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Hallo Raumstation, hier ist Stuttgart

Die erste Direktübertragung von der Internationalen Raumstation (ISS) in einen Uni-Hörsaal stieß auf eine überwältigende Resonanz. Gut 1.000 Interessierte hatten sich am 7. Dezember 2006 in Hörsaal 53.01 auf dem Vaihinger Campus eingefunden, um bei dem Highlight der Vorlesungsreihe „Raumfahrt aus Leidenschaft“ mit dabei zu sein, das von der Universität Stuttgart in Kooperation mit der European Space Agency (ESA) veranstaltet wurde.

Um 18.30 Uhr, die ISS befand sich noch über Südamerika, begrüßte Prof. Hans-Peter Röser, der Leiter des Instituts für Raumfahrtsysteme (IRS), die vielen Zuhörer, und Dr. Reinhold Ewald von der europäischen Raumfahrtagentur ESA zeigte sich beeindruckt ob des gewaltigen Andrangs im Hörsaal. Rund 133 Personen haben die Internationale Raumstation bislang besucht, einer davon ist der ESA Astronaut Thomas Reiter. Im Rahmen der ersten europäischen Langzeitmission verbrachte er über 170 Tage an Bord. Am 4. Juli ins All gestartet, sollte er NET 19. Dezember zur Erde zurückkommen. „NET bedeutet not earlier than….“, erklärte Reinhold Ewald, der auch wusste, mit was die Astronauten beschäftigt sind: mit Reparaturen an der Raumstation, mit Forschungsexperimenten, dem Ausbau der ISS und mit Ausstiegen ins All – einer ganz besonderen Herausforderung.

 Uni-Hörsaal

 

Das Interesse an der ersten Direktschaltung aus dem All in einen Uni-Hörsaal war riesig.        (Foto: Eppler)

Plasmakristalle und Uhrensynchronisation

Um 19.00 Uhr, die ISS flog über dem Atlantischen Ozean, wurden die Zuhörer in zwei Experimente an Bord der ISS eingeführt. Nach fest, flüssig und gasförmig sei der vierte und ungeordnetste Zustand der Materie das Plasma, erklärte Dr. Hubertus Thomas vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in München. Unter bestimmten Voraussetzungen ordnen sich die in komplexen Plasmen enthaltenen, elektrisch geladenen Staubpartikel zu einem regelmäßigen, makroskopischen Gitter. 1994 wurden die Plasmakristalle erstmals im Labor entdeckt. Diese neue Form der Materie ermöglicht es, Festkörpereigenschaften auf dem fundamentalsten Level, dem kinetischen, zu untersuchen. So können beispielsweise erstmals Schmelzprozesse studiert werden, indem man die Bewegung einzelner Teilchen beobachtet. Und: In der Schwerelosigkeit lassen sich dreidimensionale Plasmakristalle bilden, statt der nur zweidimensionalen auf der Erde.

  Einen auch für den Laien sofort erkennbaren alltagstauglichen Einsatz der Weltraumforschung stellte Dr. Felix Huber vom Steinbeis-Transferzentrum Raumfahrt vor: Das Global Transmission Services (GTS), bei dem es darum geht, für kommerzielle Zwecke von der ISS aus Funksignale zu übertragen. Aktuell wird die weltweite Synchronisation von Funkuhren getestet, die jeweils mit der korrekten Lokalzeit versorgt werden, sowie ein globaler Diebstahlschutz für Kraftfahrzeuge, mit dem gestohlene Fahrzeuge weltweit geortet und deaktiviert werden können. Der Markt ist da, weiß Felix Huber. Allein in Deutschland gehen pro Tag rund 15 Container verloren und pro Jahr werden rund 200 Millionen Uhren benötigt.

„Thomas, hörst Du uns?“

Auf der großen Weltkarte nähert sich die ISS der Küste Südafrikas. Nun muss sich Prof. Ernst Messerschmid vom IRS mit seinen Zukunftsaussichten sputen. Auf dem Mond wolle die NASA wieder landen. Von dort aus stehe dann der 250 Millionen Kilometer breite „Grüngürtel um die Sonne“ im Interesse der Wissenschaftler sowie die zwei bis drei Jahre andauernde Reise zum Mars. Woher kommen wir, sind wir gefährdet, was ist unsere Zukunft? „Die Astronauten von heute sind Forschungsreisende wie einst Charles Darwin und Alexander von Humboldt“, sagt Messerschmid – und wie auf Bestellung erscheint an der Hörsaalwand das Bild eines Forschungsreisenden. Sichtlich vergnügt schwebt da Thomas Reiter, der sich schon mit anderen Menschen auf der Erde unterhält. Die rauschende Tonübertragung lässt erahnen, dass er vom Schlafen im schwebenden Schlafsack erzählt und über die Angewohnheit, in der Schwerelosigkeit Schraubenzieher einfach mal in der Luft zu parken oder ein Wasserglas los zu lassen. Dingen, die er sich auf der Erde schnell wieder abgewöhnen müsse. „Hallo Raumstation, hier ist Stuttgart. Thomas, hörst Du uns?“, versucht Reinhold Ewald immer wieder den Kontakt herzustellen. Und plötzlich, Thomas Reiter schaut auf, er scheint etwas zu hören, Applaus brandet auf, aber da – die Verbindung ist weg und die ISS weiter Richtung Sibirien unterwegs. Die angedachte Fragerunde bestreiten nun die Astronauten vor Ort, war doch Ernst Messerschmid mit der Spacelab Mission D1 im All und Reinhold Ewald an Bord der MIR. Sie erzählen von der Faszination, Polarlichter zu schauen, von der täglichen Arbeit, die der Computer vorgibt, vom Essen mit Messer und Gabel und der Auswahl unter 100 Speisen, und auch von den 16 Erdumkreisungen pro Tag und den rund vier Millionen Kilometern, die die Astronauten somit innerhalb einer Woche zurücklegen – „ohne Kilometergeld“. Zum Schluss gibt es für alle, die 2035 mit zum Mars fliegen möchten, noch den Tipp: Fit sein, zwischen 30 und 45 Jahre alt sein, das richtige Studium absolvieren.

  Am 20. Juni 2007 war Thomas Reiter mit seiner Crew auf Einladung von Ernst Messerschmid leibhaftig an der Uni Stuttgart zu Gast und erzählte – diesmal ohne Unterbrechungen – über seine Erfahrungen und die Forschungsarbeiten in der Internationalen Raumstation. Ein Bericht dazu folgt im nächsten Heft.

Julia Alber/zi


 

 

 
last change: 30.06.07 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart