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Bei der Krankenhausplanung stehen Fabrikmodelle Pate > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
 
Produktionsziel Gesundheit

Wie plant man ein System, dessen Alltag eigentlich nicht planbar ist? Das Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Uni und das Fraunhofer Institut Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) entwickeln ganzheitliche Konzepte für Krankenhäuser und machen sich dabei Erkenntnisse aus der Fabrikplanung zunutze.

  standardisierter Prozesse des Krankenhäusers  

Dank standardisierter Prozesse können modern geplante Krankenhäuser auch unerwartete Notfallsituationen souverän bewältigen. Konzepte aus der Fabrikplanung stehen dabei Pate.
                                                    (Fotos: Fraunhofer)

Ein Krankenhaus mit einer Fabrik zu vergleichen, scheint sich auf den ersten Blick zu verbieten. Auf einer höheren Abstraktionsebene weisen die Systeme jedoch Ähnlichkeiten auf: Kunden (Patienten) sollen ohne Wartezeiten und zu ihrer Zufriedenheit versorgt werden, Materialien müssen zur rechten Zeit an den richtigen Ort gelangen und Mitarbeiter gezielt eingesetzt werden. Es liegt daher nahe, Lösungsansätze aus der Produktionsplanung, wie sie am IFF unter anderem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Wandlungsfähige Unternehmensstrukturen“ als „Stuttgarter Unternehmensmodell“ entwickelt wurden, in modifizierter Form auf die Konzeption von Kliniken zu übertragen.

 Doch im Mittelpunkt eines Krankenhauses steht der Mensch, und der macht Klinikplanungen höchst sensibel und komplex. Dies nicht nur, weil ein Notfall-Patient unerwartet in der Ambulanz erscheint und nicht nach „Schema F“ behandelt werden kann. Auch die heterogenen Personalstrukturen sind eine Herausforderung. „Bei der Neuplanung und Optimierung von Krankenhäusern sind die Interessen von Ärzteschaft, Pflegepersonal und Verwaltung zu berücksichtigen. Deren Ausbildung, Arbeitsweisen, Prozessdenken und Hierarchien sind völlig konträr“, sagt Dr. Vera Hummel, Leiterin des Bereichs „Advanced Industrial Engineering“ am IFF, die gemeinsam mit Projektleiterin Dr. Rita Kreuzhage und ihrem Team seit über zehn Jahren Kliniken und Ambulanzzentren in ganz Deutschland entwickelt.

  Der Patientenempfang wird zum Bereich für den qualifizierten Erstkontakt  

Der Patientenempfang wird zum Bereich für den qualifizierten Erstkontakt.

Zielkonflikte bleiben nicht aus

Deshalb beginnt der Planungsprozess im Idealfall mit einem runden Tisch, an dem alle Interessengruppen ihre Ansprüche definieren. Hohe Behandlungsqualität und zufriedene Patienten, kürzere Wartezeiten und über allem geringere Personalkosten... dass Zielkonflikte nicht ausbleiben, liegt auf der Hand. Um einen Ausgleich herbeizuführen, müssen die Ressourcen optimal eingesetzt werden. Moderne Planungskonzepte fassen ein Klinikum als betriebsfertiges Gesamtsystem auf, das die medizinischen Abteilungen und technischen Einrichtungen ebenso integriert wie Organisationsprozesse und betriebswirtschaftliche Interessen. Dabei sollte eine zukunftsweisende Betriebsorganisation über zielorientierte Controllinginstrumente verfügen und klare Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen aufweisen. Material-, Daten- und Informationsströme müssen transparent und robust abgebildet werden, Leistungseinheiten in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Pflege klar definiert sein. Ziel sind medizinische Dienstleistungszentren, die durch die Nutzung von Synergien effizient und effektiv arbeiten.

 Ohne größere Um- oder Neubauten ist dies in der Regel nicht realisierbar. Ausgangspunkt ist dabei das Raumbuch. Es nimmt auf, welche Räume in welcher Größe und Ausstattung gebraucht werden und dokumentiert in erster Annäherung die Wegebeziehungen. Wichtig sei es, nicht nur vorhandene Quadratmeter aufzuaddieren, sondern das Ganze neu zu denken, fordert Vera Hummel. Aber auch Realitätssinn ist gefragt. „Wunschkonzerte haben keine Zukunftschance.“ Synergiepotentiale müssen fach- und abteilungsübergreifend auf ein Maximum ausgeschöpft werden. Standardisierte Architekten-Empfehlungen helfen dabei selten weiter, wohl aber Best Practise Beispiele aus anderen Kliniken, die mit vorhandenen Daten und Zahlen kombiniert werden. Wertvolle Ideen kommen auch von den zukünftigen Nutzern. „Innovative Konzepte lassen die Mitarbeiter mitplanen“, sagt Vera Hummel. Deren Know-How, kombiniert mit dem Einsatz von digitalen Werkzeugen der Modellierung und Simulation, ermöglicht die Überprüfung von Raumplanung und Wegebeziehungen. Dies gewährleistet zukünftig einen optimalen Patientendurchlauf.

  Medizinische und technische Anforderung sowie Organisationsprozesse und betriebswirtschaftliche Aspekte  

Medizinische und technische Anforderung sowie Organisationsprozesse und betriebswirtschaftliche Aspekte werden in ein ganzheitliches System integriert.                                               (Grafik: Institut)

Digitales Krankenhaus auf dem Vormarsch

Um die Räume optimal auszulasten, laufen parallel zur Raumplanung Überlegungen zum Zeitmanagement. Hier gilt es, Terminierungskonzepte zu entwickeln, die „Spitzen“ vermeiden. Ein zentrales Steuerungsinstrument ist die elektronische Patientenakte, die Informationen schnell und überall verfügbar macht und damit Such- und Wegezeiten spart. „Das digitale Krankenhaus wird sich durchsetzen“, ist Vera Hummel sicher.

 Auch die IT-Planung sowie die Planung der einzelnen Arbeitsplätze gehören zum Prozedere. Eine große Rolle spielt dabei der Patientenempfang, der zu einem Bereich für den qualifizierten Erstkontakt aufgewertet wird. Wo früher ein Pförtner hinter dem Schieber hervorlugte, sitzt in einem innovativen Ambulanz- und Aufnahmezentrum ein Facharzt, der Eingangsdiagnosen vornimmt und die Patienten auf die nachfolgenden multifunktionalen Untersuchungs- und Behandlungsbereiche verteilt. An den einzelnen Arbeitsplätzen wird für jeden Aufnahmefall detailliert definiert, welche Patienten- und Hausarztdaten abzufragen sind und welche Formulare ausgegeben werden müssen. Durchzuführende Untersuchungen und Arbeiten am Patienten folgen standardisierten Prozessen.

 Dass Krankenhäuser neu auf der grünen Wiese geplant werden, ist heute eher die Ausnahme. Häufiger sind Erweiterungen und Umbauten bei laufendem Betrieb, was die zeitweise Schließung ganzer Abteilungen und die Verlegung schwer kranker Menschen erforderlich machen kann. Deshalb umfassen die Planungsschritte last not least auch Szenarien, die festlegen, wie die Patienten in der Übergangszeit versorgt werden und wie der eigentliche Umzug in Provisorien vonstatten gehen soll.

 Bevor schließlich die Handwerker anrücken, werden alle Planungsschritte in Simulationsmodellen getestet. „Neben dem Normalbetrieb werden dabei auch die Turbulenzen durchgespielt“, erklärt Vera Hummel. Schließlich muss das System Krankenhaus gerade dann funktionieren, wenn durch eine Katastrophe mit vielen Verletzten das Unplanbare tatsächlich eintritt.

amg

 
   

 

KONTAKT

                                                                  

Dr. Vera Hummel
Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb
Tel. 0711/970-1901
Fax 0711/970-1220
e-mail: veh@iff.uni-stuttgart.de
 > > > www.iff.uni-stuttgart.de

 

 

 

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