HydroSKIN: Hochwasser- und Hitzeschutz dank smarter Gebäudefassade

12. Juni 2024, Nr. 22

Projekt der Universität Stuttgart für den „Blauen Kompass“ des Umweltbundesamts nominiert
[Bild: ILEK / Universität Stuttgart]

Straßen wurden zu Flüssen, Keller überflutet: In den vergangenen Wochen haben massive Regenfälle und Überschwemmungen in Deutschland verheerende Schäden in Milliardenhöhe angerichtet. Eine Erfindung der Universität Stuttgart könnte solche Verwüstungen künftig verhindern: HydroSKIN, eine revolutionäre Fassadentechnologie des Sonderforschungsbereichs „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von Morgen“ macht unsere Gebäude und Städte weltweit wetterfest gegen Starkregen und Hitze. Das Projekt wurde als einer von 20 Finalisten für den Wettbewerb „Blauer Kompass“ 2024 des Umweltbundesamts nominiert. 

Außenansicht des Prüfstands am adaptiven Hochhaus auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart mit ersten hydroaktiven Fassadenprototypen und umfangreicher Messtechnik.

Gebäude in „Funktionskleidung“

Die leichten Fassadenelemente aus mehreren Textillagen und Membranen nehmen Regenwasser auf. Das entlastet die Kanalisation und beugt Hochwasser vor. An heißen Tagen wird die Textilfassade mit Wasser befeuchtet und kühlt damit durch Verdunstung Gebäude und Stadtraum nachhaltig ohne Klimaanlage. Die Fassadenelemente können aufgrund ihres geringen Gewichtes mit Leichtigkeit an Neubauten sowie bestehenden Gebäuden angebracht werden – und das in vielfältigen Designs. Zudem können die Textilien zu 100 Prozent rezykliert und sogar aus PET-Flaschenabfällen hergestellt werden.

Die textile Oberfläche der HydroSKIN Fassade wird aus PET-Rezyklaten hergestellt.

Regenwasser aufnehmen und intelligent nutzen

Seit 2022 untersuchen Forschende der Universität Stuttgart, wie sich die Fassade bei Starkregen und extremer Hitze verhält. „Es zeigte sich, dass die HydroSKIN-Fassade mehr als das Doppelte an Regenwasser aufnehmen kann im Vergleich zu einer gleich großen Dachfläche desselben Gebäudes“, erklärt Christina Eisenbarth, die HydroSKIN im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren erfunden und entwickelt hat. „Dies trägt dazu bei, den sogenannten Oberflächenabfluss, sprich Regenwasser, welches durch asphaltierte und betonierte Flächen direkt in die Kanalisation geführt werden muss und bei Überschreiten der Aufnahmekapazität für Überschwemmungen sorgt, um ganze 54 Prozent zu reduzieren. Und das, wenn nur ein Viertel einer Gebäudefassade mit HydroSKIN ausgestattet ist.“

Links ist der Rückprall von Regenwassertropfen auf einer harten Fassadenoberfläche dargestellt, rechts die Regenwasserdurchlässigkeit der textilen Außenlage von HydroSKIN.

Das scheinbar „überschüssige Nass“ wird von der Fassade ins Gebäudeinnere geleitet und kann dort etwa für die Waschmaschine, für den, die Toilettenspülung und Pflanzenbewässerung genutzt werden. In einem Wohngebäude könnte so bis zu 46 Prozent Frischwasser gespart werden. „HydroSKIN ist damit mehr als nur eine Fassade – es ist ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz und zur Ressourcenschonung in unseren Städten“, sagt Prof. Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren und stellvertretender Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1244.

Natürliche Klimaanlage für Gebäude und Städte

An heißen Tagen wirkt die HydroSKIN-Fassade wie ein feuchter Wadenwickel bei Fieber: Durch den natürlichen Verdunstungsprozess kühlt HydroSKIN Gebäude und den Stadtraum. Während gewöhnliche Gebäudeoberflächen unter der sengenden Sommersonne Temperaturen von über 90 °C erreichen können, senkt HydroSKIN die Oberflächentemperatur auf bis zu 17 °C herunter. Ein einziger Quadratmeter dieser Fassade kann die Aufheizung von 1,8 Quadratmetern Beton oder 1,4 Quadratmetern Asphalt vollständig ausgleichen.

„Stellen Sie sich vor, wir könnten dieses System weit verbreiten, so würden die rot leuchtenden, heißen Punkte unserer Städte auf einer Wärmebildkarte plötzlich wieder blau-grün und kühl werden, ohne dass wir dabei kostbare städtische Bauflächen verlieren“, erklärt Eisenbarth. Die Kühlleistung der Fassade ist beeindruckend: 5,7 Quadratmeter HydroSKIN kühlen so stark wie eine Klimaanlage – damit können auch Energiekosten eingespart werden.

HydroSKIN soll zur Baupraxis der Zukunft gehören

„Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese vielversprechende Technologie schnellstmöglich in die Baupraxis zu überführen, um unsere gebaute Umwelt für künftige Starkregenereignisse besser zu wappnen“, so Eisenbarth. „HydroSKIN ist seit über einem Jahr ein Start-Up in der Technologie-Transfer-Initiative GmbH der Universität Stuttgart und wir sind hochmotiviert, nun erste Projekte umzusetzen.“

Die lichtdurchlässige Fassadentechnologie HydroSKIN, entwickelt von Christina Eisenbarth, ist für den Wettbewerb „Blauer Kompass“ des Umweltbundesamts nominiert.

„Am Demonstratorhochhaus D1244 werden in diesem Jahr zwei Etagen mit der HydroSKIN-Fassade gebaut werden, um die Nachrüstbarkeit von konventionellen Fassaden mit den leichten HydroSKIN-Fassadenelementen und das dabei entstehende architektonische Potenzial zu zeigen“, erläutert Dr. Walter Haase, der das Projekt als Ingenieur der Luft- und Raumfahrt mitbegleitet hat und Geschäftsführer des SFB 1244 der Universität Stuttgart ist.

Parallel soll weiter an der Technologie geforscht werden. „In unserem Sonderforschungsbereich möchten wir in Zukunft die globale Anwendbarkeit der HydroSKIN-Technologie in verschiedenen Klimazonen und im Zusammenspiel mit unterschiedlichen Bestandsgebäuden umfangreich untersuchen“, sagt Prof. Oliver Sawodny, Leiter des Instituts für Systemdynamik und Sprecher des Sonderforschungsbereiches 1244.

Das Projekt war unter den 20 Finalisten beim Bundeswettbewerb „Blauer Kompass“ 2024 des Umweltbundesamts. „HydroSKIN - Gebäudefassadenelemente gegen Hochwasser und Hitze“ belegte den 8. Platz.

Fachlicher Kontakt:

Christina Eisenbarth, Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK), E-Mail, Telefon: +49 152 346 629 64 

Mehr Informationen zu HydroSKIN finden Sie auf der Projektseite.

 

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