Mikroskopaufnahme eines Bärtierchens. Der pralle Körperbau und die kurzen Beine erinnern an einen Bären.

Dornröschen im Eiswürfel: Wie Bärtierchen Eiseskälte überdauern

5. Oktober 2022, Nr. 66

Forschende der Universität Stuttgart und der Pohang University of Science and Technology in Südkorea zeigen, dass Bärtierchen im gefrorenen Zustand nicht altern.
[Bild: Ralph Schill / Universität Stuttgart]

Bärtierchen können sich hervorragend an raue Umweltbedingungen anpassen. Bereits 2019 bewies Ralph Schill, Professor am Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme der Universität Stuttgart, dass anhydrobiotische (getrocknete) Bärtierchen viele Jahre ohne Wasseraufnahme unbeschadet überdauern können. Ob Tiere in gefrorenem Zustand schneller oder langsamer Altern oder das Altern gar zum Stillstand kommt, war bislang unklar. Das Rätsel ist nun gelöst: Gefrorene Bärtierchen altern nicht.

Bärtierchen, auch Wasserbären genannt, gehören zur Familie der Fadenwürmer. Ihre Gangart erinnert an die eines Bären, womit die Gemeinsamkeiten bereits erschöpft wären. Die nur knapp einen Millimeter großen Bärtierchen haben es geschafft, sich im Laufe der Evolution perfekt an schnell wechselnde Umweltbedingungen anzupassen und können bei extremer Hitze austrocknen und bei Kälte gefrieren. ,,Sie fallen in einen Dornröschenschlaf ohne zu sterben“, erklärt Schill.

Mikroskopaufnahme eines Bärtierchens. Der pralle Körperbau und die kurzen Beine erinnern an einen Bären.
Erst unter dem Mikroskop kommt die Ähnlichkeit seines Namensvetters zur Geltung: der pralle, runde Körperbau und die kurzen Beine erinnern an die eines Bären.

Dornröschen-Hypothese

Für einen Zellorganismus bedeutet es unterschiedlichen Stress, je nachdem ob er nun gefriert oder austrocknet. Doch Bärtierchen überstehen Hitze und Kälte gleichermaßen unbeschadet. Sie zeigen dabei keine offensichtlichen Lebenszeichen mehr. Daraus ergibt sich die Frage, was mit der inneren Uhr der Tiere passiert und ob sie in diesem Ruhezustand altern.

Für getrocknete Bärtierchen, die viele Jahre in ihrem Lebensraum auf den nächsten Regen warten, haben Ralph Schill und sein Team die Frage nach dem Altern schon vor einigen Jahren beantwortet. In einem Märchen der Gebrüder Grimm fällt die Prinzessin in einen tiefen Schlaf. Als ein Prinz sie nach 100 Jahren küsst, erwacht sie und sieht noch immer so jung und schön aus wie zuvor. Bei den Bärtierchen im getrockneten Zustand ist es genauso und daher wird dies auch als „Dornröschen“-Hypothese („Sleeping Beauty“-Model) bezeichnet. „Während inaktiver Perioden bleibt die innere Uhr stehen und läuft erst wieder weiter, sobald der Organismus reaktiviert wird“, sagt Schill. „So können Bärtierchen, die ohne Ruheperioden normalerweise nur wenige Monate leben, viele Jahre und Jahrzehnte alt werden.“

Bislang war noch unklar, ob dies auch für gefrorene Tiere gilt. Altern sie schneller oder langsamer als die getrockneten Tiere oder kommt das Altern auch zum Stillstand?

Eine Mikroskopaufnahme zeigt mehrere gefrorene Bärtierchen.
Lebend-Aufnahmen, die unter dem Mikroskop entstehen, helfen Schill und seinen Kolleg*innen die (In-)Aktivität der Bärtierchen zu untersuchen.

Alterungsprozess stoppt auch in gefrorenem Zustand

Um dies zu erforschen, haben Schill und sein Team in mehreren Experimenten insgesamt über 500 Bärtierchen bei -30 °C eingefroren, wieder aufgetaut, gezählt, gefüttert und wieder eingefroren. Dies geschah so lang bis alle Tiere gestorben sind. Zur selben Zeit wurden Kontrollgruppen bei gleichbleibender Raumtemperatur gehalten. Die Zeit in gefrorenem Zustand ausgenommen, zeigte der Vergleich mit den Kontrollgruppen eine nahezu identische Lebensdauer. „Bärtierchen halten also auch im Eis wie Dornröschen ihre innere Uhr an“, schlussfolgert Schill.

Ihre Erkenntnisse und Vorgehensweise veröffentlichten Schill und seine Kolleg*innen im Journal of Zoology unter dem Titel „Reduced ageing in the frozen state in the tardigrade Milnesium inceptum (Eutardigrada: Apochela)“.

Fachlicher Kontakt:

Prof. Dr. Ralph Schill, Universität Stuttgart, Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme, Tel. +49 (0) 172 730 4726, E-Mail 

Medienkontakt

Dieses Bild zeigt Lydia Lehmann

Lydia Lehmann

 

Stellvertretende Leiterin Hochschulkommunikation

 

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