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In der Vortragsreihe „Ingenieurbau – gestern und heute“ hielt am 4. Juli Prof. Hans-Wolf Reinhardt vom Institut für Werkstoffe im Bauwesen seine Abschiedsvorlesung. Trotz des heißen Sommertages war der Hörsaal 7.02 auf dem Vaihinger Campus fast bis auf den letzten Platz gefüllt. „Das zeugt von der Wertschätzung und Hochachtung für Hans-Wolf Reinhardt“, begrüßte der damalige Uni-Rektor Prof. Dieter Fritsch die Zuhörer. Reinhardt habe sich immer den Forderungen der Zeit gestellt und dank seines Jahrzehnte umfassenden Engagements die Geschichte der Universität Stuttgart mit geprägt. Eigentlich sei es unvorstellbar, befand Fritsch, dass Hans-Wolf Reinhardt nach über 26 Jahren seine Alma Mater verlasse, deren Boden er vor 48 Jahren erstmals betreten hat.
Immer wieder Stuttgart
Nach seiner Promotion in Stuttgart führte der Weg von Hans-Wolf Reinhardt über Chicago (1969–70), Stuttgart (1970–75), Delft (1975–86) und Darmstadt (1986–90) schließlich wieder zurück nach Stuttgart (1990–2006): an das Institut für Werkstoffe im Bauwesen und zugleich an die heutige Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA Stuttgart, Otto-Graf-Institut). Prof. Christoph Gehlen, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Werkstoffe im Bauwesen, ging auf einige Arbeitsgebiete seines Vorgängers ein; darunter sind weit gespannte Flächentragwerke, Rissbildung an den Rammen von Bohrpfählen, demontables Bauen, das Eindringverhalten organischer Flüssigkeiten in Beton, selbstverdichtender Beton und zerstörungsfreie Prüftechnik. Zudem hatte er gezählt: über 600 Veröffentlichungen, zehn Bücher, 120 Dissertationen und mehrere 10.000 Flugkilometer kamen da bei Hans-Wolf Reinhardt zusammen sowie Auszeichnungen wie Fellows bei anerkannten Fachgesellschaften, Ehrendoktor- und -Professorwürden.
Werkstoffe und Beton = Reinhardt
„Das Ergebnis Ihres Handelns kann sich sehen lassen“, betonte Prof. Wolfram Ressel, Dekan der Fakultät Bau- und Umweltingenieurwesen. Wenn von Werkstoffen und Beton die Rede sei, so falle – national und international – zuerst der Name Reinhardts, dessen Institut für Werkstoffe im Bauwesen weltweit zu einem der renommiertesten im Bereich der Werkstoffe zähle. Der „Vorgesetzte Reinhardt“ habe ihn immer durch seine harmonische Zusammenarbeit beeindruckt, sagte Ressel, der „Wegbereiter Reinhardt“ ihn als Professor an die Uni Stuttgart geholt, und „er saß auch in der Kommission, die sich für den neuen Rektor entschieden hat“ (Wolfram Ressel ist seit 1. Oktober Rektor der Uni Stuttgart).
Otto Graf: Forscher und Experimentator
Für seine Abschiedsvorlesung hatte Hans-Wolf Reinhardt eine Rückschau auf Otto Graf gewählt, den ehemaligen Leiter der „Amtlichen Forschungs- und Materialprüfungsanstalt für das Bauwesen“, die in Würdigung der Verdienste Grafs 1953 den Beinamen Otto-Graf-Institut bekam und heute mit zur „Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart“ zählt. Anlässlich des 50. Todesjahres von Graf (1881–1956) sei es angemessen, einmal über den „vielseitigen Forscher und ausgezeichneten Experimentator“ zu berichten, der es allein zwischen 1910 und 1954 auf 660 Veröffentlichungen brachte, erklärte Reinhardt. Betonstraßen waren das Steckenpferd Otto Grafs, die „vom Grundsatz her heute noch so gebaut werden wie damals“. Aufgrund einstürzender Stahlbrücken entwickelte Graf ein Prüfverfahren für die Rissausbreitung im Stahl und er beschäftigte sich mit dem Verbund von Stahl und Beton – importierte aus Amerika dazu extra gerippte Stähle, um an ihnen und den damals benutzten Rundstählen den Verbundwiderstand zu bestimmen. Nach dem Krieg beschäftigte er sich mit der Aufbereitung von gipshaltigem Trümmerschutt. „Eine wirtschaftlich und sozial gesehen hervorragende Leistung!“, lobte Reinhardt, und im Rahmen der Aufbereitung von Abbruchbauten wieder ein aktuelles Thema. Für das Holz führte Otto Graf Güteklassen ein und er rief die Bautechnische Auskunftsstelle ins Leben, die es in Form des Fraunhofer Instituts für Bau und Raum noch heute gibt.
„Wähle dir einen Beruf aus, den du gerne machst, dann brauchst du nicht mehr zu arbeiten.“ Dieser Satz von Konfuzius habe sich für ihn bewahrheitet, zog Hans-Wolf Reinhardt als Resümee. Um sein Hineinwachsen in die großen Schuhe seines Vorgängers zu kontrollieren, hat sich Christoph Gehlen*) eigens ein Paar in Größe 52 zugelegt. Einen Schuh davon, nebst einer Flasche Wein, überreichte er Reinhardt, den anderen behielt er selbst „zu Prüfzwecken“.
Julia Alber
*) Christoph Gehlen stellen wir auf
Seite 108f vor.
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