|
Russland, Plesetsk, Kosmodrom, 27. Oktober, 8.52 Uhr: Ein ohrenbetäubender Knall durchreißt die Stille – mit einem Feuerschweif erhebt sich die russische Trägerrakete COSMOS-3M in den blauen Himmel. Im Schnee, bei eisiger Kälte von minus zehn Grad, bleiben die Zuschauer zurück, die 700 Meter entfernt der Startrampe standen. SSETI-EXPRESS, der erste nur von Studenten in europäischer Zusammenarbeit und in einer Rekordzeit von eineinhalb Jahren entwickelte und gebaute Satellit, ist auf dem Weg ins All! Auf einer polaren Umlaufbahn in 700 Kilometern Höhe soll er drei kleinere Satelliten aussetzen, Bilder von der Erde machen und als Relaisstation für Amateurfunker dienen.
|
|
Deutschland, Vaihingen, Uni Stuttgart, 2. November, 14.30 Uhr: Sascha Tietz kann die Druckwelle noch genau spüren, die sich bei dem Bilderbuchstart in seinem Körper ausgebreitet hat, und auch die Begeisterung ist bei dem Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik noch voll präsent, wie auch bei seinem Kollegen Nils Harmsen, der schwärmt: „Es ist schon ein tolles Gefühl, wenn da etwas von einem mit nach oben fliegt, das man selbst gebaut hat.“ Was da – ohne Countdown, wie in Russland üblich – in den Himmel entschwand, war ein rund 62 Kilogramm schwerer Mikrosatellit, 60 x 60 x 65 Zentimeter groß und mit einem Lageregelungssystem ausgestattet, das Studierende der Luft- und Raumfahrttechnik der Uni Stuttgart, als einzig beteiligtes deutsches Team, entwickelt haben.
Studierende als Raumfahrtpioniere
SSETI (Student Space Exploration and Technology Initiative) wurde 2000 von der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) ins Leben gerufen. Studierenden aus Europa bietet das Projekt in Kooperation mit Universitäten und der Industrie die Chance, gemeinsam Satelliten zu konstruieren, zu bauen, letztendlich auch zu betreiben und dabei Praxiserfahrung zu sammeln sowie eine hervorragende Zusatzqualifikation zu erwerben. Rund 400 Studierende aus elf europäischen Ländern arbeiten derzeit an drei Raumfahrtprojekten – 24 Teams von 23 Universitäten. An der Universität Stuttgart sind ständig etwa 20 Studierende aller Semester der Luft- und Raumfahrttechnik aktiv mit dabei.
|
|
|
|
|
|
|
Die Rakete wird in ihrem Startturm aufgerichtet …
(Foto: Schäfer) |
|
Optimales Preis-Leistungs-Verhältnis
„Das war keine Lehrbuchaufgabe“, lobte der Rektor der Uni Stuttgart, Prof. Dieter Fritsch, die Arbeit des SSETI-Teams: Ein Kaltgas-Antriebskonzept, das eine volle Drei-Achsen-Lagestabilisierung im Raum erlaubt und den Satelliten jederzeit in die gewünschte Richtung drehen kann. „Hier waren Kreativität und Problemlösungskompetenz angesagt“, befand Fritsch, musste doch die Entwicklung der Studenten mit den professionellen Systemen aus der Industrie mithalten – und das bei grundlegend anderen finanziellen Rahmenbedingungen. Alle Ausgaben, mit Ausnahme der von der ESA übernommenen Startkosten, mussten über Sponsoren und andere Fördermittel selbst finanziert werden. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen der Industrie und den Studierenden würde zu einem großen Vorteil für die Studierenden ausfallen“, ist sich Fritsch sicher.
Statt teure, weltraumqualifizierte Teile einzusetzen, wurde im Baumarkt eingekauft, der gasförmige Stickstoff des Antriebssystems in Atemgasflaschen der Feuerwehr untergebracht, kleine Düsenventile der Medizintechnik genutzt und um Sonderanfertigungen herzustellen, gingen die Studierenden auch selbst ans Werk. Als es galt, an der Uni Stuttgart – unter Reinraumbedingungen – in die Primärstruktur des Satelliten das Antriebssystem einzubauen, wurde kurzerhand ein Reinraumzelt errichtet – mit Folien aus dem Baumarkt.
Ein Grund zum Feiern, trotz Kommunikationsproblemen
Die Technologieerprobung, das Aussetzen dreier Minisatelliten, die Zusammenarbeit mit den anderen SSETI-Teams über alle Grenzen hinweg – das alles hat geklappt und ist ein Grund zum Feiern. Dennoch musste Jörg Schäfer, Systemingenieur des SSETI-EXPRESS, verkünden, was er gehofft hatte, nie sagen zu müssen: „Wir haben den Kontakt verloren.“ Zwar sendete der SSETI-EXPRESS schon anderthalb Stunden nach dem Start die ersten Signale, doch einen Tag später versagte das Power-Management. „Der Ladestrom von den Solarzellen kommt nicht in der Batterie an“, erklärte Schäfer, der jedoch hoffte: „Wenn ein Bauteil durchbrennt, könnte der Weg frei sein.“
Für eine
Fortsetzung ist aber auf jeden Fall gesorgt: 2008 soll der
European Student Earth Orbiter (ESEO) komplexere Nutzlasten in
die Umlaufbahn bringen und dann geht es Richtung Mond … die
Vorstudien zum European Student Moon Orbiter (ESMO) laufen
bereits. Auch bei diesen beiden Missionen werden die
Studierenden der Universität Stuttgart mit deutlich komplexeren
Antriebssystemen beteiligt sein, sowohl für die Lageregelung als
auch für zusätzliche Bahnänderungen und -korrekturen.
Julia Alber
|