Entwicklung der Uni Stuttgart auf der EXPO 2012 in Yeosu, Südkorea

14. Mai 2012, Nr. 28

Pflanzenbewegung Pate für kinetische Fassade

Auf der diesjährigen Weltausstellung in Südkorea (EXPO 2012 Yeosu) präsentiert sich der Themenpavillon „One Ocean“ mit einer hochinnovativen kinetischen Fassade. Deren Funktionsweise als adaptives Verschattungssystem und Medienfassade wurde durch ein bionisches Forschungsprojekt am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart (ITKE) angeregt.

 

Innovationen entstehen häufig in Teamarbeit, besonders vielversprechend wird es, wenn dabei verschiedene Disziplinen zusammentreffen“, so Prof. Jan Knippers, der das Projekt „Biegsame Flächentragwerke“ im Rahmen der Fördermaßnahme BIONA leitet. BIONA steht für „Bionische Innovationen für nachhaltige Produkte und Technologien“ und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Seit drei Jahren beschäftigen sich im Rahmen dieses Projekts Ingenieure und Architekten in Zusammenarbeit mit Verfahrenstechnikern des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf und Biologen der Plant Biomechanics Group an der Universität Freiburg mit der Frage, inwieweit sich biologische Bewegungsmechanismen technisch umsetzen lassen. Die biologischen Vorbilder sollen dabei vor allem Hinweise geben, wie bewegliche Konstruktionen hinsichtlich Störungsanfälligkeit sowie Energie- und Materialeffizienz verbessert werden können. Erstes Zwischenergebnis war dabei die Erkenntnis, dass viele Pflanzenbewegungen ohne diskrete Gelenke auskommen und stattdessen auf elastische Verformungen beruhen. Als Vorbild für die Verschattung von Fassaden wurde die Paradiesvogelblume Strelitzie näher untersucht. Deren pfeilförmig ausgebildeten blauen Kronblätter öffnen sich, wenn sich ein Nektarvogel auf sie setzt, und zwar durch Verbiegen, ganz ohne Gelenke oder Schrauben. Nutzt man dieses Bewegungsprinzip, so entstehen Konstruktionen, bei denen Form und Bewegung durch die reversible Elastizität ihrer Komponenten bedingt sind und es zudem keine verschleißanfälligen Elemente gibt.

Materialversagen führt zum Erfolg
Im klassischen Ingenieurverständnis handelt es sich bei diesem Ansatz von beweglichen Konstruktionen eigentlich um eine Versagensform, bei der sich ein Bauteil unter zu großer Last verbiegt. Aber gerade dieses Prinzip führt hier zum Erfolg. Die Wissenschaftler untersuchten verschiedene Materialien und Mechanismen. So entstand der Prototyp einer adaptiven Fassadenverschattung mit dem elastischen Verformungsmechanismus Flectofin®, der prototypisch in einer adaptiven Fassadenverschattung umgesetzt wurde. Dieses System ermöglicht beispielsweise stufenlose Öffnungswinkel zwischen -90° und +90°, wodurch von einer nur geringfügigen Fassadenbedeckung bis hin zur kompletten Abdeckung alle Zwischenstufen möglich sind. Hierbei ist sie nicht nur auf planare Fassadenabschnitte beschränkt, auch einfach- und doppeltgekrümmte Oberflächen, wie sie in der zeitgenössischen Architektur immer häufiger vorkommen, lassen sich durch die geometrische Anpassungsfähigkeit und den Verzicht auf starre Rotationsachsen eindecken. Damit eröffnen sich für die Flectofin®-Lamelle Anwendungsfelder, die mit konventionellen Verschattungssystemen nicht oder nur mit sehr großem Aufwand möglich sind.
Auf der Suche nach einem derartigen Verschattungssystem wandte sich das Wiener Architekturbüro soma, das 2009 den Wettbewerb für den Themenpavillon „One Ocean“ auf der Expo gewonnen hatte, an das Büro Knippers Helbig Advanced Engineering Stuttgart. Gemeinsam wurde ein Lamellensystem aus glasfaserverstärktem Kunststoff entwickelt, dessen Bewegung auf einer elastischen, graduell adaptierbaren Verformung beruht. Dass sich solche Prinzipien in die Größenmaßstäbe der Architektur übertragen lassen und dabei durch ihre Ästhetik und Einfachheit verblüffen, können Besucher der EXPO in Yeosu, Südkorea ab Mai 2012 bewundern.

Weitere Informationen: Prof. Jan Knippers, Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen, Tel. 0711/685-82754, e-mail: j.knippers@itke.uni-stuttgart.de
 

Der Klappenmechanismus in der Blüte der Strelitzia reginae (Paradiesvogelblume). (Foto: Simon Schleicher)
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