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Lebende Bauten – Trainierbare Tragwerke   > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >
Bauen in Co-Produktion mit dem Baum

Frisches Grün war mitten im Winter in den Räumen des Gründerzentrums H 7 in Stuttgart zu sehen - en miniature, aber auch im Modell beeindruckend: Stege, Pavillions und Vogelbeobachtungshäuschen, bei denen lebende Bäume als tragende Konstruktionselemente fungieren, und eine Brücke über die Neisse, die das Motto „Europa wächst zusammen“ wortwörtlich umsetzt. Die Tagung „Lebende Bauten – Trainierbare Tragwerke“, veranstaltet vom Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) in Kooperation mit dem Institut Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (Igma), bot vom 26. bis 27. Januar Architekten und Wissenschaftlern erstmals die Möglichkeit, die Probleme und Chancen der Baubotanik kennen zu lernen, einer noch jungen, aber vielversprechenden Disziplin.

Der Begriff Baubotanik wurde 2003 im Rahmen eines Studienprojekts am Igma entwickelt und beschreibt die Idee, lebende Pflanzen als Bauelemente einzusetzen. Ein Steg am Bodensee ist der bislang größte realisierte Prototyp, der im „Co-Design mit der Natur“ entstand. Sein Primärtragwerk aus Weiden ist mit den technischen Bauteilen wie Handlauf und Gitterrost so verbunden, dass es mittelfristig zu einer Verwachsung beziehungsweise Überwallung kommt. „Wenn man den Baum versteht, kann man ihm sagen, was er machen soll“, erklärt Ferdinand Ludwig. Der Architekt zählt zu den Pionieren der Baubotanik an der Uni Stuttgart. Im Rahmen seiner Promotionsarbeit beschäftigt er sich momentan mit extrem dünnen und flexiblen Bäumen, die nach dem Einpflanzen – gestützt und in Form gebracht durch Pneukonstruktionen – zu einem festen Tragwerk heranwachsen sollen. Mittels unterschiedlicher Drücke in den luftgefüllten Stützen könnten diese lebenden Bauten dann zudem trainiert werden, denn das Besondere bei dieser Art des Bauens ist: je stärker die Belastung, desto stabiler wird die Konstruktion. „Bei normalen Brücken zum Beispiel zeigen sich mit der Zeit Abnutzungserscheinungen, unsere dagegen werden umso tragfähiger, je mehr sie genutzt werden“, berichtet Ferdinand Ludwig.

 
 

Schonende Wurzelgründung und adaptives Wachstum

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Schonende Wurzelgründung und adaptives Wachstum sind für die Baubotanik typisch. (Foto: Ferdinand Ludwig)

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

„Die Vegetarier unter den Architekten“

Von „Super“ bis zu „Ach, der arme Baum“, reichen die Kommentare, die Ludwig und sein Baubotaniker-Kollege Hannes Schwertfeger zu hören bekommen. Dabei zählen sie sich zu den „Vegetariern unter den Architekten“, bauen sie doch mit lebendem Holz. Ist die ungefähre Richtung vorgegeben, übernimmt der Baum die Funktionsfindung. Als eine „Hightech-Wissenschaft mit direktem Anwendungsbezug“ bezeichnet Hannes Schwertfeger die Baubotanik. Wie bei konventionellen Bauten erbringen die Architekten die statischen Nachweise, und auch die Baustellen fallen in ihrer Größe oft vergleichbar aus, nur werden da Tonnen von Erde bewegt, Fundamente aus Beton gibt es nicht und bei den Baumaterialien ist ein Umgang „wie mit rohem Gemüse“ gefordert. Der Traum der Baubotaniker ist übrigens ein dreidimensionaler Park, der zum Spaziergang zwischen den Baumkronen einlädt.

  Bei der zweitägigen Tagung, die sich mit den technischen Aspekten der neuen Bauweise beschäftigte und sich philosophisch, architektur- und kulturtheoretisch der Baubotanik näherte, sprachen von der Uni Stuttgart neben Ferdinand Ludwig und Hannes Schwertfeger auch der Leiter des Igma, Prof. Gerd de Bruyn, der die Baubotanik mit der Architekturphilosophie ins Verhältnis setzte. Prof. Claus Mattheck vom Institut für Materialforschung am Forschungszentrum Karlsruhe, ein weltweit bekannter Baumforscher, ging auf „die verborgenen Gestaltgesetze der Natur“ ein, und der Physiker Dr. Rolf Luchsinger vom Center for Synergetic Structures (Dübendorf/Schweiz) berichtete über seine Forschungen zum „Bauen mit Luft“. Als temporäre, flexible Strukturen sollen seine Pneukonstruktionen in der Baubotanik eingesetzt werden. Einblicke in die faszinierende Welt pflanzlicher Strukturen und ihre Entstehung gab der Botaniker und Bioniker Prof. Thomas Speck vom Botanischer Garten der Universität Freiburg, und die Biologin und Philosophin Dr. Nicole Karafyllis von der Uni Frankfurt stellte ihre Begriffsbildung des „Biofaktischen“ vor. Sie beschreibt damit Objekte, die zwischen einem rein künstlichen Artefakt und einem Lebewesen angesiedelt sind.

 
 

Eine baubotanische Tragstruktur

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Eine baubotanische Tragstruktur dient als Primärtrag-werk für ein Membrandach.
                                   (Visualisierung: Ferdinand Ludwig)

Geistes-, Natur- und Ingenieurwissenschaften vereint

Mit ihrem experimentellen Charakter traf die Tagung den Nerv des Publikums. Der Kreativität freien Lauf lassen, ohne Produktorientiertheit Ideen nachhängen – auch philosophischen –, das kam sehr gut an. Auch die Medien griffen das Thema zahlreich auf, freute sich Dr. Elke Uhl vom IZKT. Sie bezeichnete das Tagungsthema als „paradigmatisch für das IZKT“, zu dessen Aufgaben es zählt, eingefahrene Diskussionsstränge aufzubrechen und interdisziplinäre Projekte zu initiieren. „Stuttgart bietet die Chance, Geisteswissenschaften, Natur- und Ingenieurwissenschaften zu vereinen“, betonte Gerd de Bruyn. Einfach sei dies zwar nicht, aber mit dem IZKT verfüge man über einen ehrgeizigen und erfolgreichen Brückenbauer. Hinsichtlich der Zukunft der Baubotanik sei nun noch zu klären, wie groß deren Terrain ist und aus welchen Disziplinen sich ihr Wissenskorpus zusammenfindet.

Julia Alber

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                      
Institut Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen
Tel. 0711/685-83320
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e-mail: sekretariat@igma.uni- stuttgart.de
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