Für Laurin Ludmann vom Institut für Fahrzeugtechnik Stuttgart heißt es demnächst Koffer packen: Im November reist der Doktorand in die USA, nach Cambridge, Massachusetts. Eine Woche lang wird er dort intensiv mit Wissenschaftler*innen des Reliable Autonomous System Lab (REALM) am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) zusammenarbeiten. Der USA-Aufenthalt dient einem Gemeinschaftsprojekt, das seit Juni läuft und das Ziel hat, Verfahren der Modellbildung zu verbessern.
Präzise Modelle sind Grundlage für die Fahrzeugentwicklung
Zu Gute kommt das unter anderem der Automobilindustrie: Bei der Fahrzeugentwicklung simulieren Ingenieur*innen und Designer das Verhalten von Fahrzeugen am Modell, bevor sie einen physischen Prototyp bauen. So lassen sich unterschiedlichste „Domänen“, wie Beschleunigung, Bremsmanöver oder Fahrerassistenzsysteme testen. „Ein gutes Modell spart im Entwicklungsprozess Zeit und Kosten und erhöht Qualität und Sicherheit des Endprodukts“, so Ludmann. „Unser Projektziel ist es, die Präzision der Modellierung zu erhöhen. Das wollen wir erreichen, indem wir verschiedene Modelltypen miteinander kombinieren: Klassische physikalische Modelle und Modelle, die neuronale Netze zum Rechnen nutzen.“
Projektziel: Das Beste aus zwei Welten zusammenführen
Neuronale Netze sind eine noch junge KI-Technologie, deren Computerarchitektur die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachahmt. Neuronale Netze sind lernfähig und eignen sich gut, um unbekannte Szenarien vorherzusagen. „Allerdings können sie das nur innerhalb ihres Trainingsbereichs“, erklärt Ludmann. „Wird ein neuronales Fahrzeugmodell zum Beispiel mit Daten im Bereich von Null bis 100km/h angelernt, trifft das Modell keine zuverlässigen Vorhersagen über das Verhalten bei 120 km/h. Physikalische Modelle, deren Berechnungen auf realen Nachbildungen von Fahrzeugteilen basieren, weisen diese Einschränkung nicht auf – haben dafür aber andere Nachteile. Indem wir beide Modelltypen kombinieren, nutzen wir die individuellen Stärken und mildern Schwächen ab. Wir bringen sozusagen das Beste aus zwei Welten zusammen.“
Interdisziplinäre Kooperation schafft Synergien
„Hier in Stuttgart haben wir sehr viel Erfahrung mit der physikalischen Modellbildung für die Automobilbranche. Zudem verfügen wir mit unserem Gesamtfahrzeugdynamikprüfstand, mit dem wir auch extreme Fahrsituationen sicher simulieren können, über eine einzigartige Forschungsinfrastruktur“, sagt Prof. Andreas Wagner vom Institut für Fahrzeugtechnik Stuttgart (IFS) der Universität Stuttgart. „Die Kolleg*innen des MIT bringen ihre Expertise im Bereich neuronaler Netze, Robotik und Machine Learning in das gemeinsame Projekt ein. Wir führen unser Wissen zusammen und schaffen so Synergien.“
„Die Möglichkeit, mit den Wissenschaftler*innen des MIT zusammenarbeiten, empfinde ich als sehr bereichernd. Die interdisziplinäre Forschung eröffnet neue Blickwinkel“, so Ludmann kurz vor seiner USA-Reise. Auf insgesamt eineinhalb Jahre ist das deutsch-amerikanische Projekt ausgelegt. Im nächsten Jahr steht ein Gegenbesuch der amerikanischen Kolleg*innen in Stuttgart an, zudem wird Ludmann zu einem weiteren, mehrwöchigen Forschungsaufenthalt in die USA reisen. „Natürlich tauschen wir uns auch per Videokonferenz aus. Aber der persönliche Kontakt ist unschlagbar wertvoll für die Projektarbeit“, so Ludmann.
Unterstützung durch den MIT Global Seed Fund und ZF Friedrichshafen AG
Ermöglicht werden die Forschungsreisen durch den MIT Global Seed Fund, dem das Unternehmen ZF Friedrichshafen eine finanzielle Unterstützung für das Modellierungs-Projekt bereitstellte.
Ziel des MIT Global Seed Funds ist es, durch gemeinsame Projekte die Beziehungen zwischen dem MIT und der Universität Stuttgart zu vertiefen. Bis zu 25.000 $ Anschubfinanzierung stellt der Fonds pro Projekt zur Verfügung. Bewerben können sich Stuttgarter Forschende aller Disziplinen, insbesondere Nachwuchswissenschaftler*innen sind angesprochen. „Wir profitieren nicht nur finanziell von der Unterstützung durch den MIT Global Seed Fund. Das Programm hat uns zudem die Tür zu einem spannenden neuen Forschungspartner geöffnet. Das ist ein großer Mehrwert“, so Andreas Wagner.
Bewerbung offen: MIT Global Seed Fund 2024/2025
In der aktuellen Ausschreibungsrunde können sich Forschende aller Disziplinen der Universität Stuttgart noch bis zum 10. Dezember für eine Anschubfinanzierung durch den MIT Global Seed Fund bewerben. Angesprochen sind insbesondere ambitionierte Nachwuchswissenschaftler*innen, die noch am Beginn ihrer akademischen Karriere stehen.
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Lena Jauernig
Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs