Warum wird der Griff eines Kupferkessels heißer als der eines Edelstahltopfes? Wie kann man die Reflexion des Badezimmerspiegels erklären? Und warum leitet Metall den Strom so gut? Die drei Charakteristika eines Metalls scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben. Tatsächlich jedoch haben sie eine gemeinsame Ursache, die durch Paul Drude um das Jahr 1900 erstmals beschrieben und später an die neuen Erkenntnisse der Quantenmechanik angepasst wurde. Demnach wird die Bewegung der Elektronen durch das Metall durch Stöße an Defekten gebremst. Die Zeitspanne, die zwischen zwei Kollisionen vergeht, bestimmt die Eigenschaften des Metalls.
Die theoretische Beschreibung von Elektronen in Metallen ist aufgrund ihrer enormen Anzahl jedoch schwierig: eine typische Größenordnung ist 1023– eine kaum vorstellbar große Zahl mit 23 Nullen. Obendrein stehen alle Teilchen miteinander und auch mit dem Rest des Systems, den Atomkernen und den an die Kerne gebundenen Elektronen, in Wechselwirkungen.
Neues Konzept der Elektroneneigenschaften
Hier brachte Paul Drude ein neues Konzept ein. Dem Drude-Modell liegt die Annahme zu Grunde, dass lediglich zwei physikalische Größen zur vollständigen Beschreibung der entscheidenden Eigenschaften der Gesamtheit der metallischen Elektronen ausreichen: Die eine misst die effektive Anzahl der beweglichen Elektronen, die andere eine charakteristische Zeitdauer, die Relaxationszeit, für die Bewegung der Elektronen. Es war nun die geniale Idee Paul Drudes, dass alleine die mittlere Stoßzeit das dynamische Verhalten der Elektronen vollständig be-schreibt.
Die Einfachheit und Anschaulichkeit machte Drudes Modell berühmt und sehr beliebt. Überprüft werden konnte die in jedem Lehrbuch der Festkörperphysik dargestellte Theorie jedoch bis dato nicht. Dies lag unter anderem daran, dass für typische Metalle die Stoßrate im infraroten Spektralbereich (also bei Lichtwellenlängen von zehntel Millimetern) liegt, in welchem die Reflexion fast 100 Prozent beträgt. Optische Messungen sind bei weitem nicht genau genug, um die kleinen Abweichungen im Vergleich zu einem perfekten Spiegel zu messen. Zudem kann die Änderung der Phase, also die geringe Verzögerung der Lichtwelle bei der Reflexion, nicht bestimmt werden.
Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, bedienten sich die Stuttgarter Wissenschaftler einiger Tricks. So wurde eine metallische Legierung gewählt, die auf Grund von elektronischen Wechselwirkungen extrem langsame Elektronen besitzt. Die Zeit zwischen zwei Stößen ist hierbei zehntausendmal länger. Folglich verschiebt sich die charakteristische Stoßrate in den Bereich der Mikrowellen. Dort stehen sehr genaue Messgeräte zur Verfügung, um die elektrischen Eigenschaften in einem großen Spektralbereich zu bestimmen.
In jahrelanger Arbeit wurde am Stuttgarter Physikalischen Institut eine spezielle Mikrowellenapparatur entwickelt, die es erlaubt, bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von -273°C Präzisionsmessungen zu machen, hundertmal genauer als dies bisher möglich war. Um die Empfindlichkeit weiter zu steigern, wurden in Zusammenarbeit mit der Universität Mainz hochwertige dünne Filme dieser Legierung hergestellt. Bei sehr tiefen Temperaturen wird dieses Metall supraleitend, was ideal zu Kalibrierung der Messvorrichtung ist.
Die Untersuchungen der Stuttgarter Physiker bestätigten exakt den Verlauf, wie er von Paul Drude vor über hundert Jahren vorhergesagt wurde. „Das wirkliche Verständnis eines Phänomens zeigt sich nicht in den komplizierten mathematischen Formeln, sondern in einfachen Bildern“, betonte Prof. Martin Dressel vom 1. Physikalischen Institut. „Die Drude-Theorie ist das beste Beispiel eines intuitiv verständlichen Modells, das auch nach über hundert Jahren für die Beschreibung komplizierter Systeme modifiziert und erweitert wird. Es ist faszinierend, ein Phänomen erstmals experimentell zu messen, das man aus jedem Lehrbuch der Physik kennt.“ Zudem sei es wichtig, zu zeigen, dass die klassischen Modelle auch auf komplexe Materialien angewandt werden können, wenn man sie nur richtig liest. „Und außerdem haben wir experimentelle Techniken geschaffen, die es uns erlauben, nun physikalische Systeme zu untersuchen, bei denen dies bisher nicht möglich ist. Dies gilt beispielsweise für eindimensionale Metalle, also atomare Drähte.“
Die Experimente zum erstmaligen experimentelle Nachweis der Drude-Theorie wurden von Dr. Marc Scheffler im Rahmen seiner Dissertation durchgeführt. Scheffler wurde hierfür mit dem Preis der Freunde der Universität für die beste Dissertation ausgezeichnet.
amg
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