Mikroplastik in der Nahrungskette aufgespürt

23. April 2024

Forschende der Universität Stuttgart weisen mithilfe hochentwickelter Lasermikroskopie winzige Kunststoffpartikel in Fischgewebe nach. Das besonders schnelle bildgebende Verfahren könnte erstmals Big Data Erhebungen ermöglichen, die Erkenntnisse über das Ausmaß der Mikroplastik-Verunreinigung von Fischschwärmen liefern.
[Bild: Moritz Flöß, Universität Stuttgart]

Mehrere Millionen Tonnen Plastikabfälle landen jedes Jahr in den Weltmeeren und zersetzen sich zu Mikroplastik. Diese Kunststoffpartikel, die nur wenige Mikro-  oder Nanometer groß sind, finden über Fische oder Muscheln Eingang in die Nahrungskette und gelangen in das menschliche Verdauungssystem. „Welche gesundheitlichen Gefahren von Mikroplastik ausgehen, gilt es noch zu erforschen“, so Prof. Dr. Harald Gießen, Leiter des 4. Physikalischen Instituts und des Stuttgart Center of Photonics Engineering an der Universität Stuttgart. „Voraussetzung dafür ist der Nachweis von Mikro- und Nanokunststoffen in der Nahrungskette.“

Bereits heute wird die sogenannte spontane Raman-Spektroskopie eingesetzt, um Mikroplastik im Trinkwasser zu detektieren. Das Verfahren basiert darauf, dass Moleküle unterschiedliche Eigenschwingungen aufweisen. „Unter dem Lasermikroskop misst man Wellenlängenverschiebungen im gestreuten Licht, um bestimmte Moleküle nachzuweisen“, sagt Dr. Moritz Flöß, wissenschaftlicher Mitarbeiter am 4. Physikalischen Institut. „Leider ist das Verfahren sehr langsam. Um größere Datenmengen zu erheben  - zum Beispiel, um herauszufinden, wie stark das Lachsvorkommen im Atlantik mit Mikroplastik verunreinigt ist  - benötigt es eine wesentlich schnellere Bildgebung.“

Physiker und Neurobiologinnen forschen gemeinsam

Gemeinsam mit Kolleg*innen des 4. Physikalische Instituts und des Instituts für Biomaterialien und biomolekulare Systeme hat Moritz Flöß jetzt eine Arbeit im renommierten Wissenschaftsmagazin Biomedical Optics Express veröffentlicht. Darin stellen die Forschenden einen Ansatz zur Detektion von Mikroplastik in Fischgewebe vor, der Big Data Erhebungen möglich machen könnte. Das interdisziplinäre Forschungsteam setzte statt auf die spontane Raman-Spektroskopie auf den stimulierten Raman-Effekt (engl.: stimulated Raman scattering (SRS)): „Wir setzen zwei Laserstrahlen mit verschiedenen Wellenlängen ein. Diese sind so aufeinander abgestimmt, dass deren Energiedifferenz exakt der Molekülschwingung entspricht, die wir anregen wollen. Wir können also genau definieren, nach welcher Art von Molekülen wir suchen und rastern die Probe Pixel für Pixel. Dank der deutlich höheren Signallevel bei SRS können wir ein Bild innerhalb von circa 30 Sekunden erzeugen, statt wie bisher in 30 Minuten.“

SRS-Mikroskop im Labor. Die Laserquelle stellt zwei synchronisierte Laserstrahlen mit unterschiedlichen Wellenlängen zur Verfügung. Ein Laserscanner in Kombination mit Abbildungsoptiken und dem Mikroskopobjektiv ermöglicht das Abrastern der Probe mit den Laserstrahlen. Ein Detektor misst das SRS-Signal und das resultierende Bild wird am Computer erzeugt.

Parameterstudien mit Supermarkt-Fisch

Das SRS-Verfahren setzt eine hohe Expertise im Bereich der Lasermikroskopie voraus und wird daher bisher nur in hochspezialisierten Forschungslaboren angewandt. „Mit unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass Mikroplastik im Muskelgewebe von Fischen mithilfe von SRS nachgewiesen werden kann. Und wir konnten ausloten, innerhalb welcher Grenzen dies möglich ist: Wie tief können wir mit dem Verfahren ins Gewebe schauen? Wie klein sind die kleinsten nachweisbaren Partikel? Hier bewegen wir uns im 100-Nanometerbereich“, sagt Moritz Flöß.

Beim Studiendesign entschied sich das Team gegen Versuche mit lebenden Fischen. „Wir haben uns im Supermarkt an der Fischtheke bedient. Professor Ingrid Ehrlich, die Neurobiologin im Forschungsteam, hat die Muskelgewebeproben hauchdünn geschnitten, und wir haben diese danach mit Mikroplastikpartikeln präpariert. So haben wir uns eine kontrollierte Umgebung für unsere Parameterstudien geschaffen.“

Chemisch selektive Raman-Mikroskopie-Bilder bei der Polystyrol(PS)-Resonanz. Rechte Spalte: Durchlicht-Mikroskopie-Bilder im Infraroten ohne chemischen Kontrast. Oben: Im Raman-Signal können zwei PS-Kügelchen identifiziert werden, welche sich auf einem Fischgewebeschnitt befinden. Im Durchlichtbild ist zusätzlich ein PMMA-Kügelchen zu erkennen. Unten: Im Gewebe lassen sich PS-Kügelchen ebenfalls nachweisen.

Großes Potential für die biomedizinische Forschung

„Das Potential von SRS liegt nicht alleine in der schnellen Bildgebung. Das Verfahren erlaubt es auch, verschiedene Mikroplastiksorten wie Polymethylmethacrylat oder Polystyrol direkt unter dem Mikroskop zu unterscheiden“, sagt Gießen. In Folgeprojekten möchte er mit seinem Team den Weg von Mikroplastik im Verdauungssystem nachverfolgen.

Und nicht nur Mikroplastik lässt sich per SRS aufspüren: Zukünftig könnte die Methode auch in der Krebsdiagnostik eingesetzt werden. „Voraussetzung für die Forschung in diesen Bereichen sind hochspezialisierte Lasertechnologien, die wir hier am 4. Physikalischen Institut selbst entwickeln. Außerdem benötigt es eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Biomedizin und Physik. Auch was das angeht sind wir in Stuttgart bestens aufgestellt.“

Als „Stuttgarter Weg“ prägt der Leitgedanke der vernetzten Disziplinen das besondere Forschungsprofil der Universität Stuttgart. Nachwuchsforscher Moritz Flöß, der bereits sein Bachelor und Masterstudium am 4. Physikalischen Institut absolviert hat, sieht im „Stuttgarter Weg“ auch für seine berufliche Entwicklung Vorteile: „Durch die interdisziplinäre Projektarbeit lernt man, über seine eigene „Wissenschafts-Bubble“ hinauszublicken.“ Die SRS-Studie floss als Teilbereich in Flöß‘ Doktorarbeit ein. „SRS-Systeme sind hochkomplex und um sie zu realisieren benötigt es viele Einzelstränge, von der Laseroptik über Elektronik, Messtechnik und Mikroskopie bis zur Programmierung. Für meine Doktorarbeit war es sehr wertvoll, dass am Institut in allen diesen Bereichen Expertise und Unterstützung vorhanden ist.“

Terra incognita ermöglicht Pionierforschung in unbekannten Zukunftsbereichen

Finanziert wurde das Projekt über das Förderprogramm „Terra incognita“ der Universität Stuttgart. „Terra incognita“ wurde 2019 ins Leben gerufen, um erfolgsversprechende Forschungsfelder der Zukunft zu identifizieren. Wissenschaftler*innen sollen ermutigt werden, risikobehaftete originäre Projektideen zu wagen und auf unbekannten Wegen zu neuen Forschungsergebnissen zu gelangen. „Das Programm gibt auch unkonventionellen Forschungsideen Raum und bildet einen idealen Rahmen, um interdisziplinäre Zusammenhänge zu erarbeiten“, sagt Professor Gießen.

Originalveröffentlichung:
Floess, M. Fagotto-Kaufmann, A. Gall, T. Steinle, I. Ehrlich, and H. Giessen, "Limits of the detection of microplastics in fish tissue using stimulated Raman scattering microscopy," Biomed. Opt. Express 15, 1528–1539 (2024).

Dieses Bild zeigt Lena  Jauernig

Lena Jauernig

 

Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs

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Moritz Floess

Dr.

Stimulated Raman scattering microscopy

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