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Man muss nicht sonderlich bibelfest sein, um den Satz „The spirit is willing, but the flesh is week“ (Matthäus 26,41) mit „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ zu übersetzen. Überträgt man den Vers jedoch wörtlich ins Russische, so wird daraus „Der Wodka ist gut, aber das Fleisch ist verdorben“. Mit Doppeldeutigkeiten wie diesen befasst sich der Sonderforschungsbereich (SFB) 732, der im November offiziell an den Start geht. Sprecherin des neuen SFB mit dem etwas sperrigen Titel „Inkrementelle Spezifikation im Kontext“ ist Prof. Artemis Alexiadou vom Institut für Linguistik/Anglistik der Uni Stuttgart.
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Schon an einfachen Wörtern wie Schloss, Bank oder Hahn lässt sich ermessen, wie sehr gerade die deutsche Sprache voll von Doppeldeutigkeiten (Ambiguitäten) steckt. Auch ein Begriff wie „Absperrung“ kann sowohl den Vorgang des Absperrens als auch die Barriere selbst umschreiben. Die tatsächliche Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext des Begriffes, der wichtige Informationen für die Interpretation und Lesart liefert. Das sprachliche Umfeld, also vorausgegangene beziehungsweise nachfolgende Sätze und die Betonung, spielen dabei ebenso eine Rolle wie beispielsweise räumliche und zeitliche Bezüge. „Die Menschen erkennen unbewusst aus dem Zusammenhang, wie der Satz gemeint ist“, erklärt Alexiadou.
Wie dieses Erkennen funktioniert, steht im Mittelpunkt des neuen Sonderforschungsbereichs, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit jährlich 1,5 Millionen Euro fördert. Ziel des SFB ist es, ein besseres Verständnis der Mechanismen zu gewinnen, die es ermöglichen, Doppeldeutigkeiten zu kontrollieren beziehungsweise aufzulösen. Ausgangsbeobachtung für das Forschungsprogramm ist die Tatsache, dass auf jeder Ebene der linguistischen Analyse und der sprachlichen Kommunikation mit fehlender, unvollständiger oder mehrdeutiger Information umgegangen werden muss. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Ambiguität eine Folge von „Unterspezifikation“ ist und ihre Klärung einen Prozess der näheren Spezifizierung des doppeldeutigen Inputs darstellt. Daraus ergeben sich mehrere Fragen. Wie kann fehlende Information ergänzt und wie können Ausdrücke, in denen Information fehlt, interpretiert werden? Wie kann man zwischen zwei oder mehreren Bedeutungsalternativen die richtige Auswahl treffen? Und last but not least: Wie können diese Prozesse formalisiert beziehungsweise statistisch modelliert werden?
Schwerwiegendes Problem für Computer
Das Projekt legt die Annahme zugrunde, dass es eine enge Interaktion zwischen Kontext und Bedeutung gibt. Daher ist es wichtig, den Kontext früh in die linguistische Analyse einzubeziehen, um bestimmte Lesarten auszuschließen. Der SFB will auf lange Sicht linguistische Informationen in die statistische Modellierung von Sprache integrieren. Von besonderer Bedeutung sind diese Zusammenhänge für die automatische Sprachverarbeitung. Denn was der Mensch ständig und unbewusst tut, nämlich mehrdeutige Zeichen eindeutig zu machen, ist für Computer, Übersetzungsprogramme oder auch für Navigationssysteme ein schwerwiegendes Problem. Deshalb arbeiten Sprachforscher und Computerlinguisten in dem Projekt eng zusammen. Im Rahmen des SFB wird die bestehende Kooperation zwischen theoretischer Linguistik und Computerlinguistik, die bereits in dem Graduiertenkolleg „Linguistische Repräsentationen und ihre Interpretation“ angelegt ist, noch weiter ausgebaut. Der ausgeprägt interdisziplinäre Charakter des Vorhabens wird auch dadurch betont, dass der Lehrstuhl für Signaltheorie und Bildschirmtechnik der Fakultät Informatik, Elektrotechnik und Informationstechnik mit eingebunden ist. „Wir hoffen, dass wir am Ende in der Lage sein werden, so viel Information in die Maschinen hineinzubekommen, dass diese mit der Mehrdeutigkeit der natürlichen Sprache kein Problem mehr haben“, beschreibt Alexiadou das Ziel.
Inspiration durch linguistische Sommerschule
Eng verzahnt mit dem neuen Sonderforschungsbereich fand im August die erste Linguistische Sommerschule an der Uni Stuttgart statt, zu der sich rund 100 Teilnehmer aus der ganzen Welt angemeldet hatten. Unter dem Titel „Micro- and Macrovariation“ wurden in den 23 von international renommierten Wissenschaftlern geleiteten Kursen die Unterschiede zwischen einzelnen Sprachen und Dialekten sowie zwischen ganzen Sprachfamilien behandelt. Dabei ging es unter anderem um Satzbau, Phonologie und Sprachwandel. Auch die Psycholinguistik war ein Themengebiet. Hier diskutierten die Wissenschaftler, wie Sprache im Gehirn verarbeitet wird und wie der Spracherwerb funktioniert. „Die Sommerschule war ein Erfolg; wir haben ein sehr positives Echo von Studierenden und Dozenten bekommen“, bilanziert Alexiadou. „Auch für die lokale Arbeit waren die Kurse inspirierend, da viel über die Rolle der Unterspezifikation in der Grammatik diskutiert wurde. Diese Erkenntnisse werden sich positiv auf die Forschung im SFB auswirken.“
amg/zi
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