Unikurier Inhaltsverzeichnis Suchen Uni Home
Ideale der Männlichkeit im England des 18. Jahrhunderts   > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
Sonderlinge und Softies

Im Jahrhundert der Aufklärung steht die Neu-Definition der menschlichen Verstandes- und Gefühlswelt in Philosophie und Literatur im Zentrum des Interesses. Dies beinhaltet auch die Entdeckung neuer und vielfältiger Vorstellungen des Männlichen. In der Stuttgarter Anglistik wird dem Forschungsfeld der „masculinities“ seit mehreren Jahren intensive Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Band über Images of Man in the Long 18th Century ist bereits erschienen*), eine weitere Buchpublikation ist in Vorbereitung.

Als Vorgeschichte der Moderne und Postmoderne hat das 18. Jahrhundert in Großbritannien eine besondere Bedeutung. Mit ästhetischen und gesellschaftlichen Veränderungen reagiert es einerseits auf die vorausgehende Bürgerkriegsepoche mit ihren Umbrüchen, antizipiert aber auch viel von der modernen dynamischen Gesellschaft. Der Mann ist nicht mehr allein durch Stand und Geburt bestimmt, sondern kann sich dynamisch entwickeln und seine eigene Biographie entwerfen.

Im Zeitalter der Aufklärung wurde der Mann neu definiert – und vom Sockel geholt

 

Im Zeitalter der Aufklärung wurde der Mann neu definiert – und vom Sockel geholt…
                                       (Foto: Wissenschaftlicher Verlag)
 

  Die Romankunst der Zeit ist – neben Erziehungsschriften und Philosophie – ein Forum, in dem die neuen Rollenentwürfe erprobt und durchgespielt werden. Beispiele hierfür sind der „homo oeconomicus“ in Daniel Defoes Robinson Crusoe, der „man of feeling“ in der empfindsamen Literatur von Laurence Sterne oder Henry Mackenzie. Auch Neudefinitionen des Gentleman-Ideals, wie zum Beispiel in den Werken Jane Austens, stehen für diesen Prozess. Scharlatane und Sonderlinge zeugen in ihrer zuweilen recht ausgeprägten Verschrobenheit von der Vielfalt möglicher Selbstverwirklichungen, die einen Vorgeschmack auf die heutige Freiheit der Selbstdarstellung geben. Bei Laurence Sterne wird der Mensch zum Spielball der Imagination, geprägt durch absonderliche Steckenpferde und exzentrisches Verhalten – eine Entwicklung, die sich bis zu Charles Dickens fortsetzen wird. Diese Tendenz zum Sonderbaren und Exzentrischen kennzeichnet auch die satirische Bildkunst der Zeit, insbesondere bei William Hogarth.  

  Dabei wird die Romanliteratur auf dem Forschungsgebiet der „masculinities“ im Sinne neuerer interdisziplinärer Ansätze nicht mehr als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen aufgefasst. Die Wissenschaftler verstehen sie vielmehr als einen Bereich, in dem Verhaltensformen und Rollenerwartungen der sich ausbildenden höflichen bürgerlichen Öffentlichkeit artikuliert und erprobt werden und der so die gesellschaftlichen Verhältnisse mit gestaltet. Hier hat die fiktionale Literatur eine Sonderstellung: Da Formen und Regeln alltäglichen Verhaltens von der ökonomisch und politisch orientierten Geschichtsschreibung der Zeit kaum erfasst wurden, kann die fiktionale Literatur ihren Teil zur Erforschung von historischen Normen und Idealen des Verhaltens und Benehmens bestimmter Gruppen beitragen.  

Paradoxe Geschlechterrollen

Bekanntlich betrifft die Veränderung der Rollenentwürfe, welche unter anderem das Ende der Ständegesellschaft anzeigt, auch die Frauenrollen, bei denen sich allmählich ein aufklärerisches Vernunftideal durchsetzt. Da diese besser untersucht sind, werden sie im Rahmen der Studien zu Vergleichszwecken herangezogen. Dies führt zu durchaus paradoxen Beobachtungen: So begünstigt die Dynamisierung der Geschlechterrollen im frühen 18. Jahrhundert einerseits die Feminisierung des Mannes zu einem „man of feeling“, der in Tränen ausbricht, wenn eine tugendhafte Dame in Not ist. Andererseits führt wenige Jahrzehnte später die Aufklärung der Frau zu deren tendenzieller Vermännlichung, wenn „Sie“ in den Romanen Jane Austens zu völliger Gefühlsbeherrschung erzogen werden soll. Dementsprechend forderte eine aufgeklärte Feministin der Zeit, Mary Wollstonecraft, in ihrer Erziehungsschrift „A Vindication of the Rights of Woman“ aus dem Jahr 1792, Frauen müssten männlicher werden. Die Männer dagegen werden zuweilen als empfindsam und mitfühlend bis zur Lebensuntüchtigkeit präsentiert. Beispielhaft hierfür sei die entehrte Braut in Nicholas Rowes Drama „The Fair Penitent“ genannt: die Dame bezeichnet ihren gehörnten Verlobten, als dieser ihr vergibt, gar als so „lieb wie die zarteste Jungfrau unseres Geschlechts“.  

  Erst im viktorianischen Zeitalter werden die Rollen, die wir im Geschlechterverhältnis als traditionell ansehen, festgeschrieben: Der Mann wird wieder zum Patriarchen und die Frau zum „angel in the house“. Insofern erscheint das 18. Jahrhundert als Zeit des Auf- und Umbruchs, in der auch die Geschlechtsrollen durchlässig werden, in mancher Hinsicht vertrauter als näher liegende Zeiten.  

Walter Göbel/amg

*) Walter Göbel, Saskia Schabio, Martin Windisch (Hrsg.): Engendering Images of Man in the Long Eighteens Century, Trier 2001.  

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                      
Prof. Walter Göbel
Institut für Literaturwissenschaft
Abteilung Amerikanistik und Neuere Englische Literatur
Tel. 0711/685-83105
Fax 0711/685-83237
e-mail: walter_goebel@gmx.net

 


 

 

 
last change: 30.06.07 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart