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Unter dem Markennamen „Nanocytes“ entwickeln Forscher der Institute für Grenzflächenverfahrenstechnik (IGVT) und für Zellbiologie und Immunologie (IZI) der Uni Stuttgart sowie des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) derartig maßgeschneiderte Nanopartikel. Der Gruppe um den Chemiker Dr. Günter Tovar ist es gemeinsam mit Prof. Klaus Pfizenmaier und Prof. Peter Scheurich gelungen, Partikel so zu bestücken, dass sie Tumorzellen bekämpfen können. Die Partikel besitzen einen aus SiO2 bestehenden Kern als Trägersubstanz und eine Schale, die ähnlich wie eine Zellmembran aufgebaut ist und an ihrer Außenhülle das Zytokin Tumor-Nekrosefaktor TNF-a trägt. In Zellversuchen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass diese Nanopartikel mit ihrem Protein TNF an einen Rezeptor einer Tumorzelle andocken und dort die Selbstzerstörung der Zelle einleiten. Dies geschieht, indem das Protein Signale auslöst, die den programmierten Zelltod induzieren. Das „Proof-of-Concept“ ist mit den erfolgreichen Zellversuchen erwiesen, nun suchen die Forscher zur Weiterentwicklung ihrer Nanopartikel nach Partnern in der Pharmaziebranche. Denn es gibt noch viele Probleme zu lösen. So verfügen beispielsweise nicht nur Krebszellen über Rezeptoren für TNF. Damit gesundes Gewebe nicht angegriffen wird, muss man die intelligenten Kügelchen mit einem weiteren Protein ausstatten, das nur Tumorzellen aufspürt.
Der Natur abgeschaut
Eine besondere Bedeutung kommt dem Kern-Schale-Aufbau der Nanopartikel zu. Hierbei sind die Proteine an einer künstlichen Membran gebunden. Auf diese Weise wird eine natürliche Zelloberfläche simuliert und die Proteine können ihre Wirkung besser entfalten. Schon vor Jahren untersuchten Forscher die Wirkungsmöglichkeiten verschiedener Proteine, allerdings wurden sie damals in löslicher Form eingesetzt. Doch auf diese Weise verlieren sie schnell ihre biologische Wirkung. Erst mit den membranständig gebundenen Proteinen des Kern-Schale-Aufbaus ist es den Wissenschaftlern gelungen, das Potential der Proteine auszunutzen.
Wie ein Baukastensystem
Der Einsatz der Nanaocytes beschränkt sich nicht nur auf den Einsatz gegen Tumorzellen. Denn die Partikel können wie ein flexibles Baukastensystem mit unterschiedlichsten Wirkgruppen, je nach Einsatzzweck, zusammengesetzt werden. Der Kern mit einem Durchmesser von circa fünf Nanometern bis fünf Mikrometer kann aus anorganischen oder organischen Materialien, zum Beispiel Polymeren, bestehen. Bei Bedarf ist der Kern bioabbaubar. Zudem kann er mit Funktionen versehen werden, wie zum Beispiel Fluoreszenz oder einem magnetischem Moment. Möglich ist auch, den Kern mit Wirkstoffen zu beladen.
Die Schale mit einer Dicke von einem bis 100 Nanometern besteht aus einer organischen Schicht, die an der Oberfläche verschiedene Proteine mit biologischen Funktionen trägt. Dieser Aufbau eröffnet verschiedenste Anwendungen in Forschung, Diagnostik und Therapie. Neben dem beschriebenen Einsatz gegen Tumorzellen sind Therapiemöglichkeiten auch bei anderen Krankheiten denkbar. Auch bei biotechnischen und industriellen Prozessen ergeben sich eine Fülle von Einsatzmöglichkeiten. Hier ist oft eine spezifische Abtrennung von Biomolekülen, wie Aminosäuren, Peptiden und Proteinen, aber auch niedermolekularen Verbindungen wie beispielsweise Nikotin notwendig. Entsprechend zusammengesetzte Nanopartikel erkennen diese Biomoleküle, binden diese durch ihre Rezeptoren und trennen sie auf diese Weise aus einem Stoffgemisch ab. Nach diesem Prinzip ist es auch möglich, spezifische Biomoleküle anzureichern.
Bei diesem Projekt arbeiten die Universitätsinstitute sehr eng mit dem Fraunhofer-Institut zusammen. So ist Professor Herwig Brunner Leiter des Uni-Instituts für Grenzflächenverfahrenstechnik und des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik und auch Privatdozent Dr. Günter Tovar ist gleichzeitig an beiden Instituten tätig. Während die Grundlagenforschung hauptsächlich bei der Universität verortet ist, übernimmt, je weiter ein Projekt fortschreitet, meist das Fraunhofer-Institut weitere Aufgaben und sucht schließlich nach einem Partner in Industrie und Wirtschaft. Unabhängig von der Thematik Nanotechnologie sieht Brunner diese Kooperationsform als Beispiel gebendes Modell, durch das der Innovationsprozess verkürzt und zielsicher gestaltet werden kann.
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