Porträtfoto von der Kanzlerin Anna Steiger

Anna Steiger: Mit Euphorie in den neuen Job

1. Februar 2024

Die Kanzlerin der Universität Stuttgart spricht im Antrittsinterview über Loyalität, viele fliegende Bälle, Sprachschwierigkeiten und den Stuttgarter Weg. Sie nennt, welche Ideen sie für die Verwaltung hat, was schön an Stuttgart ist und warum sie Wien ein bisschen vermisst.
[Bild: Universität Stuttgart]

Sie sind jetzt zwei Monate Kanzlerin an der Universität Stuttgart. Wie sind Ihre ersten Erfahrungen und Eindrücke?

Die Kolleginnen und Kollegen in der Zentralen Verwaltung waren ausgesprochen hilfreich in meinem Onboarding hier. Extrem loyal und solidarisch, mit hohem Commitment zur Uni Stuttgart. Und sie verfügen über hohe Expertise, mit der man sehr gut arbeiten kann. Also ehrlich gesagt kann man es sich nicht besser wünschen, als in so eine Kolleg*innenschaft zu kommen. Das kann man nicht für alltäglich erachten und das weiß ich zu schätzen.

Eines meiner ersten Learnings betrifft das Wording. Manche Begrifflichkeiten hier sind komplett anders als in Österreich. Ich habe zum Beispiel lange gebraucht, um herauszufinden, was es bedeutet, wenn jemand abgeordnet ist. Abgeordnete sitzen in Österreich im Nationalrat oder in Landtagen. In Deutschland meint man damit auch das, was in Österreich „Dienstzuteilung“ heißt. Also dieser Satz „Was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache“ stimmt tatsächlich. (lacht)

Was hat Sie denn dazu bewogen, aus Ihrer Heimatstadt Wien wegzugehen und die Position als Kanzlerin an unserer Universität im Schwabenland anzunehmen?

Ich wollte nach zwölf Jahren an der TU Wien einen Wechsel. Und ich wollte eigentlich immer schon im Ausland arbeiten. Das hatte sich im Laufe meiner Karriere aus familiären Gründen bisher nicht ergeben. Dann kam extrem überraschend ein Anruf der Kanzler*in-Findungskommission. Um offen zu sein: Ich konnte meine Chancen überhaupt nicht einschätzen, doch ich habe mir gedacht: Wenn sie mich von der Universität Stuttgart, die einen sehr guten Ruf hat, anrufen, dann bewerbe ich mich.

Ich habe mich dann näher mit der Uni Stuttgart auseinandergesetzt. Was ich großartig und wirklich etwas Besonderes finde, ist der Stuttgarter Weg, diese Verbindung von Technischer Universität mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Ich bin wirklich überzeugt davon, dass die weitere Entwicklung unserer Erde und der Menschheit nicht nur von einzelnen Fachgebieten abhängt, sondern gemeinsam und interdisziplinär erfolgen muss. Allein durch unser Angebot hier können wir eine Vernetzung schaffen. Also mir war wirklich schnell klar: Diese Uni, dieser Job interessiert mich.

Stuttgart kannte ich über familiäre Verbindungen bereits ein bisschen. Und ich bin jetzt in dem Alter und der Situation, dass ich mal ins Ausland gehen kann. Na klar, Wien zu verlassen, fällt niemandem leicht. Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt, das wird uns jedes Jahr bezeugt über viele Rankings. I bin, des würd i scho sagen, sehr wienerisch. (lacht) Mein Mann, meine Kinder, meine Katze sind weiterhin in Wien. Dass ich von Tür zu Tür etwa dreieinhalb Stunden brauche und somit Wochenenden in Wien verbringen kann, war auch ein Entscheidungsgrund für Stuttgart.

Dazu kommt, dass ich immer schon abenteuerlustig war. Und gibt’s denn etwas Spannenderes, als einen neuen Job zu machen? Das löst bei mir Euphoriegefühle aus, eine gewisse Aufregung, Neues kennenzulernen. Dinge wie das unterschiedliche Wording kann man lernen.

Und hält Ihre Euphorie an?

Ja! Der Job ist unglaublich spannend, da langweilt mich nichts. Es ist eine Herausforderung, da das Aufgabenfeld einer Kanzlerin unglaublich breit ist. Die ersten Wochen hier waren geprägt von: „Das haben wir noch nicht entschieden. Da haben wir auf Sie gewartet.“ Es ist viel zu tun. Das schreckt mich nicht ab, ich mag das.

Natürlich habe ich meine ersten Erfahrungen mit der deutschen Bürokratie gemacht, über die man ja durchaus auch mal lästern kann. Nun bin ich als Kanzlerin selbst Teil davon. (lacht) Ich sehe Optimierungspotenzial, auch an der Universität, und meine Ambition ist schon, alles umzusetzen, was möglich ist, um weniger bürokratischen Aufwand zu betreiben.

Kanzlerin Anna Steiger sitzt auf einem Sofa

Welche Schwerpunkte möchten Sie als Kanzlerin setzen?

Meine Wahrnehmung ist, dass es in der Verwaltung einen Wunsch nach Klarheit und Orientierung gibt Ich glaube, es ist wichtig, in meinem ersten Jahr als Kanzlerin ein ruhiges Arbeitsfeld zu schaffen, in dem die Zuständigkeiten wieder klar sind und alle bestmöglich arbeiten können.

In den vergangenen Jahren wurden viele Projekte angestoßen. Da fliegen viele Bälle in der Luft. Und diese Bälle aus hoher Flughöhe runterzuholen, etwas zu ernten, zu konkretisieren, wird die erste Aufgabe sein. Ein Beispiel aus dem Bereich Digitalisierung ist das Dokumentenmanagement. Da ist eigentlich alles vorhanden, nur wir nutzen es nicht.

Was mir auch wichtig ist, ist eine gute Kommunikation. Zum MWK. Und intern. Die Zentrale Verwaltung muss darstellen, was sie tut und leistet. Und mir liegt sehr viel daran, mit allen Gremien wie Personalrat, Senat und Unirat in gutem Einvernehmen zu arbeiten. Ich möchte den Rahmen schaffen, dass alle Mitarbeitenden ein hohes Commitment zur Universität haben. Nur dann können wir das Beste leisten.

Die Uni bietet eine vielfältige, spannende Arbeitsumgebung, in der man etwas bewirken kann – das müssen wir nach innen und außen hin verdeutlichen. Menschen bleiben nicht mehr ihr ganzes Leben in einer Organisation. Doch wir müssen schauen, dass wir unsere Mitarbeitenden möglichst lange hier bei uns im Hause behalten.

Mit welcher Führungsphilosophie möchten Sie das erreichen?

Ich glaube ganz stark an die Selbstverantwortung – nicht nur bei Führungskräften. Die bedingt wiederum hohe Loyalität. Was ich meinen Kolleg*innen vermitteln möchte: Es gibt Verantwortlichkeiten und es gibt Zuständigkeiten. Und als Kanzlerin bin ich ganz stark in der Verantwortung. Ich stehe vor, hinter und neben meinen Mitarbeitenden. Das heißt, sie können sich hundertprozentig darauf verlassen, dass ich nichts abschiebe und sage „Das hast du falsch gemacht“, sondern das ist meine Verantwortung.

Doch Loyalität ist keine Einbahnstraße. Die Loyalität, die alle von mir erwarten können, erwarte ich natürlich auch im Gegenzug. Ich gebe einen hohen Vertrauensvorschuss, ich halte nichts von Kontrolle. Ich unterstelle allen, dass sie ihr Bestes im Sinne der Universität Stuttgart geben wollen und glaube, dass das ein gutes Zusammenwirken bedingt.

Und wie sehen Sie die Verbindung zwischen Verwaltung und Wissenschaft?

Expert*innen-Organisationen – und das sind wir ja als Universität – neigen dazu, manchmal so eine Trennlinie zu ziehen zwischen Verwaltung und Wissenschaft. Das habe ich bisher an den Universitäten erlebt, an denen ich gearbeitet habe. Und diese Kluft zu überwinden, halte ich für ausgesprochen wichtig, denn es geht uns ums gemeinsame Ganze. Die Zentrale Verwaltung ist ja nicht zum Selbstzweck hier. Den Eindruck möchte ich nie erscheinen lassen. Sie ist dazu da, um das Arbeiten, Forschen, Lehren und Lernen an der Universität bestmöglich zu erwirken. Da sehe ich einen Konnex, dass man sich gegenseitig unterstützt und befruchtet und den Stuttgarter Weg auch in diese Richtung interpretiert. Wir haben Expert*innen in der Wissenschaft und Expert*innen in der Verwaltung und diese können sich auf Augenhöhe begegnen.

Zum Abschluss nochmals zurück zu deutsch-österreichischen Unterschieden: Vermissen Sie Wien nun eigentlich? Und wie gefällt Ihnen Stuttgart?

Natürlich fehlt mir Wien ein bisschen, doch ich habe schon einige andere Österreicher*innen an der Uni und in Stuttgart kennengelernt. Auch sonst liefert Stuttgart mir keinen Anlass, mich einsam zu fühlen. Dazu habe ich auch gar keine Zeit. Ich wohne zentral und bin immer zu Fuß unterwegs. Es geht alles bergauf und bergab – wie in den Straßen von San Francisco. Abends heim muss ich bergauf gehen, das kommt meiner Fitness sehr zu Gute.

Ich mag Stuttgart gern. Es gibt eine überschaubare Innenstadt mit schönen Ecken, zum Beispiel die Markthalle mit kleinen Spezialitäten-Geschäften. Mir wurde schon der Stuttgarter Wein, der Trollinger, kredenzt. Ich finde den nicht so schlecht, da jammern eher die Stuttgarter drüber. (lacht)

Ja, und eines vielleicht noch, auch wenn es ein bisschen dekadent klingt und manche sicher den Kopf schütteln werden und sich fragen, ob es keine anderen Probleme gibt. (lacht) Was mir von Wien wirklich abgeht, ist eine gewisse Kultur zu feiern. Bälle oder auch die akademischen Feiern waren immer mit Talaren, gewissem Pomp und Tamtam. Das habe ich hier in der Form nicht festgestellt, deutsche Universitäten sind da viel nüchterner. Das finde ich ein bisschen schade. Einen Uni-Stuttgart-Ball zu veranstalten, das fände ich ganz großartig. Es hat wohl schon mal einen gegeben. Das würde sicher das Gemeinschaftsfühl stärken. Und das sehe ich als eine meiner Aufgaben als Kanzlerin. Andererseits ist mir als Finanzchefin schon klar, dass das ein heikles Thema ist. (lacht)

Jetzt freue ich mich erst einmal, dass ich mein unmittelbares Team gefunden habe und wir im Februar mit Volldampf starten und viele Aufgaben angehen können.

Dann viel Spaß dabei und vielen Dank für das Gespräch.

Über die neue Kanzlerin

Anna Steiger, Jahrgang 1965, schloss ihr Studium der Rechtswissenschaften, Publizistik und Politikwissenschaften an der Universität Wien 1993 mit einem Magister ab. Nach Stationen in einer Anwaltskanzlei, einer Unternehmensberatung und der Rechtsabteilung der Akademie der Bildenden Künste Wien war sie Bereichsleiterin Personal und Arbeitsmarktpolitik bei der Niederösterreichischen Volkshilfe. Von 2003 bis 2011 leitete sie als Vizerektorin für Personal, Ressourcen und Frauenförderung die Verwaltung der Akademie der Bildenden Künste Wien und war für den Personal- und Finanzhaushalt verantwortlich. Von 2011 bis 2023 war sie als Vizerektorin für Personal und Gender der Technischen Universität Wien unter anderem für das Human-Ressource-Management, das Personalbudget, die Digitalisierung der Verwaltung und das Diversitymanagement zuständig. Seit 22. November 2023 ist sie Kanzlerin der Universität Stuttgart.

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Anna Steiger

 

Kanzlerin der Universität Stuttgart

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Lydia Lehmann

 

Stellvertretende Leiterin Hochschulkommunikation

 

Hochschul­kommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

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