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Jahrestagung des Forums Wirtschaftsethik > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
 
Handlungsfreiheit im Computerzeitalter

Computer bestellen Waren, vergleichen Preise und schleusen Patienten zur Untersuchung – fast alle Bereiche der Ökonomie wurden durch informatische Systeme beschleunigt, vernetzt und globalisiert. Inzwischen stellt sich die Frage, inwieweit menschliches Handeln durch autonome Systeme geschwächt wird. Sie stand im Mittelpunkt der Jahrestagung des Forums für Wirtschaftsethik und Wirtschaftskultur der Deutschen Gesellschaft für Philosophie im Dezember.

Unter dem Titel „Mensch-Maschine-Hybride – Transformationsprozesse des Wirtschaftens und ihre ethische Relevanz“ versammelten sich Philosophen, Wirtschaftsethiker und Forscher aus dem Bereich moderner Informationstechnologien. Veranstalter war das Institut für Philosophie gemeinsam mit dem Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Uni sowie dem Alcatel SEL-Stiftungskolleg. Diskutiert wurde, wie das Zusammenspiel von Mensch und Technologie moderne Wirtschaftsprozesse verändert und welche ethischen Auswirkungen zu erwarten sind.

  Im Eröffnungsreferat erläuterte Prof. Christoph Hubig vom Institut für Philosophie Schlüsselprobleme der Mensch-Maschine-Interaktionen in intelligenten Umgebungen. Er verwies dabei auf Forschungsergebnisse, die innerhalb des Sonderforschungsbereichs „Nexus - Umgebungsmodelle für mobile kontextbezogene Systeme“ gewonnen wurden. Intelligente Systeme, die aus komplementären Elementen bestehen, stellen eine zentrale Herausforderung für gegenwärtige und zukünftige ökonomische Entwicklungen dar. Zur Debatte steht, welche Eingriffsmöglichkeiten dem Menschen in einer sich verselbstständigenden Computer- und Datenwelt bleiben. Dabei sei eine „merkwürdige Dialektik“ zu beobachten, so der Grundtenor der Tagungsteilnehmer. „Gerade große Firmen individualisieren Prozesse bis ins kleinste Detail, wollen jedoch andererseits maximale Berechenbarkeit.“ So etabliere sich eine Art Planwirtschaft, die den Grundprinzipien der Marktwirtschaft zuwiderlaufe.

  Ein weiteres Problem: Durch die Erfassung ökonomischen Verhaltens mit Sensoren, Chips und Kundenkarten werden Menschen unbemerkt anonymen Gemeinschaften zugewiesen. Zudem macht der Datenaustausch zwischen Unternehmen es fast unmöglich, nachzuvollziehen, was wo gespeichert wird. Vor diesem Hintergrund stellte Klaus Wiegerling (Stuttgart) fest, dass durch Verknüpfungen autonomer Systeme Entmündigungen entstehen können. Diesen könne nur durch die Ausgestaltung von Formen einer Parallelkommunikation entgegengesteuert werden, die den Zugriff auf Metadaten ermöglichen.

Systeme ohne Handlungssubjekt

Zu den weiteren Themen zählten die Rationalisierungsgewinne und –verluste beim Einsatz von Ubiquitous Computing. Alois Ferscha (Linz) diskutierte Chancen und Probleme, die sich aus der Wahrnehmungsfähigkeit intelligenter Dinge ergeben. Stefan Klein (Dublin) erörterte neue Möglichkeiten des Kommunikationsmanagements. So sind, wenn Mitarbeiter im Zuge der Flexibilisierung kaum noch an ihrem Arbeitsplatz sitzen, Systeme zur Steuerung des Präsenzmanagements erforderlich. Diese müssen gewährleisten, dass der Kollege für wichtige Fragen erreichbar bleibt und ihn gleichzeitig vor unwichtigen Telefonaten und e-mails abschirmen. Matthias Maring (Karlsruhe) legte dar, dass moderne Informationssysteme als hybride soziotechnische Systeme aufgefasst werden müssen, in denen es kein klassisches Handlungssubjekt mehr gibt. Ethische Fragen müssen demzufolge eine multisystemische Antwort erfahren.

  In der Sektion „Entscheidungsdelegation, Risikomanagement, Produkthaftung: Grenzen des Systemvertrauens“ forderte Alfred Endress (Hagen) die Schaffung von Anreizsystemen, um Vertrauensbildung zu rationalisieren. Ludger Heidbrink (Kiel) stellte fest, dass Systeme nicht moralfähig sind und es deshalb zu einer Kombination von Selbstverpflichtungen und instrumentellen Zuschreibungen kommen muss. Insgesamt dokumentierte die Veranstaltung einen Umbruch in der Erörterung wirtschaftsethischer Fragestellungen. Die Teilnehmer mahnten eine kritische Begleitung der ökonomischen Transformationsprozesse an.

Klaus Wiegerling/amg

 
   

 

KONTAKT

                                                                  

Dr. Klaus Wiegerling
Institut für Philosophie
Abteilung Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie
Tel. 0711/685-82347
Fax 0711/685-82492
e-mail: klaus.wiegerling@philo.uni-stuttgart.de

 

 

 

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Pressestelle der Universität Stuttgart