Dieter Schmalstieg, Alexander von Humboldt-Professor für Visual Computing an der Universität Stuttgart, hat die Humboldt-Professur verliehen bekommen. Mit Deutschlands höchstdotiertem internationalen Forschungspreis wurden zwölf Spitzenforscherinnen- und forscher ausgezeichnet, die aus dem Ausland an deutsche Hochschulen gewechselt sind. Schmalstieg arbeitet an Augmented-Reality-Projekten – mit dem Ziel, das Leben der Menschen zu erleichtern.
„Die Humboldt-Professur ist eine große Ehre und motiviert mich sehr“, sagt der Informatiker Dieter Schmalstieg, der am 13. Mai 2024 die Auszeichnung als Humboldt-Professur von Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, und Robert Schlögl, Präsident der Humboldt-Stiftung, in Berlin überreicht bekam. Im Herbst 2023 war er von der Technischen Universität Graz ans Visualisierungsinstitut VISUS der Universität Stuttgart gekommen. Dieses biete ausgezeichnete Arbeitsbedingungen und sei ein Leuchtturm in der Forschungslandschaft, so Schmalstieg. Das VISUS hat er bereits vor dem Wechsel nach Stuttgart gekannt, aus gemeinsamen Projekten mit Institutsgründer Thomas Ertl. „Daher wusste ich auch, dass ich sehr gut hierher passe.“
Schmalstieg zählt zu den weltweit führenden Experten im Bereich Visualisierung, der Sichtbarmachung digitaler Informationen. Was ihn antreibt? „Es geht mir darum, Menschen einen verbesserten Zugang zu Informationen zu verschaffen. Ich möchte die Benutzung von Computertechnik leichter, vielfältiger, spannender und lohnender machen.“
3D statt 2D
Zu diesem Zweck entwickelt er Augmented-Reality-Techniken für Datenbrillen. Anders als bei Virtual Reality, wo man komplett in virtuelle Welten eintaucht, bedeutet Augmented Reality (AR), dass virtuelle Elemente in die reale Umgebung hineinprojiziert werden. Schmalstieg arbeitet schon seit knapp 30 Jahren an dieser „erweiterten Realität“.
AR-Brillen können den Alltag von morgen genauso prägen, wie es die allgegenwärtigen Smartphones heute tun, glaubt der Forscher. „Wir starren ja alle ständig auf diese kleinen Bildschirme. Aber Handys sind doch sehr begrenzt, wenn es darum geht, Informationen zugänglich zu machen.“ Beispiel Online-Shopping: Jemand möchte einen Kissenbezug für sein Sofa kaufen. Die Person kann das Produkt zwar auf dem Bildschirm hin- und herdrehen und vergrößern. Oder sie betrachtet abwechselnd das echte Sofa und das virtuelle Objekt und versucht sich vorzustellen, ob beides zusammenpasst. Was aber fehlt, ist der räumliche Zusammenhang: das virtuelle Kissen als 3D-Objekt auf dem echten Sofa platziert. Dieser Sprung in die dreidimensionale Betrachtung lässt sich mit AR-Brillen sehr gut bewerkstelligen. „Sie bieten hochwertigere, verständlichere Benutzererfahrungen als Handys – einfach dadurch, dass räumlich am besten darstellbare Objekte auch räumlich dargestellt werden können.“
Aktuell arbeitet der Humboldt-Professor an einer AR-Anwendung, die beim Zusammenbau von Möbelstücken hilft, etwa Kommoden. Ist man da unachtsam und verdreht die Bretter um 180 Grad, passen die Bohrlöcher nicht mehr – alles muss wieder auseinandergeschraubt werden. Die Anwendung soll solche Fehler erkennen und frühzeitig melden – so etwas erleichtere das Leben ungemein, sagt Schmalstieg.
AR als Problemlöser – auch im Bauen der Zukunft
Wann eine AR-Anwendung gut ist? Wenn das Virtuelle so mit der realen Umgebung verschmilzt, dass es wirkt, als gehöre es dahin. Dieser Fotorealismus ist durch Spezialeffekte in Filmen bekannt. Den größeren Forschungsbedarf sieht Schmalstieg aber im Bereich des Verständlichmachens von Informationen. Hier geht es um Probleme, die durch normales Anschauen nicht lösbar sind. Zum Beispiel auf Baustellen: Hier können AR-Brillen wertvolle Dienste leisten, indem sie sichtbar machen, was mit bloßem Auge nicht zu sehen wäre. Sie blenden ein, wo Leitungen in Wand oder Decke hinführen und ob Strom hindurchfließt. Oder sie zeigen virtuelle Sicherheitslinien an, die nicht überschritten werden dürfen.
Schmalstieg wird im Exzellenzcluster „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ (IntCDC) der Universität Stuttgart mitarbeiten und dort eine AR-Anwendung für den Roboter-unterstützten Häuserbau entwickeln. Gebäudeentwürfe werden immer komplexer, neuartige Holzbautechniken etwa erfordern ein sehr hohes Maß an Genauigkeit, erklärt der Forscher. Da sei der Mensch mehr und mehr auf die Mitarbeit von Robotern angewiesen – und genau da kämen AR-Datenbrillen ins Spiel. „Arbeiten Mensch und Roboter zusammen, braucht es eine gute Koordination. Der Mensch muss verstehen, was der Roboter da gerade macht, und umgekehrt. AR-Datenbrillen können diese Mensch-Maschine-Interaktion sehr gut unterstützen. Sie liefern Informationen über alles Wichtige, was gerade auf der Baustelle passiert.“
Schmalstieg will, dass seine Anwendungen helfen, in Alltag oder Beruf besser zurechtzukommen. „Technikfolgenabschätzung mache ich zwar nicht. Aber da ich mich mit Mensch-Maschine-Schnittstellen befasse, muss ich auch bedenken, welche Rolle der Mensch in der Gleichung spielt. Ob die Technik, die ich entwickle, einen bestimmten Wert hat.“
Unbequeme Geräte
Wie geht es weiter? AR und auch Virtual Reality sind längst Geschäftsmodelle, seit gut zehn Jahren bringen Tech-Konzerne Datenbrillen auf den Markt. Stehen diese kurz vor dem Durchbruch? Früher oder später kommt die „radikale Veränderung“, glaubt Schmalstieg. „Dann wird es normal sein, eine Datenbrille aufzuhaben. Denn wir alle wollen ja jederzeit mobile Informationen abrufen. Das Handy kann da auf Dauer nicht mit den Brillen mithalten.“ Jedoch müssen diese auch erschwinglich und zudem leichtgewichtig und handlich sein, um den Alltag tatsächlich zu erobern. Da gibt es noch viel zu tun, findet der Humboldt-Professor. Manche der aktuellen Geräte lägen etwas schwer auf der Nase.
Über Prof. Dr. Dieter Schmalstieg
Der gebürtige Österreicher Dieter Schmalstieg wurde an der TU Wien promoviert und habilitiert. 2004 trat er an der TU Graz eine Professur an. Von 2012 bis 2023 leitete er dort das Institute of Computer Graphics and Vision, das unter seiner Führung deutlich vergrößert worden ist. Seit Oktober 2023 ist er als Humboldt-Professor am VISUS und am Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme (VIS) der Universität Stuttgart und arbeitet auch in den beiden Exzellenzclustern „Daten-integrierte Simulationswissenschaft“ (SimTech) und „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ (IntCDC) mit. Schmalstieg ist Fellow von IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers), wurde 2012 mit dem IEEE Virtual Reality Technical Achievement Award ausgezeichnet und hat den START-Preis erhalten, den höchstdotierten und anerkanntesten Wissenschaftspreis Österreichs für Nachwuchsforschende.
Über die Alexander von Humboldt-Professur
Die Alexander von Humboldt-Professur ist der höchstdotierte internationale Forschungspreis Deutschlands, mit dem international führende und bislang im Ausland tätige Wissenschaftler*innen ausgezeichnet werden. Die Auszeichnung wird von der Alexander von Humboldt-Stiftung vergeben und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Sie eröffnet deutschen Universitäten die Chance, internationale Spitzenforscher*innen an ihre Institutionen zu holen, international konkurrenzfähige Rahmenbedingungen zu bieten und ihr Profil im weltweiten Wettbewerb zu schärfen.
Fachlicher Kontakt:
Prof. Dr. Dieter Schmalstieg, Alexander von Humboldt Professor für Visual Computing, Visualisierungsinstitut der Universität Stuttgart (VISUS), Tel.: +49 711 685-88331, E-Mail
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Stellvertretende Leiterin Hochschulkommunikation