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Interdisziplinäres Symposium am IZKT > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
 
Vom Tastsinn im Informationszeitalter
links die „Rechte Hand“ des Künstlers Hendrick Goltzius aus dem Jahr 1588, sodann einer Kupferstich von Cornelius Cort nach Hans Floris' „Tactus“ aus dem 16. Jahrhundert und rechts eine heutige Roboterhand  

Informationstechnologie, Digitalisierung und Virtualisierung verändern die Beziehung des Menschen zur Wirklichkeit und zu seinen Sinnen. Unsere Abbildungen zeigen von links die „Rechte Hand“ des Künstlers Hendrick Goltzius aus dem Jahr 1588, sodann einen Kupferstich von Cornelius Cort nach Hans Floris' „Tactus“ aus dem 16. Jahrhundert und rechts eine heutige Roboterhand.
                             (Quellen: Teylers Museum/Haarlem (links), Uni Bochum (Mitte), DLR-Institute of Robotica and Mechatronics (rechts).


Zwischen Dingen und Daten verlaufen die Schnittlinien des Informationszeitalters. Zunehmende Digitalisierung und Mediatisierung verändern die Beziehung des Menschen zur Wirklichkeit - und zu seinen Sinnen. Welche Rolle der Tastsinn in einer Zeit spielt, in der sich die taktilen Eigenschaften der Welt in der Oberfläche einer PC-Maus zusammenzuziehen scheinen, diskutierten Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Italien, Kanada und der Schweiz Mitte Februar bei einem dreitägigen Symposium in Stuttgart. Veranstalter waren das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam und dem Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich.

  von links der Potsdamer Philo-sophen Dieter Mersch, der Stuttgarter Ingenieur und Architekter Werner Sobek und die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Claudia Benthien  

„Fingerübungen“ war die Podiumsdiskussion im Literaturhaus überschrieben, bei der die Kom-plexität des Tastsinns und die Widersprüchlichkeit seiner kulturellen Wertschätzung deutlich wurden. Unser Foto zeigt von links den Potsdamer Philo-sophen Dieter Mersch, den Stuttgarter Ingenieur und Architekten Werner Sobek und die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Claudia Benthien.
                                                              (Foto: Eppler)

Wer nicht fühlen kann, muss sterben

„Hat der Mensch einen gestörten Sehsinn, ist er blind; ist der Gehörsinn geschädigt, so ist er taub. Verliert der Mensch jedoch den Tastsinn, ist er tot.“ Mit dieser Formel unterstrich Marc Ernst vom Max-Planck Institut für Biologische Kybernetik (Tübingen) die existenzielle Bedeutung des haptischen Sinns. Der Philosoph und Medienwissenschaftler Dieter Mersch (Potsdam) hob die Singularität des Tastsinns hervor. Während sich kein Auge selbst sehen kann, werden wir berührt durch das, was wir berühren. So ermöglicht der Tastsinn einen unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit; er beglaubigt ihre Existenz. Um so bedeutsamer war vor diesem Hintergrund die Diagnose, dass der Mensch die von den Monitoren der Informationstechnik geprägte Welt immer weniger - im buchstäblichen Sinne - „begreifen“ kann. Die Dinge, ihre Gegenständlichkeit und materielle Beschaffenheit geraten in den Sog von Manipulation und Simulation. Sie werden zu einer Sache der Bilder. Die Dominanz des Visuellen verdankt sich freilich eines historisch längerfristigen Prozesses, dessen kulturelle Wurzeln in ganz unterschiedlicher Weise die Literaturwissenschaftlerin Dorothee Kimmich (Tübingen) und der Medientheoretiker Derrick de Kerckhove (Toronto) offen zu legen versuchten. Dass die traditionelle Privilegierung des Sehsinns auch zu verblüffenden Forschungslücken in den „harten“ Wissenschaften geführt hat, erörterte der Leiter des Haptiklabors der Uni Leipzig, Martin Grundwald: Die wahrnehmungsphysiologische, -psychologische und neurowissenschaftliche Erforschung des Tastsinns steht allenfalls am Anfang.

  Bei einer Podiumsdiskussion im Literaturhaus, unter anderem mit der Hamburger Literaturwissenschaftlerin Claudia Benthien und dem Stuttgarter Ingenieur und Architekten Werner Sobek, wurde die große Komplexität des Tastsinns wie auch die Widersprüchlichkeit seiner kulturellen Wertschätzung deutlich. Die kontroverse Diskussion entfaltete verschiedene Interpretationen: Dürfen wir uns über die Wiederkehr des Berührens freuen oder sollten wir erleichtert feststellen, dass der Distanzsinn des Auges unsere Welt definiert?

Die Dinge und der Müll

   Auf großes Interesse stieß der Vortrag „Die Dinge und der Tastsinn“ des Berliner Kulturwissenschaftlers Hartmut Böhme. Im voll besetzten Max-Bense-Saal der Stadtbücherei bot er einen Panoramablick auf die Metaphorik des „Begreifens“. Seine Schlusspointe lag in der Diagnose eines dialektischen Verhältnisses des Menschen zu den Dingen. Die Dinge dienen uns nicht nur, sie bedrängen und belästigen uns auch und werden als Müll zum Problem. Einig waren sich die Teilnehmer des Symposiums in ihrem Plädoyer für eine „haptische Kultur der Dinge“.

Elke Uhl/Felix Heidenreich

 
   

 

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