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Mit Erdbebengefahren richtig umgehen
 

„Materielle und mentale Strategien zur Reduzierung von Erdbebengefahren im Gebiet des mediterran-transasiatischen Erdbebengürtels“ – das deutschlandweit erste Kolloquium dieser Art, veranstaltet von Prof. Holger Sonnabend von der Abteilung für Alte Geschichte des Historischen Instituts und seinem Kollegen Prof. Götz Schneider, Emeritus für Geophysik, führte am 9. und 10. Februar Seismologen, Bauingenieure, Sozialgeographen und Historiker an die Uni Stuttgart.

  Gebäude in Bam (Iran)  

Dieses Gebäude in Bam (Iran) wurde bei einem Erdbeben Ende Dezember 2003 zwar beschädigt, die Tragfähigkeit blieb aber erhalten.
               (Fotos: Technisches Hilfswerk)

Die Kontinentalplatten verschieben sich gegeneinander, die Erde bebt – besonders gefährdete Regionen des mediterran-transasiatischen Erdbebengürtels finden sich in der Türkei, im Kaukasus, Iran und Pakistan. „Nach einer Epoche minimaler Personenschäden in den 50er und 60er Jahren wird heute ein steiler Anstieg der Erbebenopfer beobachtet“, berichtete Götz Schneider. Während in den Industriestaaten die Konzentration der Infrastruktur auf engem Raum zu immer größeren Schäden bei Erdbeben führt, sind in den Entwicklungsländern aufgrund der Migrationsprozesse vom Land in die Städte immer mehr Menschen betroffen. Dennoch: Trotz des Wissens um die Gefahrenzonen werde dort gebaut und das Risiko nach dem Motto „wait and see“ nicht wahrgenommen, betonten Roland Hahn, emeritierter Professor für Regionale Geographie an der Uni Stuttgart, und Dr. Barbara Malburg-Graf vom Institut für Geographie. Die Bildung von Netzwerken und eine gruppenübergreifende Leitbildentwicklung sei daher zunehmend wichtiger für ein Risikomanagement.

Bauen, wo die Erde bebt

„Jedes Gebäude könnte heute mehr oder minder erdbebensicher errichtet werden“, erklärte Prof. Balthasar Novák vom Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Uni Stuttgart. Wichtig, so der Bauingenieur, seien der richtige Baugrund, verformungsfreudige Bauteile und eine zug-, schub- und druckfeste Verbindung aller tragenden Elemente. Welche verheerenden Folgen die Kombination aus luftgetrockneten Bausteinen mit „westlichen Bauelementen“ wie Stahlträgern oder Betonfertigteilen und ein Untergrund aus Lössauflagen hat, wie sie entlang des mediterran-transasiatischen Erdbebengürtels vorkommen, zeigte Götz Schneider auf. Für den Bau stabiler, erdbebensicherer Unterkünfte in den ländlichen Gebieten Anatoliens – 40 Prozent der Gesamtoberfläche der Türkei sind Erdbebengebiet und 70 Prozent der Bevölkerung leben dort –, schlug Dr. Özbek Arin (Sindelfingen) einen Kompromiss zwischen modernen Gitter- und Seilnetzkonstruktionen und der traditionellen Zeltbauweise vor. Um über einstige und aktuelle Naturgefahren zu informieren, wie zum Beispiel über Massenbewegungen in den Alpen, könnten Fernerkundungs- und Geoinformationssysteme herangezogen werden.

  Erdbebenschäden  

Erdbebenschäden lassen sich durch geeignete Bauweisen und –materialien minimieren. Die nach einem Erdbeben in Algier im Mai 2003 entstandene Aufnahme zeigt im Hintergrund eine teilweise eingestürzte Stahlbaukonstruktion und im Vordergrund einen komplett eingestürzten Mauerwerksbau.

Lernen aus der Geschichte

Wie verhielten sich die Menschen in der Antike angesichts von Erdbeben, wie vermied man Panik unter der Stadtbevölkerung? Gab es eine bautechnische Bebenprophylaxe und veränderte sich in besonders gefährdeten Gebieten im Lauf der Zeit der technische oder mentale Umgang mit den Beben? „Gehen wir mit den richtigen Fragen an unsere antiken Quellen heran, so sind sie durchaus im Stande, auch für unser heutiges Umgehen mit Katastrophen relevante Erkenntnisse zu liefern“, ist sich Prof. Gerhard Waldherr vom Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Uni Regensburg sicher. Gerade mit dem Blick aus großer Entfernung würden länger dauernde komplexe Prozesse deutlich und überschaubar, die in langen seismischen Ruheperioden in Vergessenheit geraten.

  Auch Holger Sonnabend sieht die Auswertung antiker Quellen, die sich mit Erdbeben im Mittelmeerraum und in Vorderasien beschäftigen, als überaus ergiebig an: „Sie zeigen, dass die Menschen vielfältige Strategien entwickelten, um dem Desaster nicht hilflos ausgeliefert zu sein.“ So beispielsweise die praktische Hilfe nach der Katastrophe durch den Staat oder reiche Bürger, psychologische Hilfestellung oder auch die Deutung der Beben als Aufforderung zur Dankbarkeit: Glück und Wohlstand sind keine Selbstverständlichkeit. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird fortgesetzt im Rahmen eines größeren, am Historischen Institut angesiedelten Projekts, das sich auf die Minimierung von Erdbeben in Griechenland und der Türkei konzentrieren wird.

Julia Alber

 

 
   

 

KONTAKT

                                                                  

Prof. Holger Sonnabend
Historisches Institut
Tel. 0711/685-83440 oder –83449
Fax 0711/685-84164
e-mail: holger.sonnabend@po.hi.uni-stuttgart.de
> > > www.uni-stuttgart.de/hi/

 

 

 

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