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Blauer Himmel, strahlende Sonne und dazwischen nichts als Glas – 800 Quadratmeter. In 40 Metern Höhe über dem Vaihinger Campus erstreckt sich auf dem Dach des Gebäudes Pfaffenwaldring 57 die Botanische Versuchsstation mit über 500 Quadratmetern Nutzfläche. Beim Gang vorbei an den Topfpflanzen des Biologischen Instituts scheint es, als bliebe den Gärtnern hier das Glück oft versagt. Viele Pflanzen sehen kränklich aus. Holger Jeske und Christina Wege von der Abteilung Molekularbiologie und Virologie der Pflanzen stört dies keineswegs, sollen doch neben den Pflanzen hier vornehmlich Pflanzenviren gedeihen.
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Ein Chip soll beim Kontakt mit infizierten Viren anzeigen, um welches Virus es sich handelt. |
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Ein Chip gibt Virenalarm
Die Geminiviren zählen zu den bedeutendsten Schädlingen der Nutzpflanzen in den Tropen und Subtropen. In großen Gebieten Afrikas haben sie die Maniok-Produktion zum Erliegen gebracht, und allein in Westafrika geht man von zwei Milliarden Dollar Ernteverlust pro Jahr aus. Erschreckende Zahlen, besonders wenn man bedenkt, dass Maniok, vergleichbar unserer Kartoffel, Grundnahrungsmittel der Bauern in Südamerika, Afrika und Indien ist. Seine unkomplizierte, einfache Vermehrung über Wurzelstecklinge birgt ein großes Problem, denn die von der Weißen Fliege übertragenen Viren sind auch in den Stecklingen infizierter Mutterpflanzen enthalten und werden daher mit den Sprösslingen weiter verbreitet. Besonders gefährlich und mitverantwortlich für die Epidemien in Afrika sind Maniokviren mit einer Neukombination von Erbanlagen, die durch Mutation aus harmloseren Virusvarianten entstanden. Ein Vorgang, der nun auch in Indien gerade im Anfangsstadium beobachtet wird und die Wissenschaftler zur Eile drängt: Ein leicht durchzuführendes und günstiges Testverfahren ist gefragt, das den Befall der Maniokpflanzen sowohl mit bekannten als auch bislang unbekannten Viren anzeigt.
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Die Doktorandin Anna Müller begutachtet Maniokpflanzen, die für die Forschung mit Viren identifiziert wurden. |
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Internationales Referenzzentrum in Stuttgart
Ein erster wichtiger Schritt ist das an der Uni Stuttgart angesiedelte „Internationale Referenzzentrum für pflanzliche Viren mit kleiner zirkulärer DNA“, in dessen Rahmen seit April 2007 Forschergruppen aus Malaga, Gif-sur-Yvette und Stuttgart gemeinsam mit der Firma Qiagen weltweit Pflanzenmaterial sammeln und die enthaltenen Viren nebst ihrer DNA charakterisieren. Insgesamt 600.000 Euro für drei Jahre stellt das Bundesforschungsministerium für den deutschen Anteil an diesem trilateralen europäischen Projekt zur Verfügung. „Rund 400 Viren umfasst die Datenbank aktuell“, erklärt Holger Jeske. Nach drei Jahren Sammeltätigkeit hofft er auf rund 1.400 Einträge. „Ein ganz tolles Projekt“, schwärmt der Professor. Bei der Analyse der gesammelten Pflanzenproben hilft den Forschern ein in den 1990-er Jahren entdecktes Enzym, das von der zirkulären DNA dieser Pflanzenviren bei Raumtemperatur in kürzester Zeit Millionen von Kopien erstellt. Mittels so genannter Restriktionsenzyme, die eine bestimmte Basenabfolge in der DNA erkennen und zerschneiden, erhält man schließlich individuelle DNA-Fragment-Muster, den „Fingerabdruck“ des Virus. Ziel der Forschung, so die Vorstellung der Wissenschafter: Ein Chip, der beim Kontakt mit infiziertem Pflanzenmaterial anzeigt, um welches Virus es sich handelt. Die große Herausforderung dabei ist die sichere Nachweisreaktion in den sehr kleinen Volumina.
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Sigrid Kober schiebt Pflanzen in die Partikel-Kanone; dort werden sie mit Virus-DNA infiziert.(Fotos: Eppler)
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Viren als „Gussform“
In eine andere Richtung zielt die Arbeit von Christina Wege. Die Biologin beschäftigt sich mit Tabakpflanzen und dem stäbchenförmigen Tabakmosaikvirus (TMV), das auch im Zigarettentabak anzutreffen ist. Den Rauchern unter den Journalisten stockt kurz der Stift, denn was Christina Wege jetzt zeigt und erzählt, klingt einfach zu futuristisch: Als „Gussform“ für metallisierte Hüllen oder Nano-Drähte nutzt sie in einer Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Festkörperforschung die gereinigten TM-Viren. Gerade mal zehn Atome breit sind die Kobalt- oder Nickeldrähte, die dabei entstehen, dafür aber ganze 0,5 Mikrometer lang. „Ähnliche langgestreckte und gleichförmige Kleinstobjekte sind in der Natur sehr selten und technisch nur mit hohem Aufwand herstellbar“, erklärt Wege. Aktuell stehen deren Leitfähigkeit und Magnetismus auf dem Prüfstand; zur Kontaktierung der Drahtenden gelang es jüngst, Nano-Hanteln aus den Virusstäbchen herzustellen. An beide Enden wurden dabei Goldkörner gebunden und durch Metallabscheidung vergrößert. In der Zukunft sollen die Metalldrähtchen zur Verdrahtung von Mikrochips und in der Nanotechnologie eingesetzt werden, ganze Röhrchen-Felder könnten als Biosensoren oder Nanoschalter fungieren.
Julia Alber/zi
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