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Nein, in einem Katastrophengebiet war Wyly Brown noch nie, aber dass Betroffene häufig lange auf Hilfe warten müssen, hat ihm zu denken gegeben. Nach dem Erdbeben im Norden Pakistans 2004 dauerte es zum Beispiel zehn Tage, bis die ersten Zelte für die medizinische Versorgung der Opfer eingerichtet waren, erzählt Brown. Und da die langen Transportwege das zentrale Problem darstellen, fragte sich der 30-jährige Architekt, warum man überhaupt Materialien transportieren solle. So war die Idee geboren: Temporäre Bauten, die von den Menschen vor Ort unter Verwendung primärer Materialien in kürzester Zeit aufgebaut werden können. Die einfache Bauanleitung wird mittels moderner Kommunikationstechniken wie Mobilfunk oder Internet übermittelt – und ist damit schneller als jeder Helikopter.
Hilfe zur Selbsthilfe
Mit handelsüblichen stählernen Kabelkanälen, mit Stahlträgern und Bambus experimentiert Wyly Brown zurzeit. Flat to Form hat er sein Konzept getauft, denn flach am Boden werden die Stabelemente zunächst nach einem speziellen Gittermuster überlappend zusammengebaut und dann so zusammengeschoben, dass eine Kuppelform entsteht. Einen Prototypen aus stählernen Kabelkanälen, verbunden mit Kabelbindern, hat er nach diesem Konstruktionsprinzip schon in Amerika aufgestellt. Die nächsten Bauten, ähnlich dem Prinzip „100 Quadratmeter, vier Personen, drei Stunden“, werden nun bald auf dem Vaihinger Campus zu bewundern sein.
Die Bundeskanzler-Stipendien werden an künftige Führungskräfte in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft der USA, der Russischen Förderation und der Volksrepublik China vergeben. Das Programm der Alexander von Humboldt-Stiftung unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin hat zum Ziel, insbesondere jüngeren Menschen dieser Länder die Bedeutung freundschaftlicher, auf persönlichen Erfahrungen fußender Beziehungen zwischen Deutschland und ihrem jeweiligen Heimatland stärker ins Bewusstsein zu rufen. Jährlich erhalten je zehn Stipendiaten der drei Länder während ihres Aufenthaltes in Deutschland einen umfassenden Überblick über Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Gesellschaft sowie Kultur, und sie haben die Möglichkeit, ein eigenes Projekt an einem Ort und Institut ihrer Wahl durchzuführen.
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„Weltweit beschäftigt sich nur das ILEK mit meiner Art von Bauten“, erklärt Brown seinen Wunsch, als Bundeskanzler-Stipendiat an die Uni Stuttgart zu kommen, die traditionell bei Humboldt-Wissenschaftlern aus aller Welt sehr gefragt ist. Rund drei Jahre wird er sich nun im Rahmen seiner Promotionsarbeit unter anderem den Fragen widmen: Wie stabil sind die temporären Bauten, wie kann man deren Form womöglich optimieren? Vielleicht wird Wyly Brown seine Unterkünfte auch einmal im Windkanal an der Uni testen, und schließlich wird ihn noch deren „Abdeckung“ beschäftigen: Von einfachen Plastikfolien bis hin zu Solarzellen, wenn ein längerfristiger Einsatz geplant ist, hat er schon viele Ideen.
Wichtiger Stein im großen Mosaik
„Das passt 100 Prozent in unser Forschungsgebiet“, freut sich Browns Doktorvater und Leiter des ILEK, Prof. Werner Sobek, an dessen Institut immer Stipendiaten aus aller Welt zu Gast sind. Wyly Brown bringe mit seiner Arbeit im Lowtech-Bereich einen „wichtigen Stein in das große Mosaik“ der Institutsarbeit ein, die sich dem Hightech-Leichtbau in Zentraleuropa widmet, sowohl im Hinblick auf die eingesetzten Materialien als auch den Energieverbrauch während Bau und Betrieb. Hilfsorganisationen haben schon Interesse an Wyly Browns Projekt angemeldet, und die Vorgabe der Pan American Health Organization für Feldlazarette – Aufbau in 24 Stunden – trifft sich genau mit seinen Vorstellungen, perfektioniert er doch die Kunst des schnellen Bauens.
Julia Alber
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