-Photogrammetrie, immer ist eine hochtechnisierte Hard- und Software gefordert. Eine besondere Herausforderung für die industriellen Anbieter, so Dr. Hartmut Rosengarten von der Intergraph Deutschland GmbH, ist daher der komplette Geodatenworkflow: Die von einer guten Kamera gelieferten Daten müssen sicher zur Erde gelangen und deren Management sollte einfach und schnell vonstatten gehen.
Visionen inklusive
Die „Informationstechnologie ist der Schlüssel zur Produktivitätssteigerung, die wir in den nächsten 20 Jahren benötigen, um unseren Lebensstandard zu erhalten“, ist Dr. Bridge Gary, Vizepräsident von Cisco Systems, überzeugt. Zukunftsvisionen, ob zur photorealistischen Visualisierung von Außenszenen mit dem PC, der 3D-Dokumentation und Animation mittels terrestrischem Laserscanning, der Datenverteilung mittels Internet oder zu künftigen Arbeits- und Lernwelten, blieben daher nicht außen vor. Nach Ansicht von Prof. Hans-Peter Bär vom Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung der Uni Karlsruhe erfordert das e-Learning, das „nicht alle Studierenden enthusiastisch akzeptieren“, jedoch strenge Regeln und sollte im besten Fall in der jeweiligen Muttersprache erfolgen.
„Die Photogrammetrie ist eine faszinierende Disziplin“, betonte Dieter Fritsch, und die Photogrammetrische Woche sei eine „einmalige Plattform“ sowie ein „Barometer für Neuentwicklungen“. Viele der alle zwei Jahre anreisenden Teilnehmer werden mittlerweile als Freunde begrüßt – beste Aussichten für die Zukunft. Julia Alber
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