Die Kläranlage als Rohstoffquelle

7. Juni 2024, Nr. 21

Winfried Kretschmann zu Besuch im Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau der Universität Stuttgart
[Bild: Universität Stuttgart/Ludmilla Parsyak]

Am 6. Juni 2024 war Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Gast im Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau. Forschende der Universität Stuttgart und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zeigten an einer Pilotanlage, wie Kläranlagen durch die Rückgewinnung von Rohstoffen zur Klimaneutralität beitragen können.

Spannende Einblicke für Kanzlerin Anna Steiger, Professorin Sara Kleindienst, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Peter Maurer (von links): Im Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau der Universität Stuttgart testen die Forschenden unter realen Bedingungen, wie die Rückgewinnung von Rohstoffen in Klärwerken großtechnisch realisiert werden kann.

„Das Lehr- und Forschungsklärwerk der Universität Stuttgart verfolgt ein großes Ziel: Aus Abwasser sollen wertvolle Rohstoffe gewonnen und wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. So kann der organische Kohlenstoff des Abwassers nachhaltig genutzt werden. Zudem arbeitet man im Forschungsklärwerk daran, den hohen Ausstoß von klimaschädlichen Gasen in herkömmlichen Klärwerken zu verringern“, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Doch hier wird nicht nur auf hohem Niveau getüftelt. Schließlich ist das Klärwerk auch eine Ausbildungsstätte für das Personal in Abwasseranlagen und unterstützt Firmen bei der Entwicklung von Anlagentechnik. Damit fördert das Klärwerk die wichtige Durchlässigkeit von der Wissenschaft in die Anwendung.“

Zeit für Details des KoalAplan-Projekts: Professor Harald Horn (links) während der Führung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

In unserem Abwasser stecken nicht nur Schmutz und Ausscheidungen, sondern auch wertvolle Rohstoffe wie Stickstoff und organische Kohlenstoffverbindungen. Mithilfe chemischer, biologischer und physikalischer Verfahren können diese Rohstoffe aus Abwasser zurückgewonnen werden, um daraus Produkte wie Dünger, Wasserstoff und Biokunststoff herzustellen. Diesen Prozess erforscht seit 2021 das Projekt KoalAplan („Kommunales Abwasser als Quelle für Ammoniumstickstoff, Wasserstoff und Bioplastik – die Bioraffinerie Büsnau“).

Wissenschaftler*innen der DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), der Universität Stuttgart, des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB), der Technischen Universität Hamburg und der Technischen Universität Clausthal arbeiten im Projekt KoalAplan gemeinsam mit der Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz in Baden-Württemberg (Umwelttechnik BW). KoalAplan wird gefördert vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). Es ist Teil der Landesstrategie „Nachhaltige Bioökonomie für Baden-Württemberg“. 

Im Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau der Universität Stuttgart testen die Forschenden unter realen Bedingungen, wie die Rückgewinnung von Rohstoffen in Klärwerken großtechnisch realisiert werden kann. Hierfür wurde eine Bioraffinerie als Pilotanlage eingerichtet, die seit 2023 erfolgreich im Dauerbetrieb ist. Bei seinem Besuch am 6. Juni informierte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann über bisherige Projekterkenntnisse.

Bioraffinerie im erfolgreichen Dauerbetrieb

Peter Maurer, Leiter des Lehr- und Forschungsklärwerks der Universität Stuttgart, und Prof. Harald Horn, Koordinator des Projekts KoalAplan und Professor für Wasser und Wassertechnologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), führten Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie eine Gruppe von Medienvertreter*innen durch die Bioraffinerie und erklärten das angewandte Verfahren.

Normalerweise entsteht aus dem organischen Kohlenstoff beim Durchlaufen eines Klärwerks Kohlendioxid. „Unser Verfahren reduziert die Entstehung dieses klimaschädlichen Gases. Gleichzeitig gewinnen wir Rohstoffe, die dabei helfen, erdölbasierte Stoffe zu ersetzen. Mit dieser zweigleisigen Strategie könnten die Klärwerke der Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten“, sagt Prof. Harald Horn.

Peter Maurer (rechts) erklärt dem Ministerpräsidenten an einer Pilotanlage, wie Kläranlagen durch die Rückgewinnung von Rohstoffen zur Klimaneutralität beitragen können.

Traditionelle Verfahren der Abwasserbehandlung werden durch neue Bausteine erweitert

Das von der Projektgruppe angewandte Konzept zur Abwasserbehandlung besteht aus chemischen, physikalischen und biologischen Prozessschritten. Im Rahmen der Vorklärung findet zunächst eine mechanische Reinigung statt. Grober Schmutz wird beseitigt, hier wird bereits ein Drittel des organischen Kohlenstoffs abgetrennt. Mithilfe von feinsten Mikrosieben wird im Anschluss ein weiteres Drittel des Kohlenstoffs aus dem Hauptabwasserstrom abgetrennt. „Die Mikrosiebe sind ein Kernstück unserer Idee. Der Kohlenstoff, der uns nach diesem Schritt vorliegt, ist so hochkonzentriert, dass er in der Biotechnologie eingesetzt werden kann“, sagt Professor Horn.

In der Folge wird im Hauptstromverfahren Ammoniumstickstoff mittels Ionentauscher entfernt. Dabei entsteht ein Produkt, das als Düngemittel eingesetzt werden kann. Die abfiltrierten Feststoffe sowie der Primärschlamm werden im Nebenstromverfahren durch saure Hydrolyse zunächst in organische Säuren umgewandelt, dabei entstehen auch Biowasserstoff und CO2

Das Hydrolysat wird filtriert und mittels mikrobieller Elektrolyse zu Wasserstoff umgesetzt. Wasserstoff findet vielfältige Anwendung in der chemischen Industrie und gilt als zukünftiger Energieträger. Die Gasströme aus mikrobieller Elektrolyse und Dunkelfermentation werden in einer Machbarbarkeitsstudie in einem biotechnologischen Prozess für die Produktion wertvoller Chemikalien verwertet, dabei wird auch das enthaltene Kohlenstoffdioxid wieder fixiert. Der im Ablauf der mikrobiellen Elektrolysezelle verbleibende organische Kohlenstoff wird anschließend zu einem Grundstoff für Bioplastik fermentiert. Zum Schluss geht das Abwasser im Hauptstrom den in einer traditionellen Kläranlage üblichen Weg: Verbleibender Stickstoff und Kohlenstoff wird in mehreren Schritten abgebaut, anfallende Schlämme landen im Nachklärbecken, in dem Methan gewonnen wird.

„Unsere Bioraffinerie hat seit dem letzten Jahr im Dauerbetrieb gezeigt, dass die Prozesskette funktioniert. Das Verfahren könnte also auch in anderen Klärwerken umgesetzt werden“, sagt der Leiter des Forschungsklärwerks Peter Maurer. „Wir hoffen, dass wir mit dem Pilotprojekt andere Unternehmen für die Potenziale von bioökonomischen Strategien sensibilisieren können. Unser Beispiel zeigt, dass man den Verbrauch fossiler Rohstoffe reduzieren und dadurch sogar Kosten sparen und neue Produkte vermarkten kann.“

Das Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau

Im Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau forschen und experimentieren Studierende, Doktorand*innen und Forschungsgruppen seit 1965 im halbtechnischen und großtechnischen Maßstab zu innovativen Verfahren für die Abwasserbehandlung. Das Lehr- und Forschungsklärwerk ist angegliedert an das Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart. Es dient nicht ausschließlich der Forschung, sondern behandelt auch die Abwässer von 8500 Einwohner*innen eines Stuttgarter Stadtteils. Ein Teilstrom des kommunalen Abwassers wird durch die KoalAplan- Pilotanlage des Projekts geleitet.

Peter Maurer (rechts) stellt Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Lehr- und Forschungsklärwerk Büsnau der Universität Stuttgart vor. Links im Bild: Professor Harald Horn und Anna Steiger, die Kanzlerin der Universität Stuttgart.

Fachlicher Kontakt:

Peter Maurer, Leiter des Lehr- und Forschungsklärwerks der Universität Stuttgart, Tel.: +49 711 685-63724, E-Mail

Prof. Dr. Harald Horn, Professor für Wasserchemie und Wassertechnologie am Engler-Bunte-Institut des KIT und Leiter des Bereichs Wasserchemie und Wassertechnologie an der DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), E-Mail

 

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