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Gesine Schwan zu Politik und Vertrauen

Alljährlich organisiert die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus in Kooperation mit der Universität Stuttgart am 12. Dezember in Erinnerung an Theodor Heuss, der 1963 an diesem Tag in Stuttgart verstarb, die gleichnamige Gedächtnis-Vorlesung. Im Dezember 2005 sprach Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, über Politik und Vertrauen; dieses Thema traf den Nerv der Zeit, wie der fast bis auf den letzten Platz gefüllte Hörsaal an der Uni Stuttgart bewies.

Sich an der Uni Stuttgart Theodor Heuss´ zu erinnern, liege durchaus nahe, begrüßte Uni-Rektor Prof. Dieter Fritsch die vielen Zuhörer. Unter anderem war der Gründungsvater des Grundgesetzes 1948 Honorar-Professor an der damaligen Technischen Hochschule und erhielt 1954 deren Ehrendoktorwürde. Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan zählt mit zu den profiliertesten Vertretern ihres Fachs. Sie promovierte mit einer Arbeit über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, übernahm 1977 eine Professur für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und wirkte als Gastprofessorin an renommierten Universitäten und Forschungsinstituten im In- und Ausland. Als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten stand Gesine Schwan 2004 immer wieder dafür ein, dass Politik und politische Veränderungen des Vertrauens bedürfen.

  Innerhalb 20 Stunden habe sie sich damals überlegen müssen, was sie als Bundespräsidentin machen wolle, erinnerte sich Gesine Schwan, und ließ die Zuhörer – ganz im Sinne von Heuss – an ihren Überlegungen teilhaben, indem sie versuchte, das Komplizierte einfach darzustellen. Der Begriff Vertrauen werde viel gebraucht, gerade auch in der jüngsten Vergangenheit, was auf ein erhebliches Defizit hinweise, begann Gesine Schwan ihren Vortrag, in dem sie auf die historische Langfristigkeit und grundsätzliche Bedeutung des Zusammenhangs von Vertrauen und freiheitlichem Zusammenleben einging, „da die Rückbesinnung auf die Geschichte einen neuen Blick für die Gegenwart eröffnet“.

  Gesine Schwan  
Freiheitliche Politik baue auf das Vertrauen in eine offene Zukunft, sagte Gesine Schwan. (Foto: Eppler)

Hobbes, Locke und die Federalist Papers

Nach Thomas Hobbes, dem politischen Philosophen, der durch die Theorie des Gesellschaftsvertrags in seinem Hauptwerk „Leviathan“ berühmt wurde, sind die Menschen wegen ihrer eigenen Sicherheit darauf angewiesen, ihre individuelle Macht zu steigern und andere ständig zu bedrohen. Nur eine absolutistische Regierung, die der individuellen Freiheit und einer offenen, am Gemeinwohl orientierten politischen Debatte über die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen keinen Raum lässt, kann nach Hobbes den Menschen die Furcht einflößen, die sie am ständigen Krieg gegeneinander hindert.

  Während sich bei Hobbes die Menschen Vertrauen nicht leisten können, sah John Locke, der vertragstheoretische Begründer freiheitlicher Demokratien, Vertrauen als eine zentrale positive Stütze des Zusammenlebens. Ohne vertraglichen Zusammenschluss, sozusagen im Naturzustand, könnten die Menschen eine große glückliche Familie sein, gäbe es nicht unter ihnen immer wieder einige Personen, die diesen Zustand stören. Willkür und Missbrauch der Macht zur eigenen Bereicherung sind nach Locke die zentralen Übel, die es zu kontrollieren gilt.  

  Die Federalist Papers, die im Vorfeld der Bildung des amerikanischen Bundesstaats niedergeschrieben wurden, betonen bei der Frage nach der Bedeutung des Vertrauens, dass es eine letzte institutionelle Garantie für das Gelingen eines freiheitlichen Zusammenlebens nicht gibt. „Die Menschen müssen immer ein Übergewicht an Vertrauen der Regierung entgegenbringen, ohne jedoch blauäugig zu sein“, erklärte Gesine Schwan, um sich dann der entscheidenden Frage zuzuwenden: „Wie ist es um die Chance von Vertrauen in Deutschland, Europa und der Welt derzeit bestellt?“ Das seit Jahrzehnten schwindende Vertrauen in die westlichen Demokratien könne ja wohl nicht nur mit der individuellen-subjektiven moralischen Qualität der Politiker beziehungsweise der Bürger zu tun haben.

Mit nur einer Priorität keine Politik

„Ich behaupte, dass das Mentalitätserbe in nachdiktatorischen Gesellschaften ihr Misstrauenspotenzial markant steigert“, betonte Schwan. Zudem nivelliere das gegenwärtige Prinzip des ökonomischen Wettbewerbs in allen Lebensbereichen die wichtigen Differenzen zwischen den unterschiedlichen Bereichen unseres gesellschaftlichen und individuellen Lebens und verstärke das Misstrauen, „weil es die Menschen grundsätzlich zu Gegnern macht“ und autoritäre Potenziale untermauere. Ganz aktuell, im Hinblick auf die Eliteförderung, merkte Gesine Schwan an: „Und was machen wir mit den anderen?“ Gerade an einer Universität müsse es auch Bereiche geben, die sich nicht am aktuellen Markt orientieren, forderte Schwan, denn woher wolle man wissen, was in zehn Jahren gefragt ist – oder „wer hätte früher gedacht, dass die Islamwissenschaften einmal gefördert werden?“ Die Unterordnung aller Bereiche unter die Logik des ökonomischen Marktes negiere die Möglichkeit eines freiheitsstaatlichen politischen Austausches ebenso wie die Unterordnung unter eine obrigkeitsstaatliche Bürokratie, betonte Schwan; wenn es nur noch eine Priorität gibt, „dann wird das Abwägen unterschiedlicher Wichtigkeiten und Interessen im Parlament überflüssig, dann hört die Politik auf“.

Herzenssache: Gemeinwohl

Freiheitliche Politik baue dagegen auf das Vertrauen in eine offene Zukunft, in der es immer mehr Lösungsmöglichkeiten gibt, als auf Anhieb erkennbar, vor allem, wenn sich die Bürger um gemeinsame Möglichkeiten bemühen. Die Chancen einer demokratischen, freiheitlichen Politik, die auf freiwillige Übereinkünfte ganz besonders angewiesen ist, werde in dem Maße steigen, wie „es uns gelingt, uns von der Erpressung durch eine angebliche ökonomische Notwendigkeit zu befreien durch Wahrhaftigkeit, innere Stimmigkeit und Kompetenz, das Vertrauenspotenzial in der Gesellschaft zu stärken“. Dies sei jedoch nicht die Aufgabe der Politik alleine, mahnte Gesine Schwan. Auch der Bürger müsse etwas dazu beitragen, sollte ihm das Gemeinwohl doch – schon in seinem eigenen Interesse – wie das private am Herzen liegen.

  Der Vortrag erscheint demnächst in der „Kleinen Reihe“ der Heuss-Stiftung und kann dort bezogen werden.

  Julia Alber/zi

 

 

  

 
   

 

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