Schlaflieder gibt es in nahezu allen Kulturen – und sie zeigen nicht nur bei Kindern ihre Wirkung. Aber nicht jedes Schlaflied funktioniert bei allen Menschen gleich gut. Persönliche Vorlieben spielen durchaus eine Rolle.
„Mein Neffe war mit drei Jahren zur Überraschung seiner Eltern ein Queen-Fan“, sagt Professor Dirk Pflüger vom Institut für Parallele und Verteilte Systeme der Universität Stuttgart. „Abends zum Einschlafen wollte er nichts anderes hören und schlief dazu prima ein. Bei mir würde das nicht funktionieren.“
Interdisziplinäres Forschungsteam erforscht schlaffördernde Eigenschaften von Musik
Welche Eigenschaften Musik oder vielmehr akustische Stimuli erfüllen müssen, damit sie uns individuell helfen, besser einzuschlafen, ist bislang jedoch noch nicht erforscht. „Ob das Geräusche sind, ob man da irgendwelche Rhythmen braucht oder ähnliches – das versuchen wir herauszufinden“, so der Stuttgarter Informatiker Pflüger.
Akustische Reize clustern
„Wir“, das ist ein interdisziplinäres Team von Forschenden aus der Musikwissenschaft, Neurowissenschaft, Psychologie und Informatik von neun europäischen Universitäten. Gemeinsam untersuchen sie verschieden frequentierte, akustische Reize von weißem über pinkfarbenes bis zu braunem Rauschen. Letzteres klingt etwa wie raschelnde Blättern oder starker Regen. Oder eben auch künstlich erzeugte Melodien und Rhythmen, wie sie etwa innerhalb von Lullabyte in einer Schlafstudie verwendet wurden.
„Das große Ziel ist es, einer KI beizubringen, anhand meiner Reaktion auf das Gehörte, akustische Reize so zu optimieren, dass sie mir bestmöglich helfen einzuschlafen“, erklärt Pflüger. Dafür braucht es maschinelle Lernmethoden, die einer KI genau das beibringen. Daran arbeitet der Stuttgarter Informatiker Pflüger gemeinsam mit seinen Doktoranden Samuel Morgan und Jonathan Stumber.
Hörprobe generiert mit Algorithmen
Was die KI braucht, um individuell zu komponieren
Diese Methoden müssen auch mit Input gefüttert werden. „Letztlich brauchen wir eine breite Datengrundlage“, erklärt Pflüger. Vorhandene Daten stammen bisher aus Schlaflaboren und sind noch dazu sehr selten offen zugänglich. Für Pflüger und seine Kolleg*innen steht fest: Sie müssen den Schritt in die heimische Umgebung der Menschen wagen.
Mit mobilen EEG-Geräten, sogenannten Head-Bands, könnten die Forschenden praktisch überall Hirnaktivitäten und Vitalparameter, wie etwa Puls und Muskelaktivität, im Schlafzustand messen und unkompliziert für Forschungszwecke teilen. „Momentan arbeiten wir daran, geeignete Geräte hierfür auszuwählen und zu erproben“, so Pflüger.
Eine weitere Herausforderung: Was sollen die Proband*innen und die KI letztlich zu hören kriegen? An der beteiligten Universität Aarhus wurden zahlreiche Spotify-Playlisten, die in irgendeiner Weise mit Schlaf assoziiert sind, auf Zusammenhänge hin analysiert. Das Ergebnis: Ein Repertoire von rund 130.000 Songs, Melodien und Geräuschen, die nun auf ihre musikalischen Eigenschaften hin analysiert werden. „Mit diesen Daten füttern wir eine KI, die lernen soll, akustische Stimuli zu erzeugen“, erklärt Pflüger. „Diese generierten Stimuli spielen wir Proband*innen vor, messen deren Reaktionen und präsentieren die Ergebnisse wieder der KI. So geht die Schleife weiter, bis die akustischen Stimuli so optimiert sind, dass sie bestmöglich beim Einschlafen helfen.“
Nachwuchsförderung und Forschung gehen Hand in Hand
Im EU-Forschungsprogramm Lullabyte spielt die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine bedeutende Rolle. Pflüger und seine Kolleg*innen haben das Projekt als Marie-Skłodowska-Curie-Netzwerk-Programm (MSCA) für Doktorand*innen beantragt und rasch die Zusage erhalten. Jede der beteiligten Universität stellt ein Professoren-Doktoranden-Duo.
Die Doktoranden und Doktorandinnen werden für zwei Forschungsaufenthalte von jeweils drei Monaten an eine Partneruniversität entsandt. „Das stärkt die internationale Mobilität und den Austausch“, so Pflüger. Außerdem gibt es wöchentliche Doktorand*innen-Meetings und drei Summer Schools über die Projektlaufzeit verteilt.
Über Lullabyte
Das EU-Projekt Lullabyte wird als MSCA-Doktorandennetzwerk durch Horizon Europe für vier Jahre mit knapp 2,5 Millionen Euro gefördert. Die Nachwuchsförderung für Doktorand*innen ist ein wesentlicher Bestandteil des Projekts. Federführend sind die TU Dresden und die FU Berlin, beteiligt sind acht weitere Partneruniversitäten, das Radboud University Medical Center aus den Niederlanden, die Universität Stuttgart, die Aarhus Universität in Dänemark, das FEMTO-ST Institute und das Paris Brain Institute aus Frankreich, die Universidad Pompeu Fabra aus Spanien, das Royal Institute of Technology in Schweden, die Université de Fribourg in der Schweiz, sowie das Berliner Start-up Endel.
Jacqueline Gehrke
Redakteurin Wissenschaftskommunikation
Dirk Pflüger
Prof. Dr. rer. nat.Institutsleiter