Von Baumwolle bis Bierschaum, von Wandfarbe bis Wackelpudding – weiche Materie ist allgegenwärtig. Auch neue Entwicklungen in der Medizintechnik, in der Energiespeicherung und der Informationstechnologie nutzen weiche Materialien.
Prozesse der Strukturbildung verstehen, kontrollieren und aktiv steuern
So unterschiedlich sie auch sind, alle weichen Materialien kennzeichnet gleichermaßen ihr Aggregatzustand zwischen fest und flüssig sowie eine komplexe interne Struktur. Wie genau bilden sich diese Strukturen? Und wie kann man den Entstehungsprozess steuern, um Materialien mit bestimmten „Wunscheigenschaften“ zu erhalten? Diese Fragen untersuchen Promovierende mehrerer Universitäten im Rahmen des Graduiertenkollegs „GRK 2516 - Kontrolle über die Strukturbildung von weicher Materie an und mittels Grenzflächen". Das GRK steht unter der Leitung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und wurde im Jahr 2020 eingerichtet. Jüngst hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Verlängerung für weitere viereinhalb Jahre bewilligt. Als neuer Partner jetzt auch mit dabei: Die Universität Stuttgart.
pH-responsive Polymere: Potential als nachhaltiger Kunststoff
„Die Universität Stuttgart beteiligt sich im Rahmen des GRKs derzeit konkret mit einem Promotionsprojekt zur Modellierung von supramolekularen pH-responsiven Polymeren“, berichtet Prof. Thomas Speck, Leiter des Instituts für Theoretische Physik IV. Das Besondere dieser noch jungen Materialklasse ist, dass die chemischen Bindungen viel schwächer als bei herkömmlichen Kunststoffen sind. „Das bedeutet, dass das Material sich wesentlich leichter abbauen lässt. Ein wichtiger Schritt hin zu nachhaltigerem Kunststoff.“ Darüber hinaus können die sogenannten Polymerketten elektrisch geladen sein, so dass sie mit Wasser interagieren können. Das birgt unter anderem Potential für die medizinische Anwendung: pH-responsive Polymere eignen sich als Basis für Hydrogele, die zum Beispiel in der Wundbehandlung oder auf Kontaktlinsen zum Einsatz kommen.
Markenzeichen: Interdisziplinäre Projektgruppen
Das GRK 2516 hat ein besonderes Markenzeichen: In jedem Projekt arbeiten Promovierende aus der Chemie und Physik im Tandem zusammen, Theorie und Experiment sind dabei eng verzahnt. „Unser Institut forscht an vielfältigen Fragestellungen mit Bezug zur statistischen Physik. Zudem ist die Universität Stuttgart mit dem Exzellenzcluster SimTech und dem Stuttgarter Zentrum für Simulationswissenschaft stark aufgestellt im Bereich Computergestützte Simulationen. Unser Fachwissen setzen wir im GRK-Projekt ein, um Materialien mit genau definierten Eigenschaften zu berechnen. Die numerische Simulation bildet eine wichtige Grundlage für die Laborarbeit der Kolleg*innen der Mainzer Chemie. Das ergänzt sich perfekt“, so Speck, der das Graduiertenkolleg bereits seit Längerem begleitet: Er war zuvor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz tätig und dort Sprecher des GRK 2516, bevor er 2022 an die Universität Stuttgart wechselte.
Das GRK 2516 - Kontrolle über die Strukturbildung von weicher Materie an und mittels Grenzflächen
Das GRK 2516 wurde im Jahr 2020 eingerichtet, um Promovierenden eine interdisziplinäre Ausbildung zu bieten, die sie auf eine erfolgreiche Karriere in der Wissenschaft oder der Wirtschaft vorbereitet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat im November 2024 einer Verlängerung für weitere viereinhalb Jahre zugestimmt und stellt für die zweite Phase ab Januar 2025 rund 5,2 Millionen Euro inklusive Programmpauschale bereit. Neben der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) als Sprecherhochschule sind das Max-Planck-Institut für Polymerforschung Mainz (MPI-P), die TU Darmstadt und – in der zweiten Phase neu – die Universität Stuttgart beteiligt. Die Universität Stuttgart beteiligt sich derzeit mit einem Promotionsprojekt; Doktorandin Mira Mors ist am Institut für Theoretische Physik IV angesiedelt sowie Mitglied der Graduiertenschule SimTech. Ein weiteres Promotionsprojekt ist in Planung.
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Lena Jauernig
Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs