Mehr als 50 Prozent der Endenergie in Deutschland wird als Wärme gebraucht, doch die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien kommt im Wärmesektor noch nicht so recht voran. Zwar sind Wärmepumpen für Privatgebäude angesichts der drastisch gestiegenen Öl- und Gaspreise derzeit ein Kassenschlager. In der Industrie dagegen ist die Elektrifizierung der Wärmeversorgung eine Herausforderung. „Der Grund dafür sind die hohen Temperaturen und Leistungen, die in der Industrie und in Großanlagen erforderlich sind“, erklärt Prof. Annelies Vandersickel, die im Januar die Leitung der Abteilung Thermische Prozesstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und gleichzeitig die Professur thermische Energiespeicher am Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung der Universität Stuttgart übernommen hat. Während nämlich klassische Wasserspeicher und Drucktanks bei etwa 130 Grad an ihre Grenzen stoßen, sind in der Industrie Speichertemperaturen bis 1.000 Grad und mehr gefragt. „In diese Richtung wollen wir Hochtemperatur-Speicher weiterentwickeln und so die Energiewende in einem breiten Kontext stärken“, sagt die Energieforscherin.
Verschiedene technologische Ansätze
Technologische Ansätze dafür gibt es mehrere. Im Temperaturbereich zwischen 130 und 300 Grad kommen latente Speicherverfahren zum Einsatz, die auf Phasenumwandlung basieren, also auf der Änderung von Feststoff zu Flüssigkeit und wieder zurück. Sensible Wärmespeicher wie Salzschmelzen schaffen bis zu 600 Grad. Speichert man Energie in Gestein, zum Beispiel auf dem Weg der Kugelschüttung, sind je nach Schüttung und Material bis zu 1.000 Grad drin. Die thermochemische Speicherung, zum Beispiel durch die chemische Umwandlung von Kalk in Calciumoxid und Dampf, zeichnet sich wiederum dadurch aus, dass eine besonders lange Speicherdauer erzielt werden kann. „Das Schöne ist, dass wir am DLR all diese Technologieansätze und damit alle Optionen der Wärmespeicherung abdecken“, freut sich Vandersickel. Auch die Einsatzbereiche sind breit: Sie reichen von Prozesswärme für die Industrie über Kraftwerke, deren Leistung flexibel an das schwankende Angebot erneuerbarer Energien angepasst werden soll, bis hin zu Carnot-Batterien, die als standortunabhängige Großspeicher Strom in Form von Wärme speichern für Zeiten, in denen Wind und Sonne nicht verfügbar sind. Auch im Verkehrsbereich spielen die Speicher eine Rolle, zum Beispiel beim Wärmemanagement der Kabinen sowie bei den Antrieben.
Vandersickels persönlicher Forschungsschwerpunkt ist die Wärmespeicherung in Kalk. Bis zu ihrem Wechsel nach Stuttgart leitete sie dazu eine Forschungsgruppe an der TU München (TUM). „Die Problematik bei der Speicherung in Kalk besteht darin, die Wärme in das Material zu bringen, da Kalk eine schlechte Wärmeleitfähigkeit hat“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Um diese Hürde zu überwinden, haben wir in München an einem so genannten Wirbelschichtverfahren geforscht.“ In der Wirbelschicht werden die Kalkpartikel von unten mit Dampf durchströmt, bis Sie sich wie eine Flüssigkeit verhalten. Durch den ständigen Kontakt zwischen den bewegten Partikeln und den eingetauchten Wärmetauscherrohren kann die Wärme effizient ein- und ausgespeichert werden. Das Wirbelschichtverfahren ermöglicht zudem eine Trennung von Speicherleistung und Kapazität. Vereinfacht gesagt, können kontinuierlich kalte Partikel zugeführt und heiße Partikel aus der Wirbelschicht abgeführt und bei hohen Temperaturen gespeichert werden. „Somit reicht es am Ende, einfach die Kalksilos zu vergrößern, wenn mehr Wärme gespeichert werden soll.“ Am DLR werden ähnliche Konzepte für Gebäudewärmeanwendungen entwickelt. Vandersickel freut sich darauf, Ihre Expertise hier einzubringen, um das Thema auch in Stuttgart umzusetzen.
Spaß an Managementaufgaben
Vandersickels Aufgaben am DLR sind jedoch weniger in der Forschung, als auf der strategischen Ebene angesiedelt. Die eigentliche Forschung leisten vier Arbeitsgruppen, die sie leitet und denen sie die Leitplanken vorgibt. „Mein Herz hat schon ein wenig geblutet, nicht mehr unmittelbar in der Forschung tätig sein zu können“, gesteht Vandersickel. Dennoch überlegte die gebürtige Belgierin, die auch schon am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA und an der ETH Zürich geforscht hat, nicht lange, als sich das Angebot in Stuttgart auftat. „Ich habe Spaß an Managementaufgaben, bin stets neugierig, und die Stelle hier ist eine tolle Herausforderung. Zudem reizt es mich, mein eigenes Forschungsgebiet aufzuweiten und in neue Technologiebereiche einzudringen.“ Wichtig ist ihr dabei, thermische Speicher beziehungsweise Systeme nicht einzeln, sondern immer im Zusammenhang mit ihrer Rolle im Gesamtsystem zu entwickeln. „Meine Forschungsstrategie fokussiert auf eine anwendungsorientierte (Weiter-) Entwicklung der unterschiedlichen Speicher-Technologien.“
Zusammenarbeit zwischen DLR und Universität stärken
Als Professorin an der Universität Stuttgart möchte sie darüber hinaus die Zusammenarbeit zwischen DLR und der Universität stärken, insbesondere im Bereich intelligenter Systeme, und damit die Vision der Universität, Intelligente Systeme für eine zukunftsfähige Gesellschaft, maßgeblich unterstützen. Ganz konkret geschieht dies über den Wissenstransfer im Bereich der Lehre und der Ausbildung der Doktorand*innen. Aber auch konkrete Forschungskooperationen stehen auf der Agenda. So bringt sich Vandersickels DLR-Abteilung zum Beispiel im Sonderforschungsbereich „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“ (SFB 1244, Sprecher Prof. Oliver Sawodny) ein und arbeitet dort gemeinsam mit Prof. André Thess an Fragen der Gebäudeenergetik für das erste adaptive Hochhaus der Welt. Und auch ein Graduiertenkolleg sowie DFG-Projekte hat die DLR-Professorin im Auge: „Auch dabei lassen sich Synergien nutzen und mein ‚Uni-Hut‘ ist gefragt.“
Über Prof. Annelies Vandersickel
Annelies Vandersickel wurde 1984 in Belgien geboren und studierte in Leuven Maschinenbau mit Schwerpunkt Energietechnik. Nach ihrer Promotion an der ETH Zürich im Jahr 2011 war sie von 2012 bis 2013 als Postdoc am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Boston, USA. Ab 2014 bis zu ihrem Wechsel nach Stuttgart leitete sie die Gruppe Thermische Speicher und Integrierte Energiekonzepte am Institut für Energiesysteme der TUM. Bereits seit 2019 ist Vandersickel Mentorin im FeelScience-Programm der Universität Stuttgart, ein Förderprogramm für qualifizierte Nachwuchsforscherinnen, das sich gezielt an Doktorandinnen richtet.
Kontakt | Prof. Dr. Annelies Vandersickel, Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung der Universität Stuttgart und Abteilung Thermische Prozesstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Tel. +49 711 685 62661, E-Mail |
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