Die Emissionen von Schadstoffen aus deutschen Kohlekraftwerken verursachen jährlich etwa 33.000 verlorene Lebensjahre in Deutschland und Europa. Dies zeigt eine aktuelle Studie der Universität Stuttgart im Auftrag von Greenpeace.*)
Das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart untersuchte die Gesundheitsrisiken, die durch den Betrieb der 67 größten Kohlekraftwerke über ein Jahr verursacht werden. Dazu wurde die am IER entwickelte Wirkungspfadanalyse und das Computerprogramm ECOSENSE eingesetzt. Bei dieser wird, ausgehend von den Schadstoffemissionen zunächst die Ausbreitung und chemische Umwandlung der Stoffe in der Atmosphäre simuliert, dabei wird ein atmosphärisches Modell verwendet, das ausgehend von den Emissionen und meteorologischen Parametern (z.B. Windgeschwindigkeit und –richtung) die durchschnittliche jährliche Konzentration der Schadstoffe berechnet. Die Berücksichtigung der chemischen Umwandlung ist erforderlich, weil die Schäden durch Kohlekraftwerke nicht in erster Linie durch emittierten Feinstaub, sondern durch die Emission von Gasen (Schwefeldioxid, Stickoxide), die in der Luft zusammen mit Ammoniak aus der Landwirtschaft umgewandelt werden, entstehen. Weil es einige Zeit dauert, bis diese Umwandlung erfolgt ist, und während dessen der Wind die Schadstoffe verteilt, ergibt sich das größte Individualrisiko auch nicht in der unmittelbaren Umgebung des Kraftwerks, sondern in ca. 50 bis 150 Kilometer Entfernung. Die Gesundheitsrisiken werden aus der Änderung der Konzentration von Feinstaub und der Bevölkerungszahl ermittelt, dabei werden Ergebnisse epidemiologischer Studien ausgewertet, es werden also Studien herangezogen, die einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Feinstaubkonzentration und dem gesundheitsschaden, z.B. der Lebenserwartung ausweisen. Die Gesundheitsrisiken entstehen dadurch, dass der Feinstaub eingeatmet wird und im Lungengewebe und in den Arterien Entzündungen verursacht, die dann zu Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen führen, die bei ständiger Belastung mit Feinstaub chronisch werden.
Der Betrieb der 67 Kohlekraftwerke über ein Jahr führte danach zum rechnerischen Verlust von insgesamt 33.000 Lebensjahren in ganz Europa, davon knapp die Hälfte in Deutschland. Dies entspricht umgerechnet einem durchschnittlichen Verlust von Lebenszeit in Deutschland von 1,8 Stunden pro Person. Dies bedeutet nicht, dass jeder betroffen ist. Vielmehr wird ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung einen erheblichen Lebenszeitverlust erleiden, während die weit überwiegende Mehrheit keinen Schaden davonträgt.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert auf Grund dieser Ergebnisse einen vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040. Die ‚besonders schädliche‘ Braunkohle müsse bis spätestens 2030 auslaufen. „Um Todes- und Krankheitsfälle zu vermeiden, muss die Politik endlich den Ausstieg aus der Kohle beschließen“, sagt Gerald Neubauer, Energie-Experte von Greenpeace. „Kohlekraftwerke bergen zwar zweifelsohne höhere Umwelt- und Gesundheitsrisiken als andere Stromerzeugungstechniken, haben aber auch Pluspunkte wie zum Beispiel die geringen Stromerzeugungskosten und die hohe Versorgungssicherheit eines heimischen Energieträgers. Diese Vor- und Nachteile sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen“, so der Studienleiter am Stuttgarter Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Prof. Rainer Friedrich.
*) Originalstudie (Pdf)
Weitere Informationen:
Prof. Rainer Friedrich, Universität Stuttgart, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle
Energieanwendung, Tel. 0711/685-87812, E-Mail: Rainer.Friedrich [at] ier.uni-stuttgart.de
Andrea Mayer-Grenu, Universität Stuttgart, Abt. Hochschulkommunikation, Tel. 0711/685-82176,
E-Mail: andrea.mayer-grenu [at] hkom.uni-stuttgart.de