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Zu den rund 70 Teilnehmern, die sich im Senatssaal der Universität Stuttgart eingefunden hatten, zählte auch Dr. Francesco Acanfora, der Leiter des Italienischen Kulturinstituts. Die Themenmischung aus Zoologie und Bionik, Wissenschafts- und Technikgeschichte sowie Kunstgeschichte und computerunterstützter 3D-Animation sprach Fachleute und interessierte Laien gleichermaßen an, die teils in deutscher, teils italienischer Sprache gehaltenen Vorträge lockten auch italienische Mitbürgerinnen und Mitbürger. „Wir wollten Leonardo da Vinci in den Kontext seiner Zeit und anderer Künstler-Ingenieure und Baumeister stellen und neuere Forschungsperspektiven verschiedens-ter Fächer und Disziplinen dazu aufzeigen“, erklärte Prof. Klaus Hentschel, Leiter der Abteilung Geschichte der Naturwissenschaften und Technik am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Vorträge zum Festungsbau oder der Astronomie/ Astrologie thematisierten auch weniger bekannte Aspekte des Schaffens von Leonardo.
„Bewegte“ Geschichte
Links, rechts, links, rechts – das Schiffchen der automatischen Webmaschine, die Leonardo einst zu Papier gebracht hatte, arbeitet in der dreidimensionalen Animation unermüdlich. „Virtuelle Prototypen stellen bei der Rekonstruktion von Renaissance-Maschinen ein hilfreiches Forschungsinstrument für Historiker und Techniker dar“, berichtete Dr. Alexander Neuwahl. Der Ingenieur und Designer, der für das Museo Leonardiano in Vinci tätig ist, hatte noch weitere eindrucksvolle virtuelle Beispiele mitgebracht, so etwa verschiedenste Kräne, die beim Bau des Doms St. Maria del Fiore in Florenz zum Einsatz gekommen waren – und sich virtuell nun so in Aktion präsentierten, wie sie vermutlich einst der Dom-Architekt Filippe Brunelleschi sah.
Der erste Bioniker: Leonardo
„Leonardo, der Vogelflug und die Bionik“ – diesem Trio widmete sich der weltweit anerkannte Bionik-Pionier, Werner Nachtigall, in seinem Vortrag. Für den emeritierten Zoologie-Professor von der Universität des Saarlandes ist Leonardo da Vinci im Sinne der modernen Definition von Technischer Biologie und Bionik der erste Bioniker. Leonardos Zeichnungen, mit denen er die Bewegung der Vogelfedern beim Flug studierte, seien klassische Beobachtungen der Technischen Biologie, seine darauf aufbauenden Ideen, wie diese Naturbeobachtung in die technische Fertigung zu übertragen sei, bezeichne man heute als Bionik, erklärte Nachtigall. Viele Schriften gibt es über Leonardo, „auf ihren bionischen Hintergrund sind seine Beobachtungen und Erfindungen bislang nicht untersucht worden“, bemängelte der Bioniker.
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3D-Rekonstruktion eines der Kräne von Brunelleschi beim Bau der Domkuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz. (© Alexander Neuwahl, 2007)
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Anatomische und technische Detailstudien
Reinhard Steiner, Professor für Allgemeine Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Stuttgart, ging in seinem Vortrag „Monströse Details. Leonardos ‚analytische Methode’ des Körperstudiums“ auf die anatomischen Detailstudien Leonardos ein, die „durch die bis dahin kaum gekannte Reduktion und Konzentration auf einen Teilaspekt von Körper und Bewegung ein ästhetisches Potenzial gewinnen, das die Grundlage der Ausdrucksgewalt mancher Gemälde bildet“. Mit der Frage, welche Funktion die Maschinenzeichnungen der Renaissance-Ingenieure in deren täglicher Praxis inne hatten, beschäftigte sich Dr. Marcus Popplow. Hat der für seine didaktische Art des Zeichnens berühmte Leonardo seine Zeichnungen angefertigt, um sich selbst oder anderen etwas zu erklären, sind es reine Gedankenexperimente oder wurden Modelle nach ihnen erstellt? Es sei die Pflicht des Historikers, die Arbeiten der Renaissance-Ingenieure genauer unter die Lupe zu nehmen, betonte der Geschichtswissenschaftler und Germanist Popplow, um „letztendlich auch präziser bestimmen zu können, bis zu welchem Grad Leonardo an Wissensbeständen seiner Zeit partizipierte und wo seine eigenständigen – und wohl auch einzigartigen – Leistungen liegen“.
Festungsbau und Astronomie
„Geometrie und Augenmaß: Optionen im Befestigungsbau zur Zeit Leonardo da Vincis im interkulturellen Vergleich“ hatte Dr. Stephan Hoppe, Forschungsstipendiat am Kunsthistorischen Institut der Universität Köln, seinen Vortrag überschrieben. Der von Italien ausgehende Siegeszug des bastionären Systems lasse sich, so Hoppe, wohl damit erklären, dass sich dieses – im Gegensatz zu einem System mit Rondellen, Erdwällen und einer nach Augenmaß dem Gelände angepassten Linienführung – besser für maßstäbliche Architekturzeichnungen eignete und ortsungebunden eindrucksvolle Bilder der militärischen Stärke eines Staatswesens liefern konnte. „Bis zum Beginn der Moderne waren Naturphilosophie und Astrologie eng miteinander verbunden, eigentlich kaum zu unterscheiden“, erklärte Dr. Romano Nanni, Leiter der Biblioteca Leonardiana und des Museo Leonardiano in Vinci (Florenz). In seinem Vortrag „Leonardo und der Disput über Astrologie“ ging er darauf ein, dass Leonardo die klare Unterscheidung zwischen Astrologie und Astronomie einführte und mit seinen paläontologischen und geologischen Theorien auch eine entscheidende Wende für die Genese der modernen Wissenschaft – insbesondere der Astronomie und Medizin – einleitete.
Nach einem thematisch abwechslungsreichen Tag waren sich die Tagungsteilnehmer einig: Leonardo da Vinci und die Künstler-Ingenieure der Renaissance laden noch zu vielen Entdeckungen ein.
Julia Alber
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