„Meine Arbeit hat viele Berührungspunkte zu den Themen, mit denen sich meine Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart beschäftigen“, erklärt Yan. „Ich kooperiere daher schon seit längerer Zeit mit der Arbeitsgruppe von Professor Laura Na Liu. Der Humboldt-Forschungspreis gibt mir Gelegenheit, diese Zusammenarbeit zu vertiefen.“ Der US-amerikanische Wissenschaftler wird in den kommenden zwölf Monaten regelmäßig in Stuttgart zu Gast sein. In dieser Zeit wird er vor allem der Frage nachgehen, wie sich mit Hilfe speziell designter DNA-Moleküle wichtige Zellfunktionen nachahmen lassen.
Mit DNA-Origami winzige Maschinen herstellen
DNA ist ein langes Molekül, in dem unterschiedliche Bausteine aneinandergereiht sind, ähnlich wie Buchstaben in einem Satz. Wie ein Buch in einer Bibliothek dienen DNA Organismen daher vor allem als Informations-Speicher. Biodesigner nutzen allerdings eine andere Eigenschaft des Molekülfadens aus: Da man ihn fast beliebig falten kann, lassen sich aus ihm komplizierte dreidimensionale Strukturen formen. Mit diesem „DNA-Origami“ lassen sich sogar winzige Nanomaschinen herstellen – Behälter mit beweglichem Deckel, Motoren oder sogar ganze Roboter, nur wenige Millionstel Millimeter klein.
Molekulare Maschinen, die sich selbst zusammenbauen
Besonders interessant ist dabei ein weiterer Aspekt: Wenn man die Bausteine in den DNA-Fäden geeignet anordnet, dann bauen sich diese molekularen Maschinen wie von Geisterhand selbst zusammen. Denn DNA-Moleküle haben etwas von einem Puzzleteilchen: Sie können sich mit anderen Fäden zusammenfinden, aber nur solchen, die genau zu ihnen passen. Hao Yan nutzt diese Selbstorganisation, um komplizierte Nanostrukturen für physikalische, chemische und biologische Anwendungen herzustellen. Seine Forschungsarbeiten und Erfindungen konzentrieren sich dabei auf Techniken, mit denen sich winzige DNA-Fäden nach Wunsch manipulieren lassen. Damit ist es ihm gelungen, die Entwicklung von Nanorobotern für die Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen voranzutreiben. „Diese könnten beispielsweise in Zukunft Medikamente direkt dorthin bringen, wo sie gebraucht werden“, erklärt er.
Synthetische Moleküle ahmen die Photosynthese nach
Ein weiterer Fokus seiner Arbeit liegt auf der Konstruktion von DNA-Molekülen, die die Funktionen bestimmter Zellkomponenten nachahmen. Dazu zählen etwa Strukturen, in denen sich lichtempfindliche Moleküle wie in einer Art Käfig in streng geordneter Form zusammenbringen lassen. „Auf diese Weise ist es beispielsweise möglich, Lichtenergie aufzufangen und weiterzugeben, um sie dann für chemische Reaktionen zu nutzen“, sagt er. Auch in den Chloroplasten der Pflanzen gibt es derartige „Licht-Antennen“, die Energie für die Photosynthese – also den Aufbau von Zucker aus Wasser und CO2 – bereitstellen.
„Diese Nachahmung von Zellfunktionen mit synthetisch hergestellten Molekülen gilt als vielversprechendes Forschungsgebiet“, erläutert Prof. Laura Na Liu, Direktorin des 2. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart. „Wir arbeiten zudem daran, mit Hilfe von DNA auch bestimmte Strukturelemente von Zellen nachzubilden. Ein Beispiel ist das Cytoskelett, das Zellen mechanisch stabilisiert und es ihnen erlaubt, sich fortzubewegen. Normalerweise besteht es aus Proteinfasern; wir bauen es aber gewissermaßen aus DNA nach.“ Derartige Strukturelemente könnten dann irgendwann in sehr einfachen künstlichen Zellen zum Einsatz kommen, mit denen sich bestimmte Zellprozesse erforschen lassen.
Arbeitsgruppen ergänzen sich
Von der Kooperation mit ihrem renommierten Gast verspricht Na Liu sich bei diesem Thema weitere Fortschritte: „Wir verfügen in Stuttgart über eine langjährige Erfahrung beim Bau von Nanomaschinen und bei der Analyse sich selbst zusammensetzender Strukturen“, betont sie. „Wir entwickeln beispielsweise spezielle Mikroskopie- und Spektroskopie-Verfahren, mit denen sich unter anderem die Bewegung von DNA-Motoren sichtbar machen lässt. Zusammen mit den hochentwickelten molekulartechnischen Werkzeugen von Professor Yan sind das gute Voraussetzungen, um bei der Entwicklung von DNA-Molekülen, die Zellfunktionen nachahmen, ein großes Stück voranzukommen.“
Über Prof. Hao Yan
Hao Yan promovierte 2001 in Chemie an der New York University, USA. Er arbeitete als Assistenz-Forschungsprofessor an der Duke University, bevor er 2004 an die Arizona State University (ASU) wechselte. Seit 2015 ist er dort Direktor des Biodesign Center for Molecular Design and Biomimetics und Milton D. Glick Distinguished Professor an der School of Molecular Sciences. Im Laufe seiner Karriere hat er mehr als 230 Artikel in hochrangigen Zeitschriften veröffentlicht, die meisten davon über DNA-Nanotechnologie und bioinspirierte molekulare Designs. Professor Yan hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Rozenberg Tulip Award in DNA Computing (2013) und den Foresight Institute Feynman Prize in Nanotechnology (2020). Das Medienunternehmen Fast Company wählte ihn 2019 unter die „100 Most Creative People in Business“. Er ist derzeit Präsident der International Society for Nanoscale Science, Computation and Engineering (ISNSCE).
Über den Humboldt-Forschungspreis
Die Alexander von Humboldt-Stiftung vergibt jährlich bis zu 100 Humboldt-Forschungspreise an international renommierte Wissenschaftler*innen aus dem Ausland und erkennt damit ihr wissenschaftliches Gesamtwerk an. Zudem werden die Preisträgerinnen und -träger eingeladen, ein selbst gewähltes Forschungsprojekt in Deutschland in enger Zusammenarbeit mit lokalen Forschenden durchzuführen. Die Projektdauer kann sechs bis zwölf Monate betragen. Vorgeschlagen werden können Personen, die mit ihren grundlegenden Entdeckungen, neuen Theorien oder Erkenntnissen das eigene Fachgebiet und darüber hinaus maßgeblich beeinflusst haben und von denen auch in Zukunft wissenschaftliche Spitzenleistungen zu erwarten sind.
Fachlicher Kontakt:
Prof. Hao Yan, Universität Stuttgart, 2. Physikalisches Institut, +1 480 2056709, E-Mail: Hao.Yan@asu.edu
Prof. Laura Na Liu, Universität Stuttgart, 2. Physikalisches Institut, Tel.: +49 711 685 65218, E-Mail: na.liu@pi2.uni-stuttgart.de
Kontakt
Jutta Witte
Dr.Wissenschaftsreferentin