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Der Krimkrieg ist im kollektiven Gedächtnis der Gegenwart kaum präsent. Als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts gilt der Erste Weltkrieg, den man gemeinhin für den ersten modernen, also technisch dominierten und von Massenmedien und Propagandakämpfen begleiteten Krieg hält. Ein internationales Symposium des IZKT in enger Zusammenarbeit mit der Université de Nancy im Juni 2005 stellte hingegen die Modernität des Krimkriegs ins Zentrum der Aufmerksamkeit. |
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Nicht erst in den Materialsschlachten des 20. Jahrhunderts, sondern bereits während des Krimfeldzuges der Westmächte verkeilten sich die gegnerischen Heere im mörderischem Dauerbeschuss bei der Belagerung Sevastopols.
Neben den Auswirkungen neuer Techniken wie der Telegraphie, der Dampfschifffahrt oder der neuen Zylinder-Munition interessierte die Teilnehmer vor allem die mediale Bearbeitung der Ereignisse. Der Krimkrieg war der erste europäische Medienkrieg. Hier lag die Geburtsstunde eines neuen literarischen Genres: der Kriegsberichterstattung, die beispielsweise bei Tolstoi erstmals aus dem heroisierenden Duktus der napoleonischen Schlachtenbeschreibungen ausbricht und das Leiden des Einzelnen und das unkontrollierbare Chaos des Kampfes realistisch wiedergibt. Neu war auch die Rolle der Illustrationen und Photographien in den britischen und französischen Zeitungen. Im Krimkrieg wurden erstmals inszenierte Bilder hergestellt, zumeist mit propagandistischer Intention. Der Autor des Standardwerks zur visuellen Geschichte des Krimkriegs, Ulrich Keller (University of California), zog die Linie bis zu den Kriegen der Gegenwart. Wenn auch im Krimkrieg das massenhafte Töten erstmals medial vermittelt wurde, zum Beispiel in den großen Varieté-Spektakeln der europäischen Metropolen, so erreicht diese voyeuristische Inszenierung des Krieges doch mit den modernen Massenmedien eine neue Qualität. Das Fernsehen macht den Konsumenten des eingebetteten Journalismus zum integralen Bestandteil eines umspannenden Funktionszusammenhangs, dessen letzte Vermarktungsstufe die Computerspiele-Industrie zeitgleich zu den Ereignissen bereitstellt: Der Krieg als ultimatives Spektakel.
Die durch die enge konzeptionelle Zusammenarbeit zwischen IZKT, Geschichtswissenschaft und Philologie ermöglichte interdisziplinäre Herangehensweise der Tagung an diese Thematik darf auch aufgrund des öffentlichen Interesses und der Medienresonanz als voller Erfolg gewertet werden. Dank der Förderung seitens der DVA-Stiftung waren die Einbindung der französischen Teilnehmer und die begleitende Ausstellung im französischen Kulturinstitut möglich, wodurch die Universität ihre Verankerung in der Stadt unterstrich. Ein Sammelband mit den Beiträgen der Tagung ist in der vom IZKT im LIT-Verlag herausgegebenen Reihe vorgesehen.
Felix Heidenreich/Martin Windisch
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