Mit rund 500 000 Euro fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Projekt im Fach Alte Geschichte des Historischen Instituts der Universität Stuttgart. Die Laufzeit beträgt drei Jahre. In dem Projekt „Oratorische Pragmatik und politische Entscheidungsfindung in der griechischen Antike“ unter der Leitung von Prof. Peter Scholz geht es um die europäische Praxis der Rede im öffentlichen Raum, die ihren Ursprung in der griechischen und römischen Antike hat. In dem Forschungsvorhaben wird der Zusammenhang von oratorischer Praxis und politischer Entscheidungsfindung und die Interaktion zwischen Rednern und ihren Auditorien in ihren performativen, räumlichen und akustischen Bedingungen thematisiert.
Rhetorik als Bestandteil der allgemeinen Bildung der Führungsschichten
In griechischen Städten und im Römischen Reich war die politische Entscheidungsfindung wesentlich mit der deliberativen Debatte, dem Reden vor verschiedenen politischen Gremien verknüpft. Seit dem 5. Jh. v. Chr. war die Rhetorik Bestandteil der allgemeinen Bildung der Führungsschichten und besaß für die politische Kommunikation in der gesamten Antike, aber auch für alle nachfolgenden Epochen der europäischen Kultur – durch die Rezeption antiken Bildungsguts –eine zentrale Rolle. Erörtert werden sowohl die Orte des öffentlichen Debattierens in ihrem architektonischen Kontext und ihrer akustischen Dimension als auch die Redner und ihre Auditorien. Zu diesem Zweck werden einerseits unterschiedliche Typen von Versammlungsbauten aus den Kerngebieten des griechischen Kulturkreises untersucht – von den frühesten öffentlichen Versammlungsbauten im 5. Jh. bis zu den kaiserzeitlichen Odeia. Andererseits werden Redner und Auditorien dabei als Teil und Ausdruck einer besonderen sozialen Konfiguration begriffen, in der die jeweiligen Rollen durch unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen an die soziale und rechtliche Stellung, an Habitus und Bildung vorgegeben waren.
Rekonstruktion typischer oratorischer Situationen
Auf Basis der Auswertung relevanter literarischer und inschriftlicher Quellen und Analyse architektonisch gefasster Versammlungsplätze und Räumlichkeiten (Theater, Marktplätze, Bauten für Volksversammlungen, Ratsgebäude, Stadien) wird der konkrete Ablauf typischer oratorischer Situationen im griechischen Kulturkreis rekonstruiert und an geeigneten Beispielen auch akustisch-visuell simuliert. Dies ermöglicht eine kritische Prüfung gängiger Annahmen über die Kommunikation und Interaktion zwischen Redner und Auditorium im öffentlichen Raum. Darüber hinaus eröffnet die Frage nach der Pragmatik oratorischen Geschehens – nach dem konkreten Ablauf und Verfahren öffentlicher Redesituationen, nach deren sozialen und politischen, baulichen und damit auch akustischen Bedingungen und stimmlichen Voraussetzungen – einen neuen Zugang zu bislang wenig untersuchten Fragen wie nach der Zugänglichkeit und Arbeitsweise antiker Gremien und den Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation.