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Der Weg eines Geräuschs von der Außenwelt ins Hörzentrum eines Menschen ist komplex. Vereinfacht gesagt werden dabei die Druckschwankungen der Luft über nur millimetergroße Gehörknöchelchen – Hammer und Amboss – auf einen ebenso winzigen „Steigbügel“ übertragen, der dadurch in Bewegung versetzt wird. Die Steigbügelfußplatte verdrängt die Flüssigkeit im Innenohr und erzeugt eine Druckwelle, die von hauchfeinen Haarzellen aufgenommen und letztendlich in elektrische Signale umgewandelt wird. „Druck, Kraft, Bewegung – das sind klassische Gebiete der Mechanik“, erklärt Dr. Albrecht Eiber, Leiter des Forschungsprojekts „Computersimulation von Mittelohrprothesen“.
Verschiedene Prothesentypen
Kommt dieses Zusammenspiel alters- oder krankheitsbedingt ins Stocken, können operativ eingebrachte Gehörprothesen die Aufgabe übernehmen und den Patienten vor der Schwerhörigkeit bewahren. Während passive Prothesen letztendlich nichts anderes sind als einfache Ersatzteile, leisten aktive Prothesen einen eigenen Energieeintrag, indem sie das eintreffende Schallsignal intrakorporal verstärken. Das Schallsignal wird dazu von einem implantierten oder außen am Kopf getragenen Mikrophon aufgenommen, in einem Prozessor verarbeitet und elektrisch intensiviert. Die Gehörknöchelchen werden mit einem vibratorischen Aktor angetrieben, für den Piezoelemente oder elektromagnetische Antriebe zum Einsatz kommen. Von klinischer Bedeutung ist zudem der Unterschied zwischen schädelgekoppelten und nicht schädelgekoppelten Wandlern. Letztere werden an einem Ossikel frei schwingend implantiert, sind klein und operationstechnisch gut zu handhaben. Sie haben aber eine ungünstige Energiebilanz. Daher erlauben sie bisher noch keine Totalimplantate, bei denen auch das Mikrophon, der Sprachprozessor und die Energieversorgung implantiert und somit verdeckt sind. Schädelgekoppelte Wandler dagegen sind fest im Schädelknochen eingebettet und können dadurch größere Kräfte auf die Ossikel aufbringen. Der höheren Effizienz steht jedoch der fehlende Ausgleich von statischen Druckunterschieden im Hörsystem entgegen. Eines ist jedoch allen Prothesetypen gemeinsam: Um sie auszugestalten und an die natürlichen Strukturen zu koppeln, war man bis vor wenigen Jahren weitgehend auf das Prinzip „trial and error“ angewiesen. „Keiner konnte letztendlich vorhersagen, wie gut der Patient nach einer Operation wieder hört“, skizziert Eiber das Problem.
Um die Winzlinge zu optimieren, sind zum Beispiel Massenverhältnisse, Elastizitäten und die mechanische Kopplung mit den Ossikeln zu berücksichtigen. Im menschlichen Ohr ist die Messung der entsprechenden Parameter eine echte Herausforderung, da die Strukturen sehr klein und im Innern des Körpers meist nicht direkt zugänglich sind. Zudem würden viele Messungen dem Patienten Schmerzen zufügen. Auch verändern sich die Bewegungen der Gehörknöchelchen je nach Lautstärke und Tonlage. So erzeugen hohe Töne gegenläufige, tiefe Töne dagegen gleichläufige Kippbewegungen von Hammer und Amboss. Bei einem lauten Knall treten ausgeprägte transiente Bewegungsformen mit sehr großen Amplituden und anschließendem Ausschwingverhalten auf. Die Verschiebungen liegen dennoch nur im Nanometerbereich und waren noch vor nicht allzu langer Zeit nur ungenau bekannt.
Lasertechnik gibt Schub
Neuartige, lasergestützte Messabläufe, die das ITM in Zusammenarbeit mit den Kliniken der Universitäten Tübingen und Zürich durchführt, liefern jetzt genauere Aussagen. Diese wurden mit den vorhandenen Simulationsergebnissen am ITM gekoppelt. „Der große Datenfundus, kombiniert mit neuen Berechnungs- und Simulationsmethoden, versetzt uns in die Lage, die Bewegungen der Gehörknöchelchen am Bildschirm zu analysieren und das Schallübertragungsverhalten zu beschreiben und gezielt zu verbessern“, betont Eiber. „Das hat einen großen Schub gegeben.“
Untersucht werden unter anderem der Einfluss verschiedener Frequenzen und Intensitäten der Anregung sowie der statischen Druckverhältnisse bei natürlichen, krankhaften oder rekonstruierten Gehören. Im Fokus stehen auch Größe und Platzierung der passiven oder aktiven Implantate. Ebenso werden unterschiedliche Krankheitsbilder und ihr Verlauf simuliert. Auch den verschiedenen Befestigungsmethoden gilt das Augenmerk. Derzeit arbeiten die Wissenschaftler unter anderem an einer Prothese, bei der ein Magnet auf das Hammerknöchelchen geklemmt und mit einer Spule angetrieben wird. In der Simulation lässt sich eine solche Prothese virtuell in das Rechenmodell einbauen und ihre Funktionsweise unter den verschiedensten Bedingungen studieren. „Unser Ziel ist ein aktives Hörgerät, das leistungsfähig und preisgünstig ist, minimalinvasiv eingesetzt werden kann und dem Patienten maximalen Komfort und Sicherheit bietet“, sagt Eiber. Das wachsende Heer Hörgeschädigter dürfte sich freuen.
amg
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