Vier Personen stehen im Halbkreis vor einem abgedunkelten Hintergrund. In ihrer Mitte eine Animation eines biorobotischen Arms, der eine Tasse in der Hand hält.

Künstliche Muskeln zur Tremor-Unterdrückung

7. März 2025

Wissenschaftler*innen des Zentrums Bionic Intelligence Tübingen Stuttgart (BITS) haben einen mit künstlichen Muskeln ausgestatteten biorobotischen Arm entwickelt, der Parkinson-Patient*innen im Alltag unterstützt. Das Ziel ist es, tragbare Exoskelette zu entwickeln und weitere Technologien voranzutreiben.
[Bild: Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS)]

Schätzungen zufolge leben weltweit etwa 80 Millionen Menschen mit einem Tremor. Betroffen sind davon zum Beispiel Parkinson Patient*innen. Die unwillkürlichen periodischen Bewegungen beeinträchtigen Betroffene, etwa dabei ein Glas zu halten oder einen Text zu schreiben. Tragbare weiche Exoskelette könnten eine praktische Lösung sein, um den Tremor zu unterdrücken. Bestehende Prototypen sind jedoch nicht ausgereift genug, um echte Abhilfe zu schaffen.

Biorobotischer Arm unterstützt Tremor-Patient*innen

Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS), der Universität Tübingen und der Universität Stuttgart wollen dies im Rahmen der Forschungskooperation Bionic Intelligence Tübingen Stuttgart (BITS) ändern. Das Team hat einen biorobotischen Arm mit zwei Strängen künstlicher Muskeln ausgestattet, die entlang des Unterarms befestigt sind. Wie im folgenden Video zu sehen ist, simuliert der biorobotische Arm – im Video als mechanischer Patient bezeichnet – ein Zittern. 

Künstliche Muskeln zur Tremor-Unterdrückung

01:42

Mehrere echte Tremor-Bewegungen wurden aufgezeichnet und auf den künstlichen Arm projiziert, der dann nachahmt, wie der Patient Handgelenk und Hand schüttelt. Sobald jedoch die Tremor-Unterdrückung aktiviert wird, ziehen sich die leichten, elektrohydraulischen Aktoren – die künstlichen Muskeln – zusammen und entspannen sich auf eine Weise, die die Hin- und Her-Bewegung ausgleicht. Jetzt ist der Tremor kaum noch zu spüren oder zu sehen.

Potenzial für zukünftige Technologien

Mit dem Roboter-Arm möchte das Team zwei Ziele erreichen: Einerseits anderen Forschenden auf dem Gebiet eine Plattform bieten, um neue Exoskelett-Technologie zu testen. Anhand biomechanischer Computersimulationen können Entwickler*innen schnell überprüfen, wie gut ihre weichen Aktuatoren funktionieren. So können sie neue Technologien ohne zeitaufwändige und kostspielige klinische Tests an echten Patient*innen früh in der Entwicklung auf ihr Potenzial hin testen.

Tragbare Exoskelette für Kleidungsstücke

Andererseits  dient der Arm als Testplattform für künstliche Muskeln – sogenannte HASELs - , welche die Abteilung für Robotik-Materialien am MPI-IS entwickelt. Die Vision des Teams ist es, HASELs in tragbare Exoskelette einzubauen – Kleidungsstücke, die Tremorpatient*innen bequem tragen können, um zum Beispiel eine Kaffeetasse besser halten zu können.

„Wir sehen großes Potenzial, unsere künstlichen Muskeln eines Tages in ein Kleidungsstück einzunähen, das man diskret tragen kann und andere so nicht einmal merken, dass die Person an einem Tremor leidet“, sagt Alona Shagan Shomron, Postdoc in der Abteilung für Robotik-Materialien am MPI-IS. „Wir haben gezeigt, dass unsere künstlichen Muskeln, die auf der HASEL-Technologie basieren, schnell und stark genug sind, um viele verschiedene Tremor zu unterdrücken. Dies zeigt das große Potenzial eines tragbaren Hilfsgeräts auf HASEL-Basis für Menschen, die mit dieser Einschränkung leben“, fügt Shagan hinzu.

Vier Personen stehen im Halbkreis vor einem abgedunkelten Hintergrund. In ihrer Mitte eine Animation eines biorobotischen Arms, der eine Tasse in der Hand hält.
Von links nach rechts: Alona Shagan Shomron, Syn Schmitt, Christoph Keplinger and Daniel Häufle.

„Mit der Kombination aus mechanischem Patienten und biomechanischem Modell können wir messen, ob die getesteten künstlichen Muskeln gut genug sind, um alle, auch sehr starke, Tremor-Bewegungen zu unterdrücken. Wenn wir also jemals ein tragbares Gerät entwickeln würden, könnten wir es an jeden Tremor individuell anpassen“, fügt Daniel Häufle hinzu. Er ist Professor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen. Unter anderem haben er und sein Team die Computersimulation erstellt und die Tremor-Daten von Patient*innen gesammelt.

Computersimulationen treiben technologische Entwicklung voran

„Der mechanische Patient ermöglicht es uns, das Potenzial neuer Technologien bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium zu testen, ohne dass teure und zeitaufwändige klinische Tests an echten Patienten und
Patientinnen notwendig sind“, sagt Syn Schmitt, Professor für Computational Biophysics and Biorobotics an der Universität Stuttgart. „Viele gute Ideen werden oft nicht weiterverfolgt wegen klinischer Tests, die in der frühen Phase der Technologieentwicklung nur schwer finanziert werden können. Unser mechanischer Patient löst dieses Problem. Mit ihm können wir das Potenzial neuer Technologien bereits in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung testen.“

„Die Robotik zeigt großes Potenzial für Anwendungen im Gesundheitswesen. Dieses erfolgreiche Projekt unterstreicht die Schlüsselrolle, die weiche Robotersysteme, die auf flexiblen und verformbaren Materialien basieren, spielen werden“, sagt Christoph Keplinger, Direktor der Abteilung für Robotik-Materialien am MPI-IS.

Publikation
A. Shagan Shomron, C. Chase-Markopoulou, J. R. Walter, J. Sellhorn-Timm, Y. Shao, T. Nadler, A. Benson, I. Wochner, E. H. Rumley, I. Wurster, P. Klocke, D. Weiss, S. Schmitt, C. Keplinger*, D. Haeufle*, „ A robotic and virtual testing platform highlighting promise of soft wearable actuators for suppression of wrist tremor“, Device, 2025. https://doi.org/10.1016/j.device.2025.100719

Fachlicher Kontakt
Prof. Syn Schmitt, Institut für Modellierung und Simulation Biomechanischer Systeme, Tel.: +49 711 685 60484, E-Mail

Text: Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS)

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