Sonderforschungsbereich ATLAS der Luft- und Raumfahrt gestartet

21. Mai 2024

Die Universität Stuttgart wagt sich in einen bislang unerforschten Erdorbit-Bereich, um dort Satellitensysteme in Umlauf zu bringen. Forschende und Doktorand*innen stellten den neuen Sonderforschungsbereich der Luft- und Raumfahrt ATLAS am 17. Mai 2024 einer breiten Öffentlichkeit vor.
[Bild: Universität Stuttgart, IRS]

„Wie können wir die Lebensdauer von Satelliten im niedrigen Erdorbit ohne Treibstoff erhöhen“, warf SFB-Sprecher Professor Stefanos Fasoulas zur Begrüßung in die Runde der Raumfahrtbegeisterten aus Forschung und Industrie – die Forschungsfrage des neuen Sonderforschungsbereichs ATLAS (Advancing Technologies of Very Low Altitude Satellites) an der Universität Stuttgart. „Unsere Vision für den SFB ist die wissenschaftliche Grundlage zur Erschließung des niedrigen Erdorbits zu schaffen.“

Professor Stefanos Fasoulas (links) und Professorin Sabine Klinkner (rechts) sprechen zum Publikum.
SFB-Sprecher Professor Stefanos Fasoulas und Professorin Sabine Klinkner bei der Auftaktveranstaltung des Sonderforschungsbereichs ATLAS.

„Die Idee der nachhaltigen Nutzung des niedrigen Erdorbits hat mich von Anfang an begeistert“, sagte Rektor Wolfram Ressel auf der Auftaktveranstaltung. „Einen Transregio und einen SFB an einer Fakultät, das gibt es nicht alle Jahre und ist etwas ganz Besonderes. Das ist der Beweis, dass an unserer Universität herausragende Forschung betrieben wird.“

Umweltbedingungen im All verstehen und beherrschen lernen

Die atmosphärischen Bedingungen im niedrigen Erdorbit 200 bis 450 Kilometer über der Erdoberfläche (VLEO) sind wenig erforscht – Methoden und Technologien, um diese zu kontrollieren, fehlen bislang noch. Hier setzt der SFB an: „In 500 Kilometern und aufwärts sind es mittlerweile zigtausende Satelliten. Der Platz wird so langsam eng da oben“, sagt Fasoulas. „Eine sinnvolle Alternative ist es, näher an die Erde zu kommen.“

„Der Bereich ist ruppiger, er bietet aber auch neue Möglichkeiten für Forschungsmissionen“, ergänzt Sabine Klinkner, Professorin für Kleinsatellitentechnik am Institut für Raumfahrtsysteme (IRS). Satelliten im VLEO können kleiner und leichter konstruiert, mit geringeren Kosten in den Orbit gebracht werden und Daten in höherer Auflösung sowie mit geringerer Zeitverzögerung liefern.

Professorin Sabine Klinkner spricht mit einem Mikrofon zum Publikum.
Professorin Klinkner stellt die drei Forschungsschwerpunkte des SFBs vor: die Untersuchung von Gas-Oberflächen-Wechselwirkungen im VLEO, neue und optimierte Satellitensysteme sowie Thermosphären- und Erdschwerefeldforschung.

Weltraumschrott durch Selbstreinigungseffekt vermeiden

Das Ziel des SFB: Die Lebensdauer der Satelliten erhöhen und aus eigener Kraft im Orbit halten. Dafür optimieren die Forschenden Plasmatriebwerke, die Restatmosphäre als Treibstoff nutzen. Ein weiterer Effekt der Restatmosphäre ist ihr Selbstreinigungseffekt – Weltraumschrott bliebe dadurch nicht zurück. „Wir erleben die Gefahr von Kollisionen schon jetzt“, sagt Klinkner. „Unser Kleinsatellit Flying Laptop hat in den letzten sechs Jahren rund 700 Kollisionswarnungen zwischen 1000 und 29 Metern aufgezeichnet.“ Kommt es im VLEO zu einem Systemausfall, werden Satelliten durch die Restatmosphäre abgebremst und verglühen innerhalb von zwei bis drei Monaten.

Der SFB ATLAS startet in die erste Förderperiode. Ausgelegt ist der Sonderforschungsbereich auf insgesamt 12 Jahre.

Technologien für die internationale Luft- und Raumfahrt

Der SFB knüpft mit seiner interdisziplinären Forschungsinitiative an den Kurs der baden-württembergischen Luft- und Raumfahrtstrategie THE Aerospace LÄND an, die Technologien sollen jedoch in der internationalen Raumfahrt zum Einsatz kommen. Etwa ein Simulationstool, mit dem Ingenieur*innen Manöver im All planen und den benötigten Schub sowie die Auswirkungen des Satellitendesigns auf die Flugbahn bestimmen können.

Ein Team um Professor Michael Saliba am Institut für Photovoltaik (ipv) untersucht die im VLEO hervorgerufenen chemischen Veränderungen an Solarzellen, um Perowskit-Solarzellen für den Einsatz im All resilienter zu machen. Künftig könnte im VLEO eine ähnliche Satellitendichte herrschen, wie in anderen Teilen des Orbits. Solche Schwärme müssen gesteuert werden, beispielsweise mithilfe von laserbasierten Entfernungsmessern und extrem schnellem Austausch von hohen Datenraten – ein Forschungsschwerpunkt am Institut für Robuste Leistungshalbleitersysteme (ILH).

Blick hinter die Kulissen

Im Satellitenkontrollraum des Raumfahrtzentrums auf dem Campus Vaihingen zeigten Studierende und Wissenschaftler*innen, wie sie Satelliten, etwa EIVE, in Betrieb nehmen und Satellitenmissionen im All überwachen. Bei einem Überflug von EIVE um 13:33 Uhr konnte man live beobachten, wie der Satellit mit neuen Kommandos versorgt und Daten über den technischen Zustand, etwa Temperatur und Batterieladezustand, zur Bodenstation sendete. Bei einer Führung durch das Plasmawindkanallabor erklärten die Forschenden, wie sie Wiedereintritte simulieren und neue Antriebstechnologien für den Weltraum entwickeln.

Ein Kontrollraum zur Überwachung von Satelliten. Zwei Personen sitzen mit dem Rücken zur Kamera gewandt vor Bildschirmen. Der Raum ist abgedunkelt und liegt in rotem Licht.
Vom Kontrollraum aus auf dem Campus Vaihingen überwachen Forschende und Studierende Satellitenmissionen, wie etwa EIVE. Beim ATLAS-Kick-off gaben die Forschenden Einblicke hinter die Kulissen der Satellitenüberwachung.

Im Januar 2025 tagt der SFB im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums zu Fortschritten und Herausforderungen im VLEO. Aktuell gibt es noch freie Doktorand*innenstellen für ATLAS-Projekte.

In der Sendung SWR Wissen aktuell - Impuls, Kultur spricht Professor Stefanos Fasoulas über die Ziele des SFBs ATLAS und erklärt, warum Satelliten im niedrigen Erdorbit für die Raumfahrt bedeutsam sind und wie sich die Forschenden die Eigenschaften des VLEO zunutze machen. 

Über ATLAS

Der Sonderforschungsbereich 1667 „Advancing Technologies of Very Low Altitude Satellites“ (ATLAS) wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit April 2024 zunächst für vier Jahre gefördert. Der SFB ist insgesamt auf einen Zeitraum von zwölf Jahren ausgelegt. Beteiligt unter Federführung der Universität Stuttgart sind 23 Teilprojektleitende von 13 Instituten der Universität sowie dem Institut für Technische Physik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR-TP). Unterstützung erhält der interdisziplinäre Forschungsverbund außerdem von außeruniversitären Partnern aus Forschung und Industrie, etwa der European Space Agency (ESA), der Stuttgarter Astos Solutions GmbH und der Luleå University of Technology in Schweden.

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Jacqueline Gehrke

 

Redakteurin Wissenschaftskommunikation

 

Hochschulkommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

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