Dr. Johanna Ricarda Bruckner forscht und lehrt am Institut für Physikalische Chemie der Universität Stuttgart und hat sich dieses Jahr für die Margarete von Wrangell-Förderung qualifiziert. Wir nehmen dies zum Anlass, um mit der Leiterin der Diversity Kommission und stellvertretenden Gleichstellungsbeauftragten der Faktultät 3 über ihre Forschung und über Chancen und Perspektiven von Frauen in der Wissenschaft zu sprechen.
Mit dem Margarete von Wrangell-Habilitationsprogramm schreibt die Landesregierung Baden-Württemberg auch dieses Jahr wieder eine Förderung aus, die sich speziell an besonders qualifizierte Wissenschaftlerinnen an den Universitäten und Hochschulen des Landes Baden-Württemberg richtet. Mit ihrer Hilfe soll die Anzahl an Professorinnen im Land erhöht werden.
Die Wichtigkeit dieses Programms unterstreicht auch Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: „Hervorragend qualifizierte Frauen sollen beste Karriereaussichten in Wissenschaft und Forschung bekommen. Das ist ein zentrales Anliegen der Landesregierung."
Frau Bruckner, erst einmal möchten wir Ihnen sehr herzlich zum Erhalt der Margarete von Wrangell-Förderung gratulieren und für die Möglichkeit danken, Ihnen hierzu ein paar Fragen zu stellen. Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch die Förderung für Ihre wissenschaftliche Forschung?
Die Aufnahme in das Margarete von Wrangell-Programm ist für mich eine große Chance und ein essentieller Schritt, um meine wissenschaftliche Laufbahn weiterverfolgen zu können. Die häufig prekäre Arbeitssituation von Nachwuchswissenschaftlerinnen, die sich von einem Zeitvertrag zum nächsten hangeln, mindert nachweislich die Produktivität, wirkt sich nachteilig auf die Psyche der Betroffenen aus und verhindert, dass längerfristige Forschungsprojekte angegangen oder Drittmittel eingeworben werden können. Die sichere Finanzierung der eigenen Stelle über einen Zeitraum von fünf Jahren, wie sie durch das Margarete von Wrangell-Programm gewährt wird, ermöglicht es mir, mich voll und ganz auf meine Forschung und Lehre konzentrieren zu können, ohne dass Zeit und Kapazitäten für Bewerbungen oder Zukunftssorgen abfließen.
Eine weitere große Chance, die ich speziell im Margarete von Wrangell-Programm sehe, ist die Gewährung von weitgehenden Lehr- und Prüfberechtigungen inklusive der Befähigung Doktoranden und Doktorandinnen zur Promotion zur führen. Dies ermöglicht ein deutlich höheres Maß an Unabhängigkeit als sonst für Nachwuchswissenschaftlerinnen zu diesem Zeitpunkt der Karriere üblich, sowie die Chance eine autonome Nachwuchsgruppe aufzubauen.
Meinem Ziel einer Habilitation und einem anschließenden Ruf auf eine Hochschulprofessur bin ich daher durch die Aufnahme in das Margarete von Wrangell-Programm deutlich nähergekommen. Ich freue mich darauf, mich diesem Ziel in den nächsten Jahren voll und ganz widmen zu können.
Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Ein ganz konkreter Schritt, der mir durch die Aufnahme in das Margarete von Wrangell-Programm ermöglich wurde, ist es, im Rahmen des Folgeantrages des Sonderforschungsbereiches 1333 („Molecular Heterogeneous Catalysis in Confined Geometries“) einen Teilprojektantrag als Projektleiterin einzureichen. Ohne eine sichere Finanzierung meiner Stelle über die Laufzeit einer potentiellen zweiten Förderperiode hinweg, wäre dies nicht möglich gewesen. Im Falle einer positiven Begutachtung werden meine derzeitigen Forschungsbemühungen zur Herstellung von Siliciumdioxidmaterialien mit maßgeschneiderten Poren im Nanometerbereich ab Mitte 2022 durch einen Doktoranden oder eine Doktorandin verstärkt und auf die Kontrolle der elektronischen Eigenschaften ausgeweitet.
Für einen weiteren Forschungsschwerpunkt, die Herstellung funktionaler Materialien aus Polysacchariden biologischen Ursprungs, konnte ich bereits eine weitere Promotionsstelle ab Anfang 2022 einwerben. Dem zeitnahen Aufbau meiner eigenen Nachwuchsgruppe steht nun also nichts mehr im Wege.
Welche Auswirkungen wird Ihre Forschung auf die Gesellschaft haben?
Meine Forschungsbemühungen befassen sich damit, physikochemische Vorgänge, insbesondere im Bereich der weichen Materie, besser zu verstehen und dieses Verständnis zu nutzen, funktionelle Materialien mit hierarchischer Struktur herzustellen. Mein Ziel ist es, dass diese Materialien die Effizienz bestehender Verfahren, zum Beispiel in der Katalyse, erhöhen oder neue Technologien, beispielsweise in der Sensorik oder Aktorik, voranbringen. Eine energiesparende Prozessführung sowie der Einsatz erneuerbarer Rohstoffe sind dabei wichtige Motivatoren. Ich hoffe, dass meine Forschung dadurch einen Beitrag dazu leisten kann, unsere Gesellschaft sowohl technologisch als auch ökologisch voranzubringen.
Welche Chancen sehen Sie in dem Förderprogramm, gerade im Hinblick auf die jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen?
Die oft große Stellen- und Ortsunsicherheit, denen sich Wissenschaftler*innen nach Abschluss der Promotion gegenübersehen, ist insbesondere für Wissenschaftlerinnen häufig ein großes Problem. Durch die in unserer Gesellschaft noch immer bestehenden traditionellen Rollenbilder, aber auch biologischen Gegebenheiten, haben junge Frauen oft deutlich mehr mit ihrem Selbstbild als Wissenschaftlerinnen sowie der Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Laufbahn und Privatleben zu kämpfen als ihre männlichen Kollegen. Eine gezielte Förderung von Frauen auf dem Weg zur Habilitation kann daher ein wichtiges Instrument sein, um den derzeit immer noch geringen Frauenanteil unter den Hochschullehrer*innen zu erhöhen. Somit kann der Weg für eine Nivellierung der Geschlechterrollen im wissenschaftlichen Kontext geebnet werden, was solche Maßnahmen in naher Zukunft hoffentlich unnötig machen wird. Dass das Margarete von Wrangell-Programm nicht nur die wissenschaftliche Exzellenz, sondern auch die proaktive Einbindung der Geförderten in die aktuelle Hochschullehre ihres Fachbereiches betont, ist ein wichtiger Faktor für die Erreichung dieses Ziels.
Wie gut sind Ihrer Meinung nach in Baden-Württemberg die Chancen für Wissenschaftlerinnen?
Insgesamt sind die Chancen für Frauen eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen heutzutage so gut wie noch nie. Als stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Chemie weiß ich aber auch um die noch immer ausgeprägte Abnahme des Frauenanteils mit zunehmender Höhe der wissenschaftlichen Karriereleiter. Beispielsweise betrug der Frauenanteil an unserer Fakultät im Mittel der letzten drei Jahre unter den Studierenden 45 Prozent, unter den Promovierenden noch 36 Prozent und unter den besetzten Professuren sogar nur noch 13 Prozent. Dass Baden-Württemberg gezielt junge Wissenschaftlerinnen dabei unterstützt, diese Glasdecke zu durchbrechen, ist daher sehr positiv zu sehen.
Was möchten sie jungen Wissenschaftlerinnen mit auf den Weg geben?
Was mir in meiner Arbeit mit Studierenden immer wieder auffällt ist, dass sich Studentinnen häufig viel kritischer sehen und sich selbst viel weniger zutrauen als es bei ihren männlichen Kommilitonen der Fall ist. Keineswegs aber stelle ich dabei fest, dass dieses unterschiedliche Selbstbild auch mit den tatsächlichen Fähigkeiten der beiden Gruppen korreliert. Vielmehr spiegelt diese abweichende Selbstwahrnehmung und die daraus resultierende Außendarstellung, die immer noch allzu fest eingebrannten traditionellen Rollenbilder unserer Gesellschaft wider. Ich möchte junge Wissenschaftlerinnen, Studentinnen und Schülerinnen daher zu einer wissenschaftlichen Karriere ermutigen und ihnen Folgendes mitgeben: Traut euch! Lasst euch eure Begeisterung nicht nehmen und euch einreden, dass ihr etwas nicht könntet oder dass ihr an einem anderen Ort besser aufgehoben wärt. Wenn ihr Leidenschaft, Tatendrang und Neugier mitbringt, dann werdet ihr auch erfolgreich sein!
Das Margarete von Wrangell-Habilitationsprogramm
Die Landesregierung Baden-Württemberg schreibt das Margarete von Wrangell-Habilitationsprogramm für Frauen zur Förderung des Hochschullehrerinnennachwuchses seit 1997 aus. In diesem Herbst 2021 haben zehn Wissenschaftlerinnen der Universitäten Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg mit Hilfe der Förderung eine verlässliche Forschungsperspektive für bis zu fünf Jahre erhalten. Die Kosten dafür übernehmen für drei Jahre zu jeweils 50 Prozent das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und die Europäischen Sozialfonds (ESF). Zwei weitere Jahre werden durch die jeweilige Hochschule finanziert.
In bislang 17 Auswahlrunden wurden bzw. werden 204 Wissenschaftlerinnen gefördert. Die Förderung der Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nimmt heute in der Hochschulpolitik des Landes Baden-Württemberg einen hohen Stellenwert ein. Sie zeigt erste Erfolge. So stieg in den letzten Jahren an den Hochschulen Baden-Württembergs der Frauenanteil an den Professuren stetig im Zeitraum von 1999 bis 2013 von knapp acht Prozent auf 19 Prozent an, 2017 liegt der Frauenanteil bei ca. 21 Prozent. Das Margarete von Wrangell-Habilitationsprogramm für Frauen versteht sich als ein Baustein, um strukturell bedingten Benachteiligungen von Frauen in der Wissenschaft entgegen zu wirken.