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Während das Wahlverhalten auf Bundesebene zu den am besten entwickelten Teilgebieten der empirischen Politikwissenschaft gehört, liegen auf der Landesebene nur wenige, in wahlsoziologischen Theorien eingebettete empirische Studien vor. Diese Forschungslücke ist aus mehreren Gründen problematisch. Zunächst hat sich die föderative Struktur der Bundesrepublik, insbesondere seit der großen Finanzreform der 1960er Jahre, zu einem eng verflochtenen System der Erfüllung und Finanzierung öffentlicher Aufgaben gewandelt. Die Bundesländer haben ihre Kompetenzen teils nicht wahrgenommen, teils an den Bund abgegeben und im Gegenzug dazu Mitwirkungsrechte an der Gesetzgebung des Bundes gewonnen. Auf diese Weise hat sich die Funktion von Landtagswahlen verändert: Sie dienen zwar nach wie vor der Regierungsbildung auf der Landesebene, eignen sich jedoch nur noch in begrenztem Maße zur Beeinflussung der Inhalte der Landespolitik. Stattdessen scheint die Bedeutung der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrats für die staatliche Politikgestaltung an Bedeutung gewonnen zu haben.
Ziel des von der DFG geförderten Forschungsprojekts ist es, auf der Basis der einschlägigen wahlsoziologischen Erklärungsmodelle die Einflussfaktoren der Stimmabgabe bei Landtagswahlen im Zeit- und Ländervergleich zu untersuchen. Hierbei handelt es sich um makro- und mikroanalytische Größen, politische Faktoren wie zum Beispiel das Wahlsystem, Parteiensystem als „Angebotsfaktor“ oder politische Ereignisse sowie sozialstrukturelle Merkmale wie die Berufszugehörigkeit oder die Kirchenbindung der Befragten. Zudem spielen politische Einstellungen wie Parteiidentifikation, Themen- und Kandidatenorientierungen, die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland sowie die Bewertung der Bundespolitik eine Rolle.
Auch bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 26. März 2006 stellte sich die Frage, welchen Einfluss die Bundespolitik auf die Wahlentscheidung der Bürger hat. Eine besondere Situation ergab sich dabei durch die Große Koalition auf Bundesebene. „Es ist davon auszugehen, dass die Berliner Politik die Stimmung im Land in den letzten Wochen vor der Wahl entscheidend prägte“, stellte Prof. Oscar Gabriel fest. Nach den Ergebnissen der letzten Vorwahlumfrage von Infratest-dimap war für 55 Prozent der Wähler die Landespolitik entscheidend, für 31 Prozent die Bundespolitik. Dagegen war die Stimmenthaltung bei 49 Prozent der Wahlberechtigten auf bundespolitische Faktoren zurückzuführen.
Warum Oettinger die Nase vorne hatte
Anders als bei der Bundestagswahl 2005 blieben die großen Überraschungen am Wahlabend in Baden-Württemberg aus. Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Günther Oettinger erreichte mit 44,2 Prozent ein ähnlich gutes Ergebnis wie fünf Jahre zuvor unter dem damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel. Für die SPD votierten nur noch 25,2 Prozent der Wähler. Damit fuhren die Sozialdemokraten eines der schlechtesten Ergebnisse in der Geschichte des Landes ein. Die Grünen wurden in ihrem Stammland drittstärkste Kraft und konnten deutliche Zugewinne verzeichnen. Ebenfalls haben die Liberalen an Stimmen hinzugewonnen und erzielten 10,7 Prozent. Die Republikaner, die 1992 und 1996 mit rund zehn Prozent in den Landtag eingezogen waren, scheiterten klar. Auch die WASG, die zum ersten Mal für den Landtag zur Wahl stand, schaffte den Einzug nicht.
Die Wahlbeteiligung sank um 9,2 Prozentpunkte auf 53,4 Prozent und erreichte damit einen historischen Tiefstand. Verantwortlich hierfür war zum einen der spannungsarme Wahlkampf, bei dem die großen Themen gefehlt haben. „Ebenso dürfte es sich um ein Signal der Bürger handeln, dass sie der großen Koalition auf Bundesebene nicht viel zutrauen“, vermutet Gabriel. Zudem hat die niedrige Wahlbeteiligung das Ergebnis spürbar beeinflusst, was die Wählerwanderungsbilanz von infratest dimap belegt. So zeigt die Abwanderung der SPD-Wähler ins Lager der Nichtwähler, dass es den Sozialdemokraten nicht gelungen ist, ihre Wähler zu mobilisieren. Trotz der geringen Wahlbeteiligung, die erfahrungsgemäß den kleinen Parteien zu Gute kommt, gelang keiner extremen Partei der Einzug in den Landtag.
Die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, die eine Woche vor der Wahl durchgeführt wurde, liefert Ansatzpunkte darüber, welche Ursachen für das Wahlergebnis in Baden-Württemberg verantwortlich sind. Demzufolge haben nach Meinung der Wähler die gute Regierungsbilanz und der Sachverstand in der Wirtschaftspolitik den Christdemokraten zum Wahlsieg verholfen. Auch bei der Kompetenz, neue Arbeitsplätze zu schaffen, liegt die CDU mit 41 Prozent deutlich vor der SPD (12 Prozent). Gleichzeitig hat der „Vogt-Effekt“, der vor fünf Jahren bei dem Duell „jugendliche Herausforderin gegen älteren amtierenden Ministerpräsidenten“ zu einem Achtungserfolg der SPD geführt hat, diesmal nicht überzeugen können. Zwar fanden die Wähler Ute Vogt sympathischer, jedoch wurde Günther Oettinger als wesentlich sachkundiger eingeschätzt. Auch bei der Frage, welchen Kandidaten die Bürger lieber als Ministerpräsidenten hätten, hatte Oettinger die Nase vorn.
Kerstin Völkl/amg
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